Zwischenruf 355 Bescheidenheit ist eine Zier
10.06.2007, 14:40 UhrVon Manfred Bleskin
... doch weiter kommt man ohne ihr, pflegt der Volksmund zu sagen. Angela Merkel ist von einem auf den anderen Tag bescheiden geworden. Es ist zu hoffen, dass sie trotzdem weiterkommt. Noch auf dem G8-Treffen in Heiligendamm lobte die Bundeskanzlerin dessen Ergebnisse in höchsten Tönen. War es Einsicht oder die Furcht, von den Globalisierungskritikern auf dem Evangelischen Kirchentag zu Köln am Rhein ausgepfiffen zu werden? Wie auch immer. Die Aussage der G8-Vorsteherin, dass der Gipfel nur ein Schritt in die richtige Richtung sei, entspricht wohl am ehesten der Wahrheit. Bei Lichte besehen war es ein Trippelschritt. Doch so bescheiden wollte sie nun auch wieder nicht sein. Und beschränkte die Schritt-Analyse auf die Festlegungen zu Afrika.
So ist es zunächst durchaus richtig, dem Problemkontinent mehr Geld zu geben, damit die Entwicklung vorankommt. Doch ist unklar, wie viel. 60 Milliarden sind eine ungeheure Menge, angesichts der Lage zwischen Sahara und Kap der Guten Hoffnung ist es wenig. Schwammig die Formulierung, die Hilfe würde "in den nächsten Jahren" bereitgestellt; unklar auch, inwieweit bereits vor zwei Jahren in Gleneagle zugesicherte Gelder in die Summe einfließen. Offen auch, ob sie tatsächlich fließt. Die Forderung von Bundespräsident Horst Köhler auf dem Kirchentag, nun müsse auch tatsächlich gezahlt werden, lässt nichts Gutes hoffen.
Um den entscheidenden Punkt in Sachen Afrika, der aber auch für Lateinamerika und weite Teile Asiens gilt, haben sich die Gipfelstürmer herumgemogelt. So lange sich die "terms of trade", wie der argentinische Ökonom Ral Prebisch sagte, für die Primärgüterexporteure, also die Entwicklungsländer, säkular zu deren ungunsten verschlechtern, wird es dort Entwicklung immer nur punktuell geben. Die Erdölkeule, die in Westasien, Nordafrika und einigen Ländern des lateinischen Amerika geschwungen wird, mag manchem als Ausweg erscheinen. Hinreichend ist das nicht. Solange die Industriestaaten ihre Wirtschaft einschließlich der Agrikultur hochgradig subventionieren, bleibt der Bauer in der Dritten Welt auf seinen Produkten sitzen. So billig er vergleichsweise auch produziert.
Beim Klimaschutz ist erstaunlich, dass der sonst beratungsresistente US-Präsident wenigstens bereit war, sich zum Ziel der Kohlendioxidreduktion zu bekennen. Allein die Formulierung, die Halbierung des Giftausstoßes bis 2050 "ernsthaft in Erwägung" zu ziehen, legt unterm Strich niemandem einen Zwang auf, sich heute um Lösungen zu bemühen. Die Klimasünder haben eine Art ökologischen Ablasszettel in die Hand gedrückt bekommen.
Bei den "Randthemen" US-Raketenabwehr und Kosovo sind die Beratungsteilnehmer nicht einmal einen Trippelschritt vorangekommen. Der Fuchs Putin hat dem Falken Bush eine Falle gestellt, als er vorschlug, in Aserbaidschan ein gemeinsames System aufzubauen. Nach einigem hilflosen Flügelschlagen fand der Adressat des Vorstoßes dann die Fassung wieder. Darüber könne man ja reden, aber Polen und Tschechien bleiben trotzdem Stationierungsländer. Der Konflikt schwelt also weiter.
Die Kosovo-Frage dürfte in den nächsten Monaten zu einem der zentralen Konfliktpunkte werden. Die Aufforderung des US-Präsidenten, die Unabhängigkeit der serbischen Provinz auch ohne Zustimmung des Kreml auszurufen, birgt ungeahnte Gefahren in sich. Moskau hat schon einmal einen militärischen Überraschungscoup gelandet, als russische Fallschirmjäger während des Jugoslawien-Krieges den Flughafen der Kosovo-Hauptstadt Priština besetzten. Wer garantiert, dass Ähnliches nicht in den wenigen noch mehrheitlich serbisch besiedelten Gebieten des Kosovo passiert, zumal diese zumeist an das serbische Kernland grenzen?
Bei aller zierenden Bescheidenheit – der Gipfel hat gekreist und ein paar Mäuschen geboren. Das ist aber allemal besser, als hätten an der Ostsee Meeresungeheuer das Licht der Welt erblickt.
Quelle: ntv.de