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Zwischenruf Chronik eines angekündigten Rückzugs

Mit dem angekündigten Rückzug Dietmar Bartschs ist der Streit um das Verhältnis von Sozialisten zur Macht nicht beendet. Die Geschichte zeigt es.

Dietmar Bartschs gibt das Amt des Bundesgeschäftsführers der Linken auf.

Dietmar Bartschs gibt das Amt des Bundesgeschäftsführers der Linken auf.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der angekündigte Rückzug Dietmar Bartschs vom Amt des Bundesgeschäftsführers der Linken ist Ausdruck eines uralten Dilemmas der Sozialisten: Schon nach Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1869 um August Bebel und Wilhelm Liebknecht, spätestens aber seit der Vereinigung mit dem von Ferdinand Lassalle gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein 1875 drehte sich der Streit immer wieder um das Verhältnis zum jeweils bestehenden Staat und den Wegen zur Durchsetzung der Ziele der seit 1890 als Sozialdemokraten firmierenden Partei.

Spaltungen respektive Wiedervereinigungen waren und sind an der Tagesordnung. Stichworte: USPD, KPD, KAPD, KP-Opposition, SAP, WASG. Das macht sich auch an Personen fest: Ein Herbert Wehner kehrte den Kommunisten den Rücken und wurde zu einem der herausragenden Persönlichkeiten der SPD. Willy Brandt war 1931 aus der SPD ausgetreten und hatte die Sozialistische Arbeiterpartei mitbegründet, schloss sich nach dem Krieg aber wieder den Sozialdemokraten an und wurde zu ihrem Synonym. Wolfgang Clement war die Partei zu links, Oskar Lafontaine zu rechts.

Bartsch zur SPD?

So wäre auch ein Übertritt von Dietmar Bartsch zur SPD denkbar. Doch der Mann aus dem vorpommerschen Tribsees steht für Regierungsbeteiligung der Linken, und die ist nur als Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten realistisch. Es ist kaum vorstellbar, dass er als SPD-Mitglied überzeugend für die Annäherung an die Linke wirken könnte. Zudem ist nicht sicher, ob er eine Funktion erhielte, die ihm dies überhaupt ermöglichen würde. Als Sylvia-Yvonne Kaufmann, einst Vizepräsidentin des Europaparlaments und zeitweilig stellvertretende PDS-Vorsitzende, zur SPD übertrat, saß Parteichef Franz Müntefering neben ihr. Auf dem Dresdener Parteitag saß sie auf der Gästebank; Angela Marquardt, auch sie eine Zeit lang PDS-Vize, sitzt im Vorzimmer von Andrea Nahles, der sozialdemokratischen Generalsekretärin.

Sicher: Ein SPD-Mitglied Bartsch könnte die Partei schmücken. Doch den Linksschwenk, den die Sozialdemokraten in der sächsischen Landeshauptstadt eingeläutet haben, können sie nur aus sich selbst heraus vollziehen. Ein Bartsch macht noch keinen Sommer, solange die führende SPD-Mitglieder wie Frank-Walter Steinmeier und Hubertus Heil an Hartz IV festhalten und ein CDU-Ministerpräsident wie Jürgen Rüttgers eine grundlegende Reform der "Reform" fordert.

Mit der heutigen Ankündigung von Dietmar Bartsch ist der Streit um das Verhältnis von Sozialisten zur Macht nicht beendet. Er wird, ganz sicher mit einem Bartsch in der Linken, weitergehen. Wie in den 140 Jahren zuvor.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

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