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Lindner und Habeck im Kleinkrieg Das Chaos in der Ampel ist perfekt

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Reden miteinander, aber nicht immer rechtzeitig: Lindner und Habeck.

(Foto: picture alliance/dpa)

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Bundeswirtschaftsminister Habeck kündigt eine verfassungsrechtliche Prüfung der Gasumlage an. Finanzminister Lindner kassiert die Prüfung umgehend. Mehr öffentlicher Streit geht kaum und er folgt einem Muster. So wird die Ampel ihrer Verantwortung in einer historischen Krise nicht gerecht.

Verbrauchern und Unternehmen geht dieser Tage das Hinterteil auf Grundeis: Nie waren in den vergangenen Jahrzehnten die Sorgen vor Verarmung und Insolvenz wegen ungebremst steigender Energiepreise größer. Und dennoch würde ein Großteil der Menschen, die noch wählen gehen, weiter die Stimme einer der drei Regierungsparteien oder der in wesentlichen Fragen nicht groß anders denkenden Union geben. Das Verständnis für die immense Herausforderung der Politik und das Zutrauen der Menschen in die verantwortlichen Politiker, dass sie der Probleme Herr werden, ist noch immer groß. Doch die maßgeblichen Akteure der Ampelkoalition tun gerade viel dafür, dieses Vertrauen zu verspielen, allen voran Christian Lindner und Robert Habeck.

Am Mittwochmorgen verkündet Bundeswirtschaftsminister Habeck die Verstaatlichung des Gasversorgers Uniper und die Erhebung der Gasumlage ab dem 1. Oktober. Wegen der Gasumlage hatte sich Habeck schon einmal in den Staub werfen müssen, weil die Konstruktion nicht missbrauchssicher war: Auch Unternehmen, die jenseits ihres Gasgeschäfts gut dastehen, hätten die Umlage anzapfen können.

Nun ist sich Habeck aber sicher, die "Trittbrettfahrer" vom Trittbrett geschubst zu haben. Nur um dann ein neues Problem mit der Gasumlage anzusprechen: die Vereinbarkeit von Gasumlage und Uniper-Verstaatlichung. Es drohten Verfassungsprobleme, wenn die Umlage an ein staatliches Unternehmen geht und die Umlage zur indirekten Steuer mutiert. Habeck kündigt deshalb eine verfassungsrechtliche Tiefenprüfung an.

Lindner widerspricht, Habecks Haus widerspricht dem Widerspruch

Zuständig für diese Prüfung wäre das Bundesfinanzministerium von Christian Lindner. Der FDP-Chef will die Gasumlage aber unbedingt, damit sein sich immer weiter einer erneuten Aussetzung der Schuldenbremse annähernder Haushalt nicht noch mehr gebeutelt wird - indem der Staat die bisher auf russisches Gas setzenden Unternehmen beim Einkauf teuren Ersatzes unterstützen muss.

Binnen Stunden widerspricht Lindner also seinem Kabinettskollegen Habeck: "Es gibt keine weitere Prüfung, sie ist abgeschlossen", sagt der Finanzminister. Dies sei allgemein in der Regierung bekannt. "Vergangene Woche Freitag hat die Bundesregierung entschieden, dass sie keine Rechtsbedenken gegenüber der Gasumlage hat - auch im Falle einer Verstaatlichung von Uniper." Habecks Sprecherin erklärt daraufhin, dem Wirtschaftsministerium liege solch ein Gutachten aus Lindners Haus nicht vor.

Damit ist das Chaos perfekt. Wieder einmal, möchte man sagen. Denn was aus diesem Vorgang vor allem spricht, ist die Tatsache, dass sich Lindner und Habeck nicht abstimmen, bevor einer der beiden mit Erklärungen und Ankündigungen vor die Öffentlichkeit tritt. Spitzenvertreter der Ampel nehmen längst nicht mehr die Hand vor den Mund, wenn sie darüber sprechen, dass die beiden Minister "nicht miteinander können". Das Land geht durch eine historische Krise und zwei entscheidende Verantwortungsträger scheitern an persönlichen Animositäten, während dem Kanzler offenbar Ideen fehlen, wie er die zwei auf eine Linie bringen kann. Habeck und Lindner reden vor Medienvertretern schlecht übereinander und SPD-Spitzenvertreter schlecht über beide.

Wenn es denn nur dieser eine Streit wäre

Tatsächlich spitzt sich hier ein Konflikt mit zunehmend vertrautem Muster zu: Schon Lindners Vorstellung, wie er der Kalten Progression begegnen will, und Habecks Konzept zum Atomkraftwerks-Reservebetrieb hatten beide nicht vorab miteinander besprochen. In der Nacht, als die Koalition das dritte Entlastungspaket verhandelt hatte, wäre trotz gegenteiliger Erzählung der Beteiligten beinahe in den wichtigsten Fragen gar keine Einigung zustande gekommen.

Lindner hatte einer Kommission zur Findung eines Gaspreisdeckels nur auf maximalen Druck der Koalitionspartner hin zugestimmt. Die von SPD und Grünen gefeierte Übergewinnsteuer im Strommarkt wiederum hat nichts mit den ursprünglichen Forderungen beider Parteien zu tun, sondern ist ein Regulierungseingriff in den Strommarkt, der auch den FDP-Vorstellungen entspricht. Die Umdeutung der vereinbarten Zufallsgewinn-Abschöpfung zur Umsetzung der rot-grünen Übergewinnsteuer-Idee kommt einem Täuschungsmanöver gleich.

Weder beim Umgang mit den letzten Atomkraftwerken noch bei der Gasumlage oder beim Gaspreisdeckel ist die Ampel nach Wochen der Debatte entschieden. Das ist besorgniserregend angesichts der Ernsthaftigkeit der Lage. Und es befeuert ausgerechnet jene Entwicklung, die Ampel-Vertreter nach eigenen Aussagen am meisten fürchten: Dass die Radikalen im Land eine wachsende Zahl von Verängstigten und Frustrierten für sich gewinnen und die wirtschaftliche zu einer politischen Krise eskaliert. Wenn Scholz, Habeck und Lindner dergleichen ernsthaft verhindern wollen, sollten sie sich dringend zusammenraufen, anstatt weiter Politik über öffentliche Stimmung zu machen. Die kann sich nämlich auch schnell gegen alle drei auf einmal wenden.

Quelle: ntv.de

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