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Debakel für SPD und CDU Das ist politisches Totalversagen

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Franziska Giffey, Kai Wegner und ein Schaukelpferd bei der Amtsübergabe im Roten Rathaus. Das Schaukelpferd steht schon länger dort, es ist kein Geschenk der Sozialdemokratin an ihren Nachfolger.

Franziska Giffey, Kai Wegner und ein Schaukelpferd bei der Amtsübergabe im Roten Rathaus. Das Schaukelpferd steht schon länger dort, es ist kein Geschenk der Sozialdemokratin an ihren Nachfolger.

(Foto: REUTERS)

Die Kür von Kai Wegner zum Regierungschef von Berlin erst im dritten Wahlgang ist ein Offenbarungseid für den Politikbetrieb der Hauptstadt. Vor allem die Sozialdemokraten agieren, als könnten sie nicht bis drei zählen.

Wer gerne einmal lachen oder heulen oder beides abwechselnd tun möchte, dem sei die Lektüre der Koalitionsverträge Berlins der jüngeren Zeit empfohlen. SPD und CDU versprachen in dem 2011 vereinbarten Abkommen eine "bürgernahe Verwaltung". 2016 verbündeten sich die Sozialdemokraten mit der Linkspartei und den Grünen, um "die Organisation der persönlichen, telefonischen, digitalen und schriftlichen Zugangswege für die Bürger*innen sowie der Wirtschaft zur Berliner Verwaltung effektiv zu organisieren". 2021 kam es zur Neuauflage: Rot-Grün-Rot plante, "die Verwaltung für alle Berliner*innen und Unternehmen bürgerorientiert, barrierefrei, mehrsprachig, schnell und effizient" aufzustellen und "entsprechend" auszustatten.

Doch das Bündnis war offenbar so sehr mit der Einführung des Gendersterns und der Verkehrsberuhigung eines halben Kilometers Ödnis auf der Friedrichstraße befasst, dass sie es versäumte, ihre jahrelangen Versprechen umzusetzen. Wer einen Termin im Bürgeramt wollte, muss noch immer Wochen oder Monate warten. Bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie musste Berlin auf Fax-Geräte setzen, weil Verwaltung und Digitalisierung im 20. Jahrhundert verharren. Rot-Grün-Rot organisierte die Abgeordnetenhauswahl 2021 so miserabel, dass sie 2023 wiederholt werden musste. Die Koalition verlor zwar nicht ihre rechnerische Mehrheit. Aber die in Berlin eigentlich chancenlose CDU gewann klar und schloss ein Bündnis mit der SPD.

"Das Beste für Berlin"?

Beide Parteien legten einen Vertrag vor, in dem wieder viele Ankündigungen stehen, von denen schon heute klar ist, dass sie bis zum Ende der Legislaturperiode 2026 nicht umgesetzt werden, zum Beispiel "die grundlegende Reform der Berliner Verwaltung" für eine "auf allen Ebenen funktionierende, zukunfts- und handlungsfähige Stadt". Aber gleich zum Start haben die neuen Koalitionäre alle Hoffnungen auf Besserung zunichtegemacht. Seit Donnerstagnachmittag steht definitiv fest, dass große Teile der SPD die CDU so sehr verachten, dass es ein Hauen und Stechen geben wird und die Bevölkerung erneut erleben muss, dass Politik außer Versprechen kaum etwas auf die Reihe kriegt.

Beide "Partner" haben ihren Vertrag mit "Das Beste für Berlin" überschrieben. Darin wird eine Koalition angekündigt, "die vertrauensvoll zusammenarbeitet" und "fair, verlässlich und respektvoll miteinander" umgeht. Ankündigungen sind Ankündigungen. Oder wie in Berlin ein Witz. Macht man sich den Spaß und nimmt die Sprechblasen zum Maßstab für die Wahl des neuen Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner von der CDU, muss man wieder brüllen vor Lachen oder krampfartig heulen. Immerhin wissen die "vertrauensvoll" sowie "fair, verlässlich und respektvoll miteinander" Umgehenden, dass doch nicht allem Anfang ein Zauber innewohnt, sondern mitunter auch Gift und Galle.

Da regiert zusammen, was zusammenpasst

Das Debakel der drei Wahlgänge ist der wohl schmerzlichste Vorgang in der jüngeren Geschichte der Berliner Politik, ein Offenbarungseid für den Politikbetrieb der Hauptstadt und seiner Protagonisten, die - das gilt besonders für die Sozialdemokraten - nicht mal mehr Mittelmaß sind, an das man sich in Berlin gewöhnt hat, sondern so dilettantisch agieren, als könnten sie nicht mal bis drei zählen: Natürlich war von vornherein klar, dass die AfD es genüsslich ausschlachten wird, wenn der neue Regierungschef erst im dritten Wahlgang gekürt wird. Die Berliner SPD, ein Hort von Ignoranz und Intriganz, verwechselt die Bundeshauptstadt mit Wolkenkuckucksheim.

Wer hätte gedacht, dass eine Partei in einem Bundesland Ewigkeiten regiert und nicht daran wächst, sondern eingeht. Für was die Berliner SPD steht, weiß niemand mehr, schon gar nicht sie selbst. Annähernd die Hälfte der Mitglieder des Landesverbandes verzehrt sich so in Liebe zu Grünen und Linken, dass man sich fragt, warum sie nicht aus- und übertritt. Viele erklären den Landesverband der CDU für insgesamt "rassistisch", weil die im Rausch des Höhenflugs ihrer Umfragewerte nach den Vornamen von Randalierern der Silvesternacht gefragt hat, um … Ja, um was eigentlich? Auch die Berliner Christdemokraten sind erkennbar nicht frei von Dilettantismus. Man könnte sagen, da regiert endlich zusammen, was zusammenpasst.

Zugleich sind die Anhänger von Rot-Grün-Rot in der SPD so sehr mit ihrer Friede-Freude-Eierkuchen-Politik beschäftigt, dass sie nicht sehen, wie sie ihr Führungsduo gefährden, es geradezu absägen, als hätten sie noch nie von Niccolò Machiavellis Rat gehört, "dass es besser ist, draufgängerisch als bedächtig zu sein", um Macht an sich zu reißen und zu sichern. Aber statt den Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh klipp und klar zu sagen, "wir wollen euch nicht mehr", wird brav erklärt, dass sich das Duo "nun voll auf Regierungspolitik konzentrieren" und vom Vorsitz zurückziehen solle, weil das im Bund mit der Trennung von Kanzlerschaft und SPD-Vorsitz so sensationell gut funktioniere.

Der AfD in die Falle gelaufen

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"Wir nehmen keine Stimmen von Rechtspopulisten und Nazis", sagte Saleh nach der Kür Wegners in geheimer Abstimmung. Haben sie aber wahrscheinlich doch. Die AfD hat sich jedenfalls nicht die Chance entgehen lassen, den "Altparteien" eine mitzugeben. Erfurt lässt grüßen. Aber wie gut für die SPD, dass es die AfD gibt, der als Ablenkungsmanöver vom eigenen Versagen vorgehalten werden kann, wie in Thüringen parlamentarische Regeln ignoriert zu haben.

Das allerdings haben die SPD-Abgeordneten, die gegen Wegner votierten, ebenfalls getan. Bei der Wahl des eigenen Regierungschefs zum Start einer neuen Koalition auszuscheren, entspricht nicht den ungeschriebenen Gesetzen der parlamentarischen Demokratie. Dabei ist es völlig irrelevant, ob AfD-Abgeordnete für Wegner gestimmt haben. Entscheidend ist das Totalversagen der Berliner Politik seit etlichen Jahren, die der AfD erst den Boden für ihre schmutzigen Spielchen bereitete.

Quelle: ntv.de

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