Kommentar Deutschland ist im Krieg
06.11.2009, 17:20 Uhr
Die Schuldfrage bleibt Oberst Klein in jedem Fall zu stellen, ob mit oder ohne Krieg.
(Foto: AP)
Die Verlogenheit der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss endlich ein Ende finden. Das beweist die Debatte um die Schuldfrage von Oberst Georg Klein und den von ihm befohlenen Luftangriff: Weil Politiker bislang nicht bereit sind, den Krieg in Afghanistan beim Namen zu nennen, werden die deutsche Bevölkerung und – viel schlimmer noch – die deutschen Soldaten im Unklaren über die Lage dort gelassen. Und einmal mehr zeichnet es sich ab, dass eine von der Politik verursachte Unsicherheit von der Justiz ausgeräumt werden muss.
Natürlich ist im Fall des Luftangriffs auf die beiden Tanklastzüge auch die persönliche Schuldfrage des Obersts zu stellen. Hat Klein die Verhältnismäßigkeit der ihm zur Verfügung stehenden Mittel ausreichend abgewogen? Hätte er zivile Opfer vermeiden können? Sollte es etwa stimmen, dass die Piloten vor der Bombardierung eine Warnung abgeben wollten, es aber nicht durften, müsste sich Oberst Klein mehr als nur unangenehme Fragen gefallen lassen.
Jenseits persönlicher Schuld
Doch hinter der persönlichen Schuldfrage steht die grundsätzlich viel gewichtigere völkerrechtliche Frage, um was für einen Einsatz es sich in Afghanistan eigentlich handelt. Eine Frage, deren Antwort auch für die Verteidigung von Oberst Klein eine große Rolle spielt: Handelte er, wie die ganze Bundeswehr, am Hindukusch in einem bewaffneten Konflikt – also Krieg? Oder ist es ein "Stabilisierungseinsatz", wie der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung es so radebrechend bezeichnete?

Traut er sich? Guttenberg könnte als neuer Verteidigungsminister endlich für Klarheit sorgen.
(Foto: dpa)
Dass diese Frage wirklich geklärt werden muss und nicht nur eine von den Medien angeheizte Debatte ist, zeigt die Entscheidung der Dresdner Generalstaatsanwaltschaft: Die Behörde ist zu der Überzeugung gelangt, dass es sich um einen "bewaffneten Konflikt" handelt. Stimmt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe dieser Einschätzung zu und bewertet das Verhalten Obersts Klein nach dem Völkerstrafrecht, steht fest: Deutschland befindet sich im Krieg. Mit allen juristischen Konsequenzen.
Damit könnte eine Ehrlichkeit in die deutsche Afghanistan-Politik einziehen, die der Debatte in der Öffentlichkeit und den Soldaten im Einsatz hilft. Wer sich noch immer einbildet, die Bundeswehr sei eine Truppe Brücken bauender Entwicklungshelfer, die zufällig eine Waffe über der Schulter tragen, sollte aufwachen: In Afghanistan herrscht Krieg, die Bundeswehr ist zur gewaltsamen Verteidigung da, und wo Schüsse fallen, gibt es auch Opfer. Leider, auch zivile. Deswegen ist Krieg so schrecklich, deshalb muss er die größte anzunehmende Ausnahme sein.
Deutsches Völkerstrafgesetzbuch
Für die deutschen Soldaten würde sich mit dieser Klarstellung die Arbeitsgrundlage ändern. In einem bewaffneten Konflikt, der nach Völkerrecht zu beurteilen ist, gelten andere Regeln. Militärische und humanitäre. Das betrifft auch ganz persönlich das Verhalten von Oberst Klein. Handelte er als Soldat in einem Krieg, kann er in einem möglichen Verfahren ganz anders argumentieren, als wenn es "normales" Strafrecht wäre. Denn so hart es klingt: In einem bewaffneten Konflikt können nach deutschem Völkerstrafgesetz auch tote Zivilisten in Kauf genommen werden, wenn sie einem militärischen Ziel zum Opfer fallen und sich darauf ein "konkreter und unmittelbarer Vorteil" ergibt.
Jeder Mensch, der unschuldig getötet wird, ist und bleibt trotzdem ein Opfer zu viel, wie auch der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg es betont. Er gibt zugleich ein bisschen Anlass zur Hoffnung, dass er mit der verklärenden Argumentation seines Vorgängers aufräumen wird. Zum einen, weil er beim Luftschlag von einem militärisch angemessenen Mittel spricht. Zum anderen räumt Guttenberg zumindest ein, dass es in Afghanistan "kriegsähnliche Zustände" gibt. Er sollte jetzt den Mut haben, das Kind beim Namen zu nennen und die daraus resultierenden Konsequenzen zu tragen. Das nennt man politische Verantwortung.
Quelle: ntv.de