Zwischenruf Deutschlands Sieg mit Fragezeichen
12.10.2010, 20:43 UhrDer unstrittige Sieg Deutschlands sollte Anlass sein, die Hoffnungen gerade der Länder der Dritten Welt auf eine aktive, friedens- und entwicklungsfördernde Rolle der Bundesrepublik nicht zu enttäuschen.
Die Wahl Deutschlands als nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ist ein Erfolg bundesrepublikanischer Außenpolitik. Es ist gleichzeitig ein augenscheinlicher Beweis, dass die westlichen Staaten nicht mit einer Stimme sprechen. Wenn sich neben Deutschland auch das EU- und NATO-Mitglied Portugal sowie Kanada, gleichfalls Mitglieder des Atlantischen Bündnisses, bewerben, zeugt dies von arger Rivalität. Asien und Afrika haben sich problemlos auf ihre Kandidaten Indien respektive Südafrika geeinigt. Kolumbien erhielt die Stimmen Lateinamerikas, wo keine der linken Regierungen einen Gegenkandidaten aufgestellt hatte. Immerhin ist Kolumbien einer der wenigen verlässlichen Verbündeten der Vereinigten Staaten südlich des Río Grande.
Der unstrittige, wenngleich knappe, Sieg Deutschlands sollte Anlass sein, die Hoffnungen gerade der Länder der Dritten Welt auf eine aktive, friedens- und entwicklungsfördernde Rolle der Bundesrepublik nicht zu enttäuschen. Der Schlingerkurs des Entwicklungsministeriums muss korrigiert werden; die Zusicherung, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen darf nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden. Deutschland stünde es besser zu Gesicht, wenn es nicht Europameister im Waffenexport, sondern in der nichtmilitärischen Zusammenarbeit wäre. Nicht eine Aufstockung deutscher Militärkontingente im Ausland darf das Ziel sein, sondern Hilfe bei der Ausprägung der Zivilgesellschaften. Es verwundert, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande eines Besuchs in Bukarest als Begründung für den Anspruch auf einen nichtständigen Sitz im entscheidenden UNO-Gremium an erster Stelle anführt, dass Deutschland in der Beitragszahlung für die Weltorganisation die Nummer drei ist. Das ist beckmesserische Buchhaltermentalität. Dieses Land ist noch immer reich genug.
Wenn Bundesaußenminister Guido Westerwelle jetzt auf der Forderung nach einem ständigen Sitz Deutschlands mit Vetorecht beharrt, geht er an der Realität vorbei. Japan und Italien, nur um zwei Staaten zu nennen, sind aus unterschiedlichen Gründen dagegen. Den Ratschlag seines Mentors Dietrich Genscher zu befolgen, stattdessen einen ständigen Sitz der EU im Sicherheitsrat anzustreben, ist zwar ebenso unrealistisch. Die ans Kasperletheater erinnernden Streitigkeiten um den gemeinsamen außenpolitischen Dienst der Union sprechen Bände. Aber es könnte ein Beitrag sein, die zentrifugalen Kräfte Europas zu konterkarrieren. Auf dass bei der nächsten Wahl eines nichtständigen Mitglied des UNO-Sicherheitsrats der europäische Westen mit nur einem Kandidaten antritt.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de