
Lindner, Scholz und Habeck in Meseberg
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"Bald" und "in Kürze" will die Ampel ihr Entlastungspaket festschnüren. Ein direkter Anschluss an die Sommer-Entlastungen misslingt jedoch. Und was da kommt, entspricht wohl in weiten Teilen dem Instrumentenkasten aus dem Frühjahr. Für dauerhaft wirksame Konzepte fehlt es an Einigkeit und Ideen.
"Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte", heißt es im Volksmund. Aber wenn drei sich streiten, schaut das Volk mitunter in die Röhre. Zumindest wenn die drei SPD, Grüne und FDP heißen. Seit Monaten kündigt die Ampel ein drittes Entlastungspaket an, doch was auch immer da kommen mag: Es wird eine Lücke zu den im Frühjahr beschlossenen und über den Sommer wirksam gewordenen Maßnahmen des zweiten Entlastungspakets entstehen, auch wenn die Auszahlung des im April beschlossenen Energiegelds erst im September erfolgt. Der Berufspendler mit kleinem Einkommen bekommt mit den bis zu 300 Euro zwar den ab heute schon wieder sprunghaft teureren Sprit oder das Öffi-Ticket kompensiert. Er oder sie hat anschließend aber kaum noch etwas übrig für die bange erwartete Nebenkostenabrechnung. Und die hohen Lebensmittelpreise sind da noch gar nicht erwähnt.
Sehr viele Menschen starten mit Sorgen in den Herbst und die Ampel muss sich schon fragen lassen, wofür sie die vergangenen Monate eigentlich genutzt hat. Immerhin hat sich das "bald" und "in Kürze" am Donnerstag zu einem "in wenigen Tagen" gewandelt: Bis dahin soll laut SPD-Chefin Saskia Esken ein Paket fertig geschnürt sein. Dann müssen die Maßnahmen in den Bundestag und bis Jahresende wird es wohl gelingen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre "Inflationsprämie" erhalten oder zumindest einen ordentlichen Aufschlag aufs Transfergeld. Berichte über weitgehend ausfallende Weihnachtsfeste in Millionen Familien wird sich die Bundesregierung ersparen wollen.
Was sich aber abzeichnet, ist, dass die Koalition beim gleichen kleinteiligen Instrumentenkasten bleibt, mit dem sie schon im Frühjahr operierte; sie also in einem halben Jahr mit ihren Konzepten kaum weitergekommen ist. Strukturell dauerhafte Maßnahmen scheitern mal an mangelnder Einigkeit im Dreierbündnis, mal an fehlenden Ideen zur praktischen Umsetzung. Wobei letzteres mitunter nur ersteres verschleiern helfen soll.
Geht nicht, können wir nicht
Eine preislich gedeckelte Mindestversorgungsmenge für fossile Brennstoffe erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nach der Kabinettsklausur in Meseberg für voraussichtlich zu komplex in der Umsetzung. Zu einer Überweisung von Direktzahlungen an alle Bürgerinnen und Bürger werde Deutschland technisch frühestens in eineinhalb Jahren in der Lage sein, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner nach selbiger Klausur. Derweil zahlt Österreich ab diesem Monat auf genau diesem Weg allen Kontoinhabern im Land einen Klimabonus aus - das Äquivalent zum von der deutschen Ampel vereinbarten Klimageld, das ebenfalls auf sich warten lässt. Die Regierung wird also erneut zum etwas undurchsichtigen Instrument der Auszahlung über die Arbeitgeber greifen müssen, während Rentner und Studenten - die diesmal auch etwas erhalten - auf jeweils eigenen Wegen ihre Prämien erhalten. Alles machbar, aber kleinteilig, aufwendig und teuer.
Und die Fehlkonstruktionen im europäischen Strommarkt, die Lindner in Meseberg als "Rendite-Autopiloten" brandmarkte, bleiben auch erst einmal bestehen. Der neben Lindner stehende Bundeskanzler Olaf Scholz mochte lieber keine Einschätzung abgeben, ob die EU-Kommission trotz angeblich europäischer Einigkeit beim Thema noch in diesem Jahr eine Reform zustande bringt. Der Strompreis wird daher voraussichtlich hoch bleiben, obwohl Strom nur noch zu einem kleinen Teil aus dem tatsächlich teuer gewordenen Gas gewonnen wird.
Und was kommt als Nächstes?
Ein anderes Beispiel ist das 9-Euro-Ticket: Vier Monate hat die Ampel miteinander gerungen und ist bis heute nicht einig, wie genau es weitergehen soll. Die FDP hat gute Argumente, die Länder in die Pflicht zu nehmen und es nicht beim Billigticket für alle zu belassen. Dass ein bundesweites Monatsticket zu einem dauerhaft attraktiven Preis aber ganz sicher sozialpolitisch und in Teilen umweltpolitisch sinnvoll ist, ist keine Neuigkeit. Doch Bundesverkehrsminister Volker Wissing geht jetzt erst in die Verhandlungen mit den Ländern, wie der Nachfolger aussehen könnte. Niemand sollte sich Hoffnung machen, dass das Nachfolgeticket noch 2022 an den Start geht.
Weil also strukturelle, dauerhaft wirksame Entlastungsansätze nicht gefunden wurden, alle Beteiligten im Sommer aber viel Zeit darauf verwendeten, die eigene Klientel bedienende Forderungen in die Debatte einzubringen und so Verhandlungsmasse aufzubauen, ist die Ampel beim kommenden Entlastungspaket kaum weitergekommen. Es ist zwar wieder für jeden etwas dabei, aber verspätet und nur einmalig wirksam.
Ein viertes Entlastungspaket ist deshalb jetzt schon so sicher wie das Amen in der Kirche. Schließlich wird 2023 voraussichtlich wirtschaftlich nicht leichter. Lindner stellte schon einmal in Aussicht, dass er im kommenden Jahr einen Spielraum im zweistelligen Milliardenbereich reserviert habe. Die Bürgerinnen und Bürger werden dann erneut abwarten, welche Unterstützung ihnen der Staat diesmal gewährt, und sie müssen hoffen, dass sich auch die eigene Haushaltskasse als ausreichend geduldig erweist. Planungssicherheit und eine sozialpolitisch zuverlässige Politik sehen anders aus.
Quelle: ntv.de