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Deutschland, deine Volksverräter Die Hetzer haben das Wort

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Pegida-Anhänger meinen zu wissen, wer das Volk ist - und wer nicht dazugehört: die Kanzlerin.

(Foto: dpa)

Geht es ums Verunglimpfen des politischen Gegners, bedienen sich Populisten gern aus dem Sprachschatz der Nationalsozialisten. Auch das Unwort des Jahres, "Volksverräter", hat seinen Ursprung im Dritten Reich. Wer es heute benutzt, denkt die Strafe gleich mit.

Mit dem Wort "Volksverräter" hat sich die Unwort-Jury nach "Gutmensch" (2015) und "Lügenpresse" (2014) auch in diesem Jahr für einen Kampfbegriff neurechter Hetz-Rhetorik entschieden. Gut so. Dass dieses Wort Zuwanderungsgegnern, Populisten und Demagogen ebenso selbstverständlich über die Lippen geht wie "Wir sind das Volk!", darf nicht einfach schulterzuckend hingenommen werden. Denn solche Parolen sind nicht nur Ausdruck des Protests gegen die politische Elite - sie unterstellen auch, dass nur diejenigen, die sie auch aussprechen, Teil des "wahren" Volkes sind. Damit beanspruchen AfD, Pegida und Co. die Deutungshoheit über den Volkswillen für sich. Und das ist in vielerlei Hinsicht gefährlich.

In den Köpfen jener Demonstranten, die Vize-Kanzler Sigmar Gabriel bei Kundgebungen in den vergangenen zwei Jahren an den Galgen oder unter die Guillotine wünschten, ist das Wort "Volksverräter" längst verbunden mit einer klaren Vernichtungsmetaphorik. Sie glauben, der angebliche Ausverkauf deutscher Interessen zugunsten der Globalisierung oder des Multikulturalismus rechtfertige das. Sie irren sich. Der Tod als einzig gerechte Strafe für Verbrechen am deutschen Volk drohte zuerst (und zuletzt) im Nationalsozialismus - und zwar all jenen, welche "die politische Einheit, Freiheit und Macht des deutschen Volkes zu erschüttern" trachteten. Wer den Volksverrat heute aufgreift und meint, er verteidige mit dem Vorwurf die Souveränität des Volkes, ist entweder unglaublich naiv oder offen rechtsextrem.

Was Populisten gern verschweigen, ist, dass mit der Einheit des Volkes nicht etwa Einigkeit gemeint ist. Zu unserer modernen, pluralistischen Gesellschaft gehören Meinungsunterschiede und gegensätzliche Interessen ganz selbstverständlich dazu - und wer diese Vielfalt unter dem Vorwand, einem angeblich ganzheitlichen Volkswillen zu entsprechen, unterdrücken will, tut dies in der Regel nur für den eigenen Machtanspruch. "Das Einzige, was zählt, ist die Einheit des Volkes", hat der künftige US-Präsident Donald Trump im Wahlkampf gesagt. "All die anderen Menschen, die zählen nicht." Ganz nach dem Motto: Volk kommt von folgen.

Kein Interesse am Diskurs

Wer dazugehört und wer nicht - das entscheidet das selbsternannte Sprachrohr des "wahren" Volkes im Sinne seiner Gefolgschaft. Und die fühlt sich als Gemeinschaft von vermeintlich Zurückgelassenen endlich wieder stark. Trotzdem ist derjenige, der Politiker, Medienvertreter oder sogenannte Eliten als "Volksverräter" verunglimpft, längst nicht nur das Opfer von manipulativen Demagogen. Er wird selbst zum politischen Akteur - und gleichzeitig zum Verstärker einer sich bewusst abgrenzenden Ideologie, die gar kein Interesse mehr am Diskurs hat. Wer würde schon mit Volksverrätern verhandeln? In letzter Konsequenz fordern die vermeintlichen Patrioten ein Ende des demokratischen Willensbildungsprozesses. Und das ist ganz und gar nicht im Sinne des Volkes.

Doch das Unwort des Jahres 2016 allein als weitere Missbilligung für die Rhetorik der "besorgten Bürger" abzutun, wäre auch zu kurz gegriffen. Zum dritten Mal in Folge steht ein Feindbegriff der Rechtspopulisten an der Spitze des Unwort-Rankings - und das beweist auch: In den vergangenen drei Jahren haben es Politik, Medien und Gesellschaft nicht geschafft, den Menschenfängern vom rechten Rand die Grundlage für ihre Hassrhetorik zu entziehen. Vielmehr scheint es, als habe sich die Radikalität, mit der hierzulande über Flüchtlingskrise, Europapolitik und Terrorismus diskutiert wird, noch verschärft. Höchste Zeit also, dass wir zu einer sachlichen Sprache zurückfinden - nicht nur auf der Straße, sondern auch an der politischen Spitze. Wer das Wort "Volksverräter" verurteilt, darf auch nicht "Pack" rufen.

Quelle: ntv.de

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