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Harte Hand bei Klimaaktivisten? Ein Stau rechtfertigt keine Haftstrafe

Wenn Klimaaktivisten sich auf die Straße kleben, landen sie oft in Polizeigewahrsam. In vielen Fällen folgen Ermittlungen und Strafverfahren gegen sie.

Wenn Klimaaktivisten sich auf die Straße kleben, landen sie oft in Polizeigewahrsam. In vielen Fällen folgen Ermittlungen und Strafverfahren gegen sie.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Keine Frage: Die Klimaaktivisten fordern der Gesellschaft derzeit einiges ab. Die Rufe nach härteren Strafen werden daher lauter und haben es bereits bis in den Bundestag geschafft. Eine Strafverschärfung wäre aus rechtsstaatlicher Sicht jedoch genau der falsche Weg.

Da sind sie wieder. Alle paar Jahre, wenn jemand oder etwas den Moralvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft zu nah kommt, dauert es nicht lange, bis man sie hören kann: die schrillen Schreie nach einem härteren Strafrecht. Glaubt man Twitter-Einträgen, Facebook-Kommentarspalten oder den Aussagen einiger Politiker, sind härtere Strafen so etwas wie die Pauschallösung - etwa bei jeglicher Art von Sexualstraftaten oder bei Jugendlichen, die zu früh zu stark aus der Reihe tanzen. Oder eben gegen Aktivisten, die sich im Kampf gegen den Klimawandel auf die Straße kleben. Zwar ist bekannt, dass härtere Strafen nicht zu weniger Kriminalität führen. Allerdings scheint die Forderung nach der harten Hand des Staates für viele notwendig, um das Ungleichgewicht zwischen den eigenen Wertvorstellungen und der Realität auszuhalten.

"Ganz einfach ab in den Knast. Lebenslänglich", ist für einen Twitter-User etwa die logische Konsequenz für die "Klimachaoten". Für solche Positionen hagelt es Zustimmung. Ein bisschen zeitversetzt steigen dann, wie üblich, auch Politiker in die moralische Strafrechtsdebatte ein. Die Unionsfraktion legte bereits einen Antrag vor, der die gesellschaftliche Entrüstung ins Gesetz gießen will. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann sprach sich für Haftstrafen für Klimaaktivisten aus. Am Wochenende legte er nach: Sollte er zu dem Entschluss kommen, dass der bestehende Strafrahmen nicht ausreiche, "werde ich handeln". Was fast wie eine Drohung an die Strafjustiz klingt, füttert zwar die Haftpauschalisten, lässt den Rechtsstaat aber verhungern - aus mehreren Gründen.

Strafen müssen angemessen sein. Zwar wurden bereits dutzende Klimaaktivisten verurteilt, vor allem wegen Nötigung. Zum Ärger der nach Haft lechzenden Menge blieben die Richter jedoch im unteren Strafrahmen. Für die Blockade von Straßen oder Autobahnen gab es meist Geldstrafen im drei- oder unteren vierstelligen Bereich, manchmal Sozialstunden. Dabei sieht der Nötigungstatbestand durchaus eine Höchststrafe von drei Jahren Gefängnis vor. Die Krux liegt hier - wie so oft im Rechtsstaat - ganz vorne im Grundgesetz, in der Menschenwürde. Aus ihr leitet sich der Schuldgrundsatz (nulla poena sine culpa - keine Bestrafung ohne Schuld) ab. Meint: Die Richter müssen ihre Strafzumessung unbedingt auf Grundlage der Schuld machen.

Die Justiz hat alle Mittel

Strafen, vor allem Freiheitsstrafen, sind die größten Eingriffe des Staates in die Grundrechte des Bürgers. Sie müssen also vor allem im Verhältnis zu dem verletzten Rechtsgut stehen. Anders ausgedrückt: Die Klimaaktivisten haben durch ihre Blockaden in den meisten Fällen 30- bis 60-minütige Staus ausgelöst. Bei aller Liebe für die Autofahrer in Berlin, München und Köln: Das rechtfertigt keine Haftstrafe. Bei den Kartoffelbrei-Angriffen auf Gemälde wurden bisher nur die Rahmen beschädigt. Das ist sicherlich eine Sachbeschädigung, allerdings rechtfertigt es eine Gefängnisstrafe ebenso wenig.

Schon gar nicht, wenn man das meist fehlende Vorstrafenregister und die Motivation der Aktionen miteinbezieht. Denn auch das gehört zum Schuldgrundsatz: Bei der Strafzumessung spielt es eine Rolle, ob die Aktivisten 100.000 Euro für sich selbst erpressen oder die Welt vor der Klimakrise retten wollen. Das hat nichts mit mangelnder Härte der Justiz oder persönlichen Präferenzen der Richter zu tun, sondern ist Prinzip des Rechtsstaats.

Das Hauptargument der Befürworter harter Strafen für die Klimaaktivisten ist die Wiederholungs- und viel zitierte Radikalisierungsgefahr. Alexander Dobrindt sprach gar von einer sich bildenden "Klima-RAF". Kleiner hatte es der CSU-Politiker wohl nicht. Abgesehen davon, dass die Klimaaktivisten nicht darauf abzielen, Angst und Schrecken zu verbreiten, lohnt es sich, dieses Gedankenspiel einmal mitzuspielen: Selbst wenn sich die Aktivisten radikalisieren oder ein Teilnehmer zum wiederholten Mal vor Gericht landet, hat die Justiz alle Mittel, darauf zu reagieren. Sie kann im - bereits vorhandenen - Strafrahmen hochfahren, andere Delikte in Betracht ziehen und - wie jetzt auch schon - zivilrechtliche Schadensersatzansprüche durchbringen.

Moral hat nichts mit Strafrecht zu tun

Zudem sind die Aktionen der "Letzten Generation" auch nichts, was die Justiz überfordern würde. Im Gegenteil: Nach den Straßenblockaden der 80er-Jahre hat das Bundesverfassungsgericht die Strafbarkeit solcher Aktionen und das Grundrecht der Versammlungsfreiheit jahrelang austariert. Kurzum: Die Justiz hat alle Mittel, um den Klimaaktivisten angemessen zu begegnen. Sie tut es bereits. Härtere Strafandrohungen sind nicht nur überflüssig, sondern kommen auch den Grundrechten der Aktivisten gefährlich nah.

Natürlich steht es jedem, der schon einmal wegen der Klimaaktivisten einen Termin verpasst hat, frei, seinem Ärger Luft zu machen. Ebenso Kunstliebhabern und all jenen, für die bei Sekundenkleber und Kartoffelbrei eine rote Linie überschritten ist. Nur hat diese Moral eben wenig mit dem Strafrecht zu tun. Im Gegenteil: Der Staat muss sie sogar weitgehend ausblenden -aus zwei Gründen. Zum einen ist es gerade der Kern eines Rechtsstaates, die Grundrechte und Schutzrechte seiner Bürger zu achten - vor allem dann, wenn die laute Menge dagegen ist.

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Zum anderen ist das Strafrecht in erster Linie darauf ausgelegt, Rechtsgüter zu schützen. Es soll weder die Gesinnung der Täter bestrafen, noch die Moral der Menge schützen. Das sah in dunklen Zeiten der deutschen Rechtsgeschichte mal ganz anders aus und gilt - gerade deswegen - heute ganz objektiv. Für Klimaaktivisten ebenso wie für Gegner der Corona-Maßnahmen, die gegen das Infektionsschutzgesetz verstoßen oder Demonstranten, die russische Propaganda ins Mikrofon brüllen.

Weder die Union noch der Bundesjustizminister sollte dem aktuellen Schrei nach Strafverschärfung nachgeben. Denn dass die Klimaaktivisten bisher nicht im Knast landen, ist kein Ausdruck einer laschen Justiz oder löchrigen Gesetzeslage. Es zeigt vielmehr, dass der Rechtsstaat funktioniert.

Quelle: ntv.de

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