Seehofers Irrweg Langsam wird's peinlich
02.07.2018, 11:16 Uhr
Ist Horst Seehofer in einer Woche noch Innenminister?
(Foto: AP)
Horst Seehofer will zurücktreten und dann doch nicht. Erst führt der Bundesinnenminister das Land in eine völlig unnötige Regierungskrise, dann demonstriert er selbst im Abgang maximale Inkonsequenz.
Spulen wir mal kurz 230 Tage zurück, mitten hinein in den Höhepunkt der Jamaika-Verhandlungen. Und stellen wir uns vor, FDP-Chef Christian Lindner hätte den Abbruch der Gespräche verkündet und anschließend doch noch eine Koalition geschlossen. Es wäre keine gute Basis für eine vertrauensvolle Bundesregierung gewesen. Etwas Ähnliches ist im Asylstreit der Unionsparteien nun geschehen. Auf dem Höhepunkt des wochenlangen Konfliktes hat Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer in einer Gremiensitzung am Sonntag den Rücktritt von seinen Ämtern verkündet - und sich anschließend offenbar überreden lassen, das vorerst doch nicht zu machen.
Als Zuschauer mag man nicht mehr hingucken. Das Verhalten der CSU-Spitze hat die Grenze zur Peinlichkeit überschritten. Einer Partei, die sich als Stimme der Vernunft versteht, ist das längst nicht mehr würdig.
"Am Riemen reißen"
Der Innenminister könne so nicht handeln, wenn er im Amt bleiben will, das hat der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther gestern Abend bei Anne Will gesagt. "Die sollten sich ein Stück am Riemen reißen." Selbst in der disziplinierten CDU stößt die Geduld mit der schwierigen Schwesterpartei langsam an ihre Grenzen. Für sie wie auch für die Sozialdemokraten stellt sich die Frage: Wie soll man mit dieser CSU noch vertrauensvoll zusammenarbeiten? Geht das überhaupt? Spätestens seit dem Hickhack am Sonntag ist die bayerische Partei nicht mehr zumutbar.
Die CSU stellt sich selbst und ihren Erfolg bei der Landtagswahl über alles andere. Sie nimmt dafür sogar den Bruch der Koalition in Kauf. Und wofür? Für Seehofers Masterplan Migration, den außer der CSU-Spitze noch immer niemand kennt, nicht einmal Unionsfraktionschef Volker Kauder. Am Wochenende twitterten CSU-Politiker das Deckblatt des Plans. Dass Horst Seehofer darauf als "Vorsitzender der Christlichen-Sozialen-Union" und nicht als Bundesinnenminister genannt wird, ist nur bezeichnend.
Das Vorgehen Seehofers ist dabei durch nichts zu rechtfertigen. Im Herbst einigten sich CDU und CSU auf das Regelwerk Migration. Zurückweisungen an der Grenze waren darin nicht vereinbart. In der Pressekonferenz erklärte Seehofer damals, dass dafür die Dublin-Regeln geändert werden müssten. Im Koalitionsvertrag verständigten sich Unionsparteien und SPD auf ihre gemeinsame Flüchtlingspolitik, darunter auch eine maximale Spanne für Zuwanderungen im Jahr und Regelung zum Familiennachzug, nicht jedoch auf Abweisungen an der Grenze. Diese versucht die CSU jetzt aber mit Gewalt und ohne Rücksicht auf Verluste durchzudrücken. Völlig ohne Not, denn in den vergangenen Monaten gab es keinen Anstieg der Einwanderungszahlen, der dies begründen würde. Die CSU hat diese eskalierte Regierungskrise deshalb allein zu verantworten.
Seehofer macht Politik für AfD-Anhänger
Seehofer beruft sich gern darauf, Politik für "die Bevölkerung" zu machen. Doch einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge halten zwei Drittel der Deutschen sein Vorgehen für verantwortungslos. Nur unter AfD-Anhängern gibt es eine Mehrheit für Seehofers Position. Sie sind es, für die er Politik macht. Selbst unter CSU-Anhängern wollen 49 Prozent wie Merkel eine europäische Lösung, nur 48 Prozent sind für Seehofer. Auch in anderen Umfragen stürzt die CSU ab. Bei einer Bundestagswahl würde sie in Bayern heute nur noch 34 Prozent erreichen und damit fast fünf Prozentpunkte weniger als noch im September 2017. Bundesweit entspräche das übrigens einem mickrigen Ergebnis von fünf Prozent. Das Auftreten der CSU ist also nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch strategisch höchst unklug.
Die CSU-Spitze irrt, ist aber zu stolz, ihren Fehler einzugestehen. Seehofer sprach im Parteivorstand am Sonntag offenbar von drei Optionen: nachgeben und Glaubwürdigkeit verlieren, hart bleiben und den Bruch der Fraktionsgemeinschaft riskieren oder persönliche Konsequenzen ziehen. Seehofer hat sich für diese letzte Option entschieden und dann auf internen Druck plötzlich einen Rückzieher gemacht. Aber was nun? Diese Koalition kann nicht einfach weitermachen und so tun, als wäre nichts gewesen - weder mit Seehofer noch ohne. Der hat seine Partei in eine Situation manövriert, in der das schlicht nicht mehr möglich ist.
Zum Streit zwischen CDU und CSU gibt es auch bei ein n-tv ein News Spezial "Machtkampf in der Union" um 13.30, 14.30, 16.30 und 17.30 Uhr.
FDP-Chef Lindner hat den Ausstieg aus den Jamaika-Verhandlungen am 19. November folgendermaßen begründet: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Dafür hat er viel Kritik einstecken müssen. Die CSU demonstriert nun eindrucksvoll, dass Lindners Satz gar nicht so schlecht war.
Quelle: ntv.de