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Debatte über Waffenlieferungen Nur für den Frieden zu sein, ist keine Haltung

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Die Mutter des 31-jährigen gefallenen ukrainischen Soldaten der Territorialen Verteidigung, Oleksandr Mozheiko, trauert am Grab bei seiner Beerdigung.

Die Mutter des 31-jährigen gefallenen ukrainischen Soldaten der Territorialen Verteidigung, Oleksandr Mozheiko, trauert am Grab bei seiner Beerdigung.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Deutschland debattiert aufgeregt den Kurs der Bundesregierung in der Ukraine. Die Diskussion ist aber zunehmend von Verkürzungen und Schwarz-Weiß-Denken geprägt, die der Ernsthaftigkeit der Lage nicht gerecht werden.

Irgendwie haben wir es alle wieder versemmelt: Die Welt wird Zeuge, wie jeden Tag Zivilisten in der Ukraine durch den russischen Angriffskrieg getötet werden, sie blickt in den Abgrund eines atomaren Weltkriegs und die öffentliche Debatte in Deutschland reduziert sich auf ein Schwarz-Weiß-Denken: für oder gegen die Lieferung schwerer Waffen an die ukrainischen Streitkräfte. Dem gegnerischen Lager wird dabei vorgeworfen, wahlweise den neo-imperialistischen Ambitionen Putins den Weg zu ebnen oder in tumber Kriegsbegeisterung die nukleare Vernichtung zu provozieren. Als ob es so einfach wäre.

Gerade weil die Staatengemeinschaft in diesen Wochen vor so existenziellen Herausforderungen steht und Deutschland seine Außen- und Sicherheitspolitik auf Jahrzehnte neu ausrichten muss, ist eine breite Debatte notwendig, die Sorgen und Überlegungen aller Beteiligten gelten lässt. Diese Diskussionen mit der gebotenen Toleranz für gegensätzliche Positionen zu führen, unterscheidet uns als Demokratie nicht nur vom russischen Obrigkeitsstaat, sondern ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unerlässlich. Meinungsvielfalt schwächt uns nicht.

Warnungen vor einem Atomkrieg damit zu diskreditieren, sie würden Putin in die Hände spielen, verbietet sich. Diese Ängste sind berechtigt, real vorhanden und sie müssen unbedingt adressiert werden. Vor diesem Hintergrund ist es auch richtig, wenn Medienschaffende, Wissenschaftler und Künstler sich wie in dem von Alice Schwarzer initiierten Brief zu Wort melden. Die breite Resonanz ist Ausdruck des allgemeinen Redebedarfs. Wen lassen dieser Krieg und der Umgang der Bundesregierung damit schon unberührt?

Unwohlsein mit den Verbündeten

Das Unbehagen gehört auch in der Kriegsberichterstattung reflektiert: Die westlichen Bilder aus dem Krieg sind geprägt von der großen medialen Kompetenz der ukrainischen Seite. Das macht die Bilder nicht weniger wahrhaftig und rüttelt auch nicht an den Fakten, wer Täter und wer Opfer ist. Aber dass es etwa nur Fotos von getöteten russischen Soldaten, nicht aber von ukrainischen gibt, ist ein Beispiel von vielen für eine optische Verzerrung des Kriegsgeschehens. Sie nährt bei manch einem Befürchtungen vor einer medialen Einheitsfront und einem unreflektierten, von interessierten Kreisen befeuerten Kriegsenthusiasmus.

Es ist auch legitim, dass Menschen sich unwohl fühlen, Teil eines plötzlich geschlossen agierenden NATO-Bündnisses zu sein, das Russland zurück in seine Schranken weisen will - in die Schranken, der nach dem Ende der Sowjetunion vereinbarten europäischen Grenzen. Der zweite Irakkrieg, die exzessiven Kampfdrohneneinsätze in Afghanistan und Pakistan oder das Folterlager Guantanamo haben die USA in den Augen vieler Menschen als moralische Instanz diskreditiert.

Dass die milliardenschweren Waffenlieferungen Washingtons an die Ukraine den für US-Präsident Joe Biden nützlichen Nebeneffekt eines gigantischen Konjunkturprogramms haben, hat vor diesem Hintergrund einen Beigeschmack. Und dass einer der NATO-Staatschefs der türkische Diktator Recep Tayyip Erdogan ist, dessen Armee in den kurdischen Gebieten der Türkei, in Syrien und im Irak schwere Verbrechen gegen Menschen- und Völkerrecht verübt hat, macht die westliche Militärallianz nicht glaubwürdiger.

Der Brief ist berechtigt, aber irrt gewaltig

Es gibt also gute Argumente, sich jedwedem Kriegsgeheul zu versperren. Auch weil keineswegs eindeutig ist, worauf eine Befeuerung des Ukraine-Kriegs durch eine Stärkung der ukrainischen Kapazitäten zur Selbstverteidigung hinauslaufen soll. Dass Putin irgendwann ein Einsehen in die militärische Aussichtslosigkeit seines Angriffskriegs hat und seine Armee hinter die Grenzen von vor dem 24. Februar zurückzieht, ist eine ebenso gewagte Wette, wie die Hoffnung auf einen Regime-Wechsel in Moskau. Wie für die Möglichkeit einer atomaren Eskalation gilt: Kann sein, muss aber auch nicht. Waffenbefürworter wie -gegner sind in Erklärungsnot, wie das Ende dieses Krieges aussehen könnte, so ist der Waffenstreit auch ein Stück weit eine Ersatzdebatte für eine noch viel schwierigere Frage.

Dass Deutschland in Medien und am Stammtisch, im Partei-Ortsverband und im Sportverein intensiv debattiert, ist angesichts dieser breiten Unsicherheit nur logisch. Leider hat der von Schwarzer initiierte Brief dieser Debatte wegen eklatanter inhaltlicher Schwächen keinen Gefallen getan: Dass der Eindruck erweckt wird, Deutschland müsse notfalls mit Russland über die Köpfe der ukrainischen Regierung hinweg verhandeln, um einen Waffenstillstand zu ermöglichen und so weiteres Leid zu verhindern, ist ein Affront gegen das Selbstbestimmungsrecht aller Völker - ein Unding angesichts des historischen Erbes der Bundesrepublik.

Alle wollen Frieden

Auch die Unterstellung, wer einer stärkeren Bewaffnung der Ukraine das Wort rede, versperre sich diplomatischen Lösungen, wird der Faktenlage nicht gerecht. Nicht der Westen hat den Verhandlungstisch verlassen, sondern Moskau - und der Kreml bietet seither keinerlei Ansatzpunkte, um den Gesprächsfaden wieder neu zu knüpfen. Wer in dieser Situation eine Verhandlungslösung fordert, muss auch sagen, wie das gehen soll, ohne über Kiews Hoheitsrecht hinweg Putin schon vorab die Bereitschaft zu Gebietsverzichten zu signalisieren. Der muss sagen, wie Putin künftig von weiteren militärischen Überfällen und der Unterwerfung einigermaßen frei lebender Menschen unter sein mehr und mehr faschistisches System abgehalten werden kann, wenn nicht mit militärischen Mitteln.

Nur für den Frieden zu sein, ist - wie schon nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs - keine Haltung. Den will nämlich in Deutschland fast jeder Verantwortungsträger und Diskussionsteilnehmer. Wenn wir das einander zugestehen, wäre die Debatte über das richtige Regierungshandeln schonmal einen Schritt weiter.

Quelle: ntv.de

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