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Truppen für die Ostflanke Putin zwingt die NATO zur Zeitenwende

Gestärktes transatlantisches Bündnis: US-Präsident Biden (l.) im Gespräch mit Kanzler Olaf Scholz. Im Hintergrund: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Gestärktes transatlantisches Bündnis: US-Präsident Biden (l.) im Gespräch mit Kanzler Olaf Scholz. Im Hintergrund: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

(Foto: dpa)

Die Vereinbarungen der NATO-Russland-Grundakte sind Geschichte. Die NATO verstärkt langfristig die Ostflanke, schickt Truppen in ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten. Es ist keine Provokation, sondern eine Reaktion auf den russischen Krieg.

Die NATO schafft Fakten. Nicht nur Geschlossenheit demonstrieren die 30 Mitgliedstaaten des Nordatlantikpakts auf ihrem Gipfel in Brüssel. Sie reorganisieren auch die Aufstellung an der östlichen Grenze. Es geht nicht mehr um ein paar Hundert Soldaten der Enhanced Forward Presence in Baltikum oder Polen, die mehr Feigenblatt denn Abschreckung sind. Es geht um eine "langfristige Neuaufstellung", wie es NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagt.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat im Bündnis zu einem Umdenken geführt. Die Sorgen der osteuropäischen Partner, lange zur Kenntnis, aber kaum ernst genommen, rücken in den Vordergrund. Was vor wenigen Monaten noch undenkbar war, geschieht: Die NATO will vier neue Gefechtseinheiten nach Bulgarien, Rumänien, Ungarn und in die Slowakei entsenden. Sie zeigt damit Präsenz von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Es ist nicht weniger als eine Zeitenwende für das Bündnis.

Die NATO-Russland-Grundakte von 1997 ist damit endgültig gescheitert. Sie sollte acht Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer die Beziehungen zwischen dem Nordatlantikpakt und Russland auf eine neue Grundlage stellen, gleichzeitig aber russische Bedenken gegen eine Osterweiterung des Bündnisses beruhigen. Doch ein wirkliches Vertrauensverhältnis ist nie entstanden - was nicht einer Seite einseitig angelastet werden kann, auch die NATO ist kein Knabenchor.

"Elektroschock" für "hirntote" NATO

Dass die NATO die Grundakte nun hinter sich lässt, hat dagegen einen klaren Grund: den russischen Überfall auf die Ukraine. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Russlands Präsident Wladimir Putin diese Zeitenwende ausgelöst hat. Er, der seit Jahren gegen eine vermeintliche Bedrohung Russlands durch die NATO wettert, sorgt mit seinem Befehl zum Angriff auf die Ukraine dafür, dass das Verteidigungsbündnis stark wie lange nicht ist. Dazu gehört nicht nur die massive Stärkung der Ostflanke - auch in Russland-freundlichen Ländern wie Bulgarien und Ungarn -, sondern auch die militärische Unterstützung für die Ukraine, für Georgien und Bosnien-Herzegowina. Mit der Aufforderung an China, den Krieg nicht zu unterstützen, weitet die NATO sogar den Blick über Europa hinaus.

Während Putin seinen Angriffskrieg mit historischem Geschwurbel und völkischem Denken zu begründen sucht, während er unverhohlen mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, zeigt die NATO klare Kante: Man werde "das Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv erheblich stärken und das gesamte Spektrum an einsatzbereiten Streitkräften und Fähigkeiten weiterentwickeln", heißt es in der Erklärung der Bündnisstaaten.

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Zwar will sich das Nordatlantikbündnis keinesfalls in diesen Krieg hineinziehen lassen. Doch es warnt auch unmissverständlich vor einer weiteren Eskalation: Der Einsatz chemischer oder biologischer Waffen durch Russland hätte "schwerwiegende Konsequenzen", sagte Stoltenberg, der wegen des Krieges ein Jahr länger im Amt bleibt.

Noch 2019 erklärte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die NATO für "hirntot". Kürzlich nannte er den Krieg in der Ukraine einen "Elektroschock", der das Bündnis aufgeweckt habe. Es präsentiert sich geeint und entschlossen. Das ist Putins Verdienst.

Quelle: ntv.de

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