Wo ist der Respekt geblieben?Trumps "Ahnengalerie" am Weißen Haus - eine Frechheit
Ein Aufschrei von Sabine Oelmann
Die Bildergalerie am Weißen Haus mit allen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ist mehr als Trumpscher Unfug. Sie ist eher wie ein Gang zum Schafott, findet die Autorin.
Als ich heute Morgen die Nachricht las "Trump hängt seine Meinung über Vorgänger im Weißen Haus aus" wusste ich noch nicht, wie schlimm das ist, was der aktuelle Präsident der Vereinigten Staaten da wieder angestellt hat. Ich musste es jedoch nur einen sehr kurzen Moment sacken lassen, um festzustellen, dass es an Unverschämtheit nicht zu überbieten ist.
Als gäbe es keine Grenzen mehr. Keine Grenzen des guten Geschmacks, des Anstandes, des Respekts. Eltern bringen ihren Kindern doch bei, dass sie anderen Menschen gegenüber respektvoll sein sollten. Donald Trumps Eltern müssen auf der ganzen Linie versagt haben. Oder wie sagte seine Nichte Mary Trump 2020 so schön in einem Interview mit der ARD, als sie ein Buch über ihren Onkel schrieb, "das ich vielleicht lieber doch nicht hätte schreiben sollen": "Wissen Sie, er wird sich nicht wie ein Präsident verhalten. Er wird nicht anfangen, sich um etwas zu kümmern, das über seine eigenen Interessen hinausgeht." Und sie ergänzte: "Er ist gefährlich wegen der Position, die er innehat, und wegen der Macht, die sich aus dieser Position ergibt. Und das nicht nur in Bezug auf die schiere Macht."
Sie sagte außerdem: "Wir haben gesehen, dass er bereit ist, Bündnisse zu brechen, die wir über Jahrzehnte geschmiedet haben. Wir haben gesehen, dass er bereit ist, einseitig aus Verträgen auszusteigen, die uns alle schützen und an deren Zustandekommen jahrelang gearbeitet wurde. (…) Und darüber hinaus - und damit habe ich vor vier Jahren nicht gerechnet - ist er auch deshalb gefährlich, weil so viele Menschen in der Regierung der Vereinigten Staaten ihn weiterhin unterstützen und über seine ungeheuerlichen Verhaltensweisen hinwegsehen oder diese sogar befürworten."
Gang zur Guillotine
Und genau das ist es, was mich heute Morgen so fassungslos gemacht hat – dass wir einfach darüber hinwegsehen können, was der feine Herr sich wieder für einen Quatsch erlaubt. Dass wir es abnicken, dass wir es einfach als Trumpschen Unsinn verbuchen. Aber nein, der Mann ist gefährlich! Stellen Sie sich vor, Friedrich Merz würde Bilder am Kanzleramt aufhängen von Olaf dem Blassen, Angie, der Mutti ohne eigene Kinder, Schröder, dem "Am-Zaun-Rüttler", und bei Angela Merkel wären nur zwei zur Raute gefaltete Hände zu sehen statt ihres Konterfeis. Es würden dort Texte prangen, die die Menschen, die wir, das Volk, seit einigen Jahren zu unseren Anführern gewählt haben, in Misskredit bringen. Nicht, dass alles immer richtig gelaufen wäre, aber eine Galerie wie diese am Weißen Haus ist nicht einfach nur eine Galerie, es ist wie ein Gang zur Guillotine.
Ja, alle Präsidenten und ihre Gattinnen haben ihrem Amtssitz gern einen persönlichen Touch gegeben. Manche brachten Hunde, manche brachten Enkelkinder mit, einige ihre noch schulpflichtigen Kinder. Sie dekorierten Weihnachtsbäume und begnadigten Truthähne. Sie spielten auf dem Rasen oder pflanzten Gemüse. Sie luden Gäste ein und machten Rundgänge, wissend, dass dies ein Heim auf Zeit sein würde. Ein Heim, das einen Nachmieter finden würde, sobald sie selbst abgewählt würden oder ihre Zeit um war.
Der aktuelle Präsident aber hat bereits einen großen Teil des Weißen Hause abgerissen und ersetzt ihn nun durch einen Güldenen Ballsaal. Ganz im Stile eines Sonnenkönigs. Auch sein restliches Handeln spricht allzu oft für ein royales Gebaren im negativsten Sinne - diktatorisch, unsensibel und unverschämt. Nun hat er in der Kolonnade des Weißen Hauses, in dem Porträts von ihm und seinen Vorgängern gezeigt werden, Kommentierungen ergänzen lassen. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt, erklärt: "Die Gedenktafeln enthalten aussagekräftige Beschreibungen der einzelnen Präsidenten und ihres Vermächtnisses. Als Geschichtsinteressierter wurden viele davon direkt von dem Präsidenten selbst verfasst." Siri, ersetze "Geschichtsinteressierter" durch "Geschichtsverklärer", dann wird ein Schuh draus, möchte man über den Atlantik rufen.
Wie Kim Jong-trump Geschichte schreibt
Diese Tafeln sind jedoch nichts anders als eine kindische Abrechnung mit seinen Vorgängern. So mies schrieb nicht mal Bridget Jones in ihren Tagebüchern über ihre Feinde, ihre Kilos oder ihren Liebeskummer. Kleines Beispiel gefällig? "Sleepy Joe war mit Abstand der schlechteste Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten", steht auf der Tafel zu Ex-US-Präsident Joe Biden. "Er trat sein Amt infolge der korruptesten Wahl an, die die Vereinigten Staaten je gesehen haben." Eine Lüge. Aber wen kümmert's, wenn Kim Jong-trump die Geschichte der USA neu erfindet?
Barack Obama war laut Trumps Tafel eine der "am meisten spaltenden" politischen Figuren des Landes. Trump wirft ihm vor, dass er "höchst ineffektive Gesetze zur 'unerschwinglichen Gesundheitsversorgung'" verabschiedet und er "das einseitige Pariser Klimaabkommen" unterzeichnet hat.
Zu Bill Clinton fällt ihm vor allem ein, dass seine Frau, Hillary Clinton, "die Präsidentschaftswahlen gegen Donald J. Trump" 2016 verloren hat. Zur Lewinsky-Affäre kein Wort - ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Zu den Urvätern der amerikanischen Demokratie, den Toten und den ersten Präsidenten der USA fallen Trumps Kommentare eher kurz und nüchtern aus. So weit geht seine Liebe zur wahren Geschichte dann auch wieder nicht.
Wie dem auch sei - dies ist der Untergang des Abendlandes. Jegliche Formen des Anstands, der Höflichkeit, der Erziehung werden mit Füßen getreten. Ein Mann, dem zum Mord an Regisseur Rob Reiner und seiner Frau nichts weiter einfällt, als ihn im Nachhinein für seine Ansichten und Lebensweise zu bashen, ein Mann, der über Frauen vor allem denkt "Grab 'em by the pussy" (Greif ihnen in den Schritt), ein Mann, der eine Rede zur Nation mit 90 Prozent Eigenlob füllt und sich jeden Morgen - so sieht es zumindest aus - orange anstreicht, ein Mann, der es für einen Ausdruck seiner selbst hält, stets in einem blauen Anzug, einem weißen Hemd und einer roten Krawatte seinen Bezug zum Nationalheiligtum der Amerikaner - ihrer Flagge - herzustellen, dieser Mann ist Präsident des mächtigsten Landes der Welt.
Keiner kommt an ihm vorbei. Er muss überall mitreden. Viele lieben oder achten ihn. Welches Virus ist nach Covid in die Menschheit gefahren, dass sie einem wie ihm zujubeln?
Ich bin fassungslos. Ich schreibe "ich", auch wenn ich weiß, dass es vielen anderen genauso geht wie mir. Aber es sind nicht genug! Aus diesem Text spricht die reine Verzweiflung, und auch die pure, nackte Angst. Die Vorstellung, dass die Geschicke - und die Geschichte - der Welt in den dicken, sicher schwitzenden Händen dieses Mannes liegen, macht mir große Angst.
Eigenlob stinkt
"DAS BESTE KOMMT ERST NOCH" steht unter Donald Trumps Bild - und das ist kein Versprechen. Das ist eine Drohung. "EIN ALBTRAUM" oder "UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER" steht über meinem morgendlichen Erwachen.