Zwischenruf Von "Big Brother" zu "Little Sister"?
25.08.2010, 14:34 Uhr
Die Bundesregierung bringt ein Gesetz für besseren Datenschutz für Arbeitnehmer auf den Weg.
(Foto: dpa)
Ein Gesetzentwurf soll Firmen, die ihre Mitarbeiter bespitzeln, Einhalt gebieten. Doch Reglementierung allein hierzulande ist unzureichend. Deutschland sollte einen Schritt weitergehen.
Arg schwerfällig war das Bundeskabinett, als es darum ging, den Datenschutz von Arbeitnehmern neu zu regeln. Fast zwei Jahre sind vergangen, seit der erste Fall beim Lebensmitteldiscounter Lidl publik wurde. Der heute vorgelegte Gesetzentwurf war mithin mehr als überfällig. Der Kernpunkt des Papiers führt die Rechte der Beschäftigten auf Artikel 1 Grundgesetz zurück. Denn: Unternehmen, die Teil unseres Lebens geworden sind, hatten die Würde des Menschen in nachgerade schamloser Weise angetastet. Lidl, Kaiser’s, Edeka, Deutsche Bahn und Telekom werden sich künftig hüten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Toilette, in Umkleideräumen und/oder am Arbeitsplatz mit der Kamera zu verfolgen und ähnliches mehr.
Unklare Formulierungen – wie etwa beim Zugriff auf das E-Mail-Konto - zeigen aber schon in Richtung möglicher Probleme. Und: Wer will kontrollieren, ob ein Arbeitgeber Bewerber im Internet nicht auch über die "sozialen" Netze gecheckt hat?
Blick über den Tellerrand
Schon laufen Vertreter der Wirtschaft Sturm gegen den Entwurf. Der Sturm wird sich bis zur Verabschiedung im Bundestag wohl zum Orkan ausweiten. Doch aus dem großen Bruder darf keine kleine Schwester werden. Schon die Forderung, heimliche Videobeobachtung beim konkreten Verdacht einer Straftat zuzulassen, ist unerhört. Die Entscheidung über einen konkreten Tatverdacht fällt in die staatshoheitliche Kompetenz der Strafverfolgungsorgane. Der Filialleiter einer Supermarktkette ist kein Kriminalkommissar. Das Verlangen nach versteckten Kameras in Lagerräumen ist legitim. Doch auch hier gibt es Grauzonen, etwa wenn sich das Büro des Lagerverwalters in der Lagerhalle befindet.
Bei den Unternehmen, die Anlass geben, den Datenschutz von Arbeitnehmern neu zu regeln, handelt es sich nicht um Klitschen im Gewerbegebiet von Kleinkleckersdorf, sondern um europa-, ja weltweit tätige Konzerne. Reglementierung allein hierzulande ist unzureichend. Deutschland sollte im Rahmen der Europäischen Union eine Regelung anstoßen, damit menschenverachtende Praktiken deutscher Unternehmen – zunächst – im europäischen Ausland ebenso verboten werden wie bei uns.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de