Person der Woche Baerbocks Außenpolitik mit dem Zeigefinger funktioniert nicht
17.10.2023, 11:11 Uhr Artikel anhören
Die Außenministerin war einst Medienliebling. Ihre coolen Auftritte für eine werteorientierte und feministische Außenpolitik wirkten stark. Doch mit den blutig werdenden Konfliktlagen gerät Baerbock ins Straucheln.
Sigmar Gabriels Kritik ist nicht nur deutlich, sie ist verheerend. Der Ex-Außenminister wirft seiner Nach-Nachfolgerin Annalena Baerbock vor, sie betreibe "Außenpolitik mit Megafon", sie achte nur auf ihre mediale Show, nicht aber auf echte Erfolge ihrer Politik. "Wenn Sie wie Frau Baerbock von Montag bis Freitag den Chinesen vors Schienbein treten, werden Sie nicht weit kommen", sagte Gabriel Ende September im Interview mit dem Medienhaus Table.Media. Eine Außenministerin solle nicht "unmittelbare Gespräche weniger wichtig nehmen als Interviews". Nicht markige Worte und clevere Medienarbeit, sondern Realpolitik und Diplomatie seien Pflicht für eine Außenministerin. "Diplomatie ist kein Werkzeug aus der Mottenkiste der Metternich-Politik", belehrt er Baerbock und zieht ein vernichtendes Fazit: "Außenpolitik mit dem Megafon hat meist nur eine innenpolitische Reichweite."

Außenministerin Baerbock am vergangenen Freitag mit ihrem israelischen Kollegen Eli Cohen (r.) in der südisraelischen Stadt Netivot.
(Foto: IMAGO/photothek)
Die brachiale Kritik ist ungewöhnlich, weil normalerweise gerade diplomatisch geschulte Außenminister ihren Nachfolgern niemals die Leviten lesen. Im Auswärtigen Amt schlug der Affront daher ein wie eine politische Bombe. Gabriel ist schließlich nicht irgendwer, er war Vizekanzler, Außenminister, SPD-Parteichef und ist heute als Vorsitzender der Atlantikbrücke außenpolitisch immer noch einflussreich - bis tief hinein in höchste Stellen der Regierung. Nicht wenige im Kanzleramt teilen seine Kritik hinter vorgehaltener Hand.
Die Trefferwirkung von Gabriels Angriff ist im Außenministerium auch deshalb so heftig, weil man dort weiß, dass Gabriel nur den allseitig spürbaren Akzeptanz-Einbruch von Baerbock auf die Spitze treibt. "Gabriel sagt das, was derzeit viele denken. Unsere Ministerin ist stark gestartet, aber genauso stark eingebrochen. Die deutsche Außenpolitik wankt", sagt ein hochrangiger Diplomat mit liberalem Hintergrund.
Tatsächlich vollzieht sich ein politisches Wetterleuchten um Baerbock. Anfangs punktete sie mit einem modern-sympathischen Auftritt und klaren Positionen, das Styling ihrer Auftritte wirkte geradezu cool und ihre "werte-basierte" und "feministische" Außenpolitik bekam jede Menge Zustimmung. Doch mit den immer ernster werdenden Konfliktlagen der Weltpolitik begann Baerbocks Stern zu sinken. Es gibt fünf Kritikpunkte, die zusehends lauter adressiert werden.
Erstens arbeiten Annalena Baerbock und Olaf Scholz mehr gegen- als miteinander. Das Verhältnis der beiden gilt als regelrecht vergiftet. Sie hat ihn mehrfach auf offener Bühne der Weltpolitik blamiert und als Zauderer dargestellt. Ob Panzerlieferung an die Ukraine, Kritik an China, Ärger mit der Türkei oder die Reform der EU-Asylpolitik - auf zentralen Feldern der Außenpolitik gibt es keine gemeinsame Linie von Scholz und Baerbock. Zuweilen wirkt es so, als ob die persönliche Rivalität der beiden aus dem vergangenen Bundestagswahlkampf nach- und mit Blick auf 2025 womöglich schon vor-wirkt. Der tiefe Konflikt ist für das Ansehen Deutschlands jedenfalls ein Problem. So musste der Kanzler erst vor wenigen Tagen im Asylstreit ein Machtwort sprechen und Baerbocks Positionen in der EU-Debatte öffentlich abräumen. Eine sich selbst brüskierende Außenpolitik aber, die nicht mit einer Stimme spricht, ist dramatisch geschwächt.
Zweitens wird Baerbocks Fixierung auf Medienwirkung und Äußerlichkeiten kritisiert. Es begann mit den 136.552,50 Euro, die die Außenministerin im vergangenen Jahr offiziell für Pudern, Schminken und Stylen auf Staatskosten ausgegeben hat. Das war ein neuer Make-Up-Rekord für eine Bundesregierung. Baerbock beschäftigt sogar eine persönliche Stylistin, die dafür eine monatliche Pauschale von 7500 Euro erhält. Dazu gab das Auswärtige Amt 2022 auch noch 178.764,66 Euro für eigene Fotografen aus, um die gut geschminkte Baerbock staatsoffiziell perfekt in Szene zu setzen. Die Boulevardpresse warf ihr daraufhin vor, sie "verpudere" Steuergelder. Gefährlicher für sie aber wurde das damit implizit verbreitete Narrativ, sie verkörpere mehr Show als Substanz. Die Opposition erinnerte genüsslich an die Blender-Skandale (Lebenslaufkorrekturen und Buchautorenschaft) Baerbocks im Wahlkampf. Im Ministerium selbst hat Baerbock, die anfangs mit großen Sympathien empfangen wurde, zusätzlich durch ungeschickte Symbolpolitik Kritik auf sich gezogen. Die Berufung der Ex-Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan zur Staatssekretärin wird unter erfahrenen Diplomaten als rein mediale Inszenierung kritisiert. Der "Spiegel" kommentierte nach einem Jahr, Morgans Bilanz falle mäßig aus. Auch dass Baerbock zum G7-Gipfel das historische Kreuz im Tagungsort in Münster entfernen ließ und den Bismarck-Saal im Auswärtigen Amt umbenannt hat, wertet man im Amt als "eitlen Affront" und "schlagzeilenhaschende Geschichtsvergessenheit".
Drittens häufen sich handwerkliche Patzer und schlechtes Management wie die peinliche Rückgabe der Benin-Bronzen, der spektakuläre Ausfall der Flugbereitschaft oder die viel zu spät und schlecht organisierte Ausreise von Deutschen aus Israel. Auch wenn Baerbock für manchen Missstand persönlich nichts kann, verfestigt sich der Eindruck, dass das Amt zuweilen amateurhaft geführt werde. Anfangs wirkten die Baerbock-Patzer eher lustig und unbedeutsam. Einmal verärgert Baerbock Afrikaner mit einem verunglückten Leoparden-Witz-Tweet, dann erklärt sie, Südafrikas Friedensweg sei ein "bacon of hope", was auf Deutsch "Speck der Hoffnung" heißt, auf der Münchner Sicherheitskonferenz behauptete sie, Putin müsse seinen Kurs gegenüber der Ukraine um 360 Grad drehen und schließlich dozierte sie bei Markus Lanz über Panzerkriege im 19. Jahrhundert (als es noch gar keine Panzer gab). Im Bundestag behauptete sie, die Sozialdemokraten hätten die soziale Marktwirtschaft auf den Weg gebracht. Peinlich wurden dann unsensible Aktionen wie ihre Instagram-Story nach dem Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte, als sie direkt unter "Ich bin noch tief berührt von meinem Besuch in Yad Vashem", ein Bild von schäumenden Meereswellen postet und dazu die Zeile: "Aber nun kommt endlich wieder die Sonne raus". Gefährlich wurde ihr Patzer beim Europarat, als sie vor laufenden Kameras wenige Stunden nach dem deutschen Panzerlieferentscheid mit Verve behauptete: "Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland." Der Satz sorgt für einen diplomatischen Eklat, denn Deutschland befand und befindet sich mitnichten im Krieg gegen Russland und achtet seit Monaten peinlich genau darauf, gerade keine Kriegspartei zu werden.
Viertens ist das objektive Beziehungsgeflecht der deutschen Außenpolitik unter Baerbock schlechter geworden. Die Beziehungen Deutschlands zu seinen vier wichtigsten Nachbarn wirken deutlich erodiert. Sowohl mit Frankreich als auch mit Polen, Italien und Großbritannien ist die diplomatische Stimmung belastet - von Ungarn ganz zu schweigen. Das anfängliche Schlingern in der Ukraine-Frage (hier hatte Baerbock früh klare Positionen, konnte sie aber in der Bundesregierung nur zögerlich durchsetzen) hat das Ansehen Deutschlands in der NATO und unter den Verbündeten geschwächt. Die Beziehungen zu China und der Türkei sind unter Baerbock offen belastet, wichtige Schwellenländer wie Brasilien, Indien oder Indonesien entfremden sich. Die medienwirksame, "wertegeleitete" Twitter-Diplomatie Baerbocks mitsamt Belehrungs- und Konfrontationspotential führt dazu, dass sich ihr immer mehr Türen in der Welt verschließen. Wenn sie dann aber gebraucht werden, wie derzeit im Fall Katar/Hamas, hat Deutschland kaum mehr Einflussmöglichkeiten. Außenpolitisch wirkt Deutschland heute jedenfalls schwächer als noch vor wenigen Jahren, weil nicht Realpolitik, sondern Haltung und Medienwirksamkeit im Mittelpunkt der gegenwärtigen Diplomatie stehen.
Fünftens scheitert Baerbock bislang damit, die gravierenden außenpolitischen Probleme Deutschlands wirklich zu lösen. In der Migrationskrise bremst sie die Initiativen der Ampelpartner sogar regelmäßig aus, etwa nordafrikanische Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. "Eigentlich müsste Baerbock persönlich in die Quellenländer der Migration reisen, die Probleme politisch ordnen und Lösungen liefern. Doch nicht einmal die Kompromisssuche in der EU treibt sie voran, sondern blockiert sie so lange, bis der Bundeskanzler ein Machtwort spricht und Deutschland positioniert", hört man aus dem Kanzleramt. Auch auf Feldern, die Baerbock sich programmatisch auf die Fahnen geschrieben hat, bleiben realpolitische Erfolge weitgehend aus. So fehlen der "feministischen Außenpolitik" bislang greifbare Ergebnisse, sogar die Unterstützung der iranischen Widerstandsbewegung wirkt eher hilflos. Bei der proklamierten Unterstützung Israels wiederum weigert sich Baerbock, die verdächtigen Zahlungen an die Palästinenser konsequent zu stoppen. Im eisigen Wind der Machtpolitik, der Kriege, Kulturkonflikte und Verteilungskämpfe wirkt die deutsche Außenpolitik damit seltsam schwach, indifferent und randfigurenhaft. Ihre Gestaltungsoptionen stehen in krassem Gegensatz zum hochfahrenden Ton belehrender Moralität. Kurzum: Das Megafon will keiner hören.
Quelle: ntv.de