Personen der Woche Merz bis Lambrecht: Die Gewinner und Verlierer des Jahres
27.12.2022, 09:50 Uhr
Annalena Baerbock, Friedrich Merz, Stephan Weil und Hendrik Wüst sind die politischen Gewinner des Jahres. Bei den Verlierern gibt es eine verblüffende Gemeinsamkeit. Für diese Politiker war 2022 ein Wendepunkt ihres Lebens.
Die drei größten politischen Verlierer des Jahres 2022 kommen alle aus Südwestdeutschland. Bundesfamilienministerin Anne Spiegel von den Grünen musste als erstes Kabinettsmitglied der Ampelregierung nach nur 124 Tagen zurücktreten, weil sie trotz der Flutkatastrophe vom Sommer 2021 - damals noch als rheinland-pfälzische Umweltministerin - in den Frankreichurlaub gefahren war und sich hernach in peinliche Rechtfertigungs-Akrobatik verfangen hat. Spiegel galt mit 42 Jahren als Hoffnungsträgerin der Grünen. Ihr Rücktritt markiert zugleich den Anfang vom Ende des grünen Höhenfluges in der Bundesregierung. Von den Umfragehochs mit Werten bis zu 26 Prozent sind die Grünen nach Spiegel-Rücktritt, Atomkraftstreit und Gasumlagedebakel heute laut RTL/ntv-Trendbarometer auf 19 Prozent abgerutscht.

Das herausfordernde Jahr hat Gewinner und Verlierer auf der politischen Bühne hervorgebracht.
(Foto: picture alliance/dpa)
Unweit von Spiegels Heimat musste der Ministerpräsident des Saarlands ebenfalls in jungen politischen Karrierejahren eine außergewöhnlich harte Niederlage einstecken. Tobias Hans von der CDU war mit gerade einmal 40 Jahren Ministerpräsident geworden, um dann mit 44 schon wieder ganz ohne Amt dazustehen. Hans war in den wichtigen Talkshows der Republik ein gern gesehener Gast und galt als eine Verkörperung einer verjüngten und modernen Nach-Merkel-CDU.
Doch dann verlor Hans ausgerechnet gegen seine Stellvertreterin Anke Rehlinger von der SPD, was bei amtierenden Ministerpräsidenten selten vorkommt. Während die SPD 43,5 Prozent der Stimmen bekam, landete Hans mit nur 28,5 Prozent abgeschlagen und musste sein Amt räumen. Über Hans, der nurmehr als Hinterbänkler im Landtag wirkt, wird im Saarland gemutmaßt, dass er sich bald ganz aus der Politik verabschieden und in die Wirtschaft wechseln könnte.
In Stöckelschuhen nach Mali
Auch die dritte politische Verliererin des Jahres kommt aus dem Südwesten. Christine Lambrecht vertritt die SPD-Hessen-Süd und ist als Bundesverteidigungsministerin nach einem Jahr Amtszeit schwer angeschlagen. Kein Regierungsmitglied steht so scharf in der Kritik wie Lambrecht - sie nimmt im Kabinett die negative Rolle ein, die in der vergangenen Legislatur Andreas Scheuer von der CSU innehatte. Vom Skandal um den Helikopter-Flug ihres Sohnes nach Sylt bis zur irrlichternden Ukraine-Politik hat Lambrecht 2022 für negative Schlagzeilen gesorgt.
Im eigenen Ministerium wird Lambrecht fachliche Inkompetenz und ein ruppiger Umgang mit Mitarbeitern vorgeworfen, die Generalität respektiert sie nicht, die Soldatenschaft macht sich in einschlägigen Chatforen sogar fortwährend lustig über ihre Ministerin, die in Stöckelschuhen nach Mali fliegt oder im Bundestag nicht weiß, was ein Panzer ist. Lambrechts Absturz im Ansehen der Öffentlichkeit liegt auch daran, dass Deutschland in einer europäischen Kriegslage dringend einen militär-fachlich und diplomatisch versierten Politiker im Bendler-Block bräuchte, die Fehler Lambrechts also besonders sichtbar werden.
In Berlin wird daher zur Jahreswende gemutmaßt, dass Lambrecht schon in wenigen Wochen vom Verteidigungsministerium ins Innenministerium wechseln und ihre Leidenszeit beenden könnte, sollte nämlich Nancy Faeser als Spitzenkandidatin der SPD in den hessischen Wahlkampf ziehen und ihren Posten frei machen. Wer dann das Verteidigungsministerium übernimmt, ist allerdings unklar.
Selbstbewusste, entschiedene, professionelle Figur
Während Lambrecht in den Beliebtheitsrankings der Minister regelmäßig weit hinten liegt, schafft es die Grüne Annalena Baerbock dort ganz an die Spitze. Die Außenministerin gehört zu den politischen Gewinnerinnen des Jahres. Als Spitzenkandidatin der Grünen hing ihr ein Stolper-Wahlkampf mit Plagiatsvorwüfen und frisierten Lebensläufen nach, und nicht wenige in Berlin unkten, dass die vermeintliche Blenderin schon mangels Erfahrung und Reputation an den Lawrows der Weltpolitik scheitern werde.
Das Gegenteil ist passiert. Baerbock hat vom ersten Moment ihrer Amtsübernahme an bis in die heutigen Kriegswirren hinein eine selbstbewusste, entschiedene, professionelle Figur gemacht. Sie lehnt sich zuweilen gar gegen ihren eigenen Bundeskanzler auf - wenn der zu zögerlich Waffen an die Ukraine liefert oder mit China zu opportunistisch agiert. Ihre Kritiker bringen zwar vor, sie lasse der telegenen Rhetorik zu wenig politische Substanz in den Taten folgen und leiste sich mit dem Abhängen des Kreuzes beim G7-Gipfel und dem Entfernen von Bismarck im Auswärtigen Amt symbolpolitische Fehler. In der Bevölkerung aber kommt ihre Tonalität mehrheitlich gut an. So gut, dass sie ihren innerparteilichen Konkurrenten Habeck schon wieder überholt hat.
Zu den politischen Gewinnern des Jahres zählen auch die beiden Wahlsieger-Ministerpräsidenten Stephan Weil und Hendrik Wüst. Weil hat für die SPD in schwieriger Großstimmungslage Niedersachsen so klar verteidigt, dass er nach einer Großen Koalition nun eine neue rot-grüne Landesregierung formieren konnte. Da die SPD in den bundesweiten Umfragen stark zurückgefallen ist und ihr Bundeskanzler Olaf Scholz nur mäßige Zustimmungswerte erfährt, bildet sich mit dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und dem nun wichtigsten SPD-Ministerpräsidenten eine neue Niedersachsen-Achse der Macht. Bei wichtigen SPD-Entscheidungen führt an Weil fortan kaum ein Weg mehr vorbei.
Als politischen Aufsteiger des Jahres kann man Hendrik Wüst ansehen. Der 47 Jahre junge CDU-Politiker hat Deutschlands wichtigste Landtagswahl in NRW klar gewonnen und die SPD in ihrem einstigen Stammland regelrecht deklassiert. Wüst war bis zum Jahr 2022 einer bundesweiten Öffentlichkeit nahezu unbekannt. Nun gilt er als das liberale Gesicht der kommenden CDU. Wüst führt eine schwarz-grüne Regierung mit geschickter Konzilianz und kann gute Umfragewerte verbuchen. Er genießt zugleich ein enges Vertrauensverhältnis mit Friedrich Merz, überlässt diesem aber konsequent die große und konfliktreiche Bühne der Bundespolitik.
Die CDU wirkt relativ geeint
Friedrich Merz ist der politische Comebacker des Jahres. Vor einem Jahr noch wirkte die CDU nach der desaströsen Bundestagswahl wie ein ausgebrannter Trümmerhaufen. In Umfragen sackte die Union auf historische Tiefstwerte von 18 bis 19 Prozent ab. Die Partei taumelte nach den langen Merkel-Jahren inhaltsleer, verunsichert und orientierungslos umher - und die Skepsis gegenüber dem neuen Parteichef war nach den langen Jahren seines politischen Exils gewaltig.
Doch Merz ist ein bemerkenswertes Comeback der CDU gelungen. Die Union liegt heute in den Umfragen bei 28 bis 30 Prozent - knapp zehn Prozentpunkte vor der Konkurrenz. Die CDU hat zudem wichtige Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gewonnen. Merz hat die Partei programmatisch geschickt in der Mitte gehalten und den alten Nimbus der staatstragenden Kompetenzpartei neu poliert.
Die Partei ist nicht in ihre Flügel zerfallen, sondern wirkt relativ geeint - sogar mit der CSU herrscht Frieden. Merz ist damit gerade beim "U" im Namen etwas gelungen, was viele ihm nicht zugetraut hätten. Die CDU ist programmatisch zwar noch lange nicht auf der Höhe und nur begrenzt kampagnenfähig. Doch Merz spielt seine Stärken (analytische Klarheit und Führungskraft) im parlamentarischen Auftritt souverän aus, er hat den Bundestag wieder zum zentralen Ort der politischen Debatte werden lassen und liefert der Ampelregierung eine leidenschaftliche Opposition. Er ist inzwischen unumstrittener CDU-Kanzlerkandidat - falls die Ampelregierung platzen sollte, spätestens aber für 2025.
Quelle: ntv.de