Wieduwilts Woche Herr Aiwanger, reichen Sie mir die goldene Mistgabel!


Hubert Aiwanger: streng, aber knuffig, grantelnd, aber fleißig, altmodisch, aber Kult.
(Foto: picture alliance/dpa)
Im Auge des Orkans steht ein Bayer und bietet uns seine goldene Mistgabel an. Dieser Typ von den Freien Wählern ist womöglich die Antwort auf die Rechtsextremen.
Die Stimmung in der Republik seit der Wahl des thüringischen Landrats von der AfD erinnert an ein Affengehege, in das jemand einen Knallfrosch geworfen hat: Die Instinkte kicken hart, jeder bewirft den anderen mit Kot und alten Phrasen ("Wer die AfD kopiert, macht sie stark!", "Die AfD ist das Resultat linksgrüner Ampelpolitik!", "Die Ossis können keine Demokratie!", "Die Medien haben die AfD groß gemacht!"), es wird insgesamt viel geschrien.
In diesem Inferno der schrillen, kopfschmerzerregenden Konzeptlosigkeit habe ich ein Interview gefunden, das sich anfühlt wie eine auf Papier gedruckte Achtsamkeitsübung. Es ist ein Text für Bauch und Herz. Es ist ein Text voller schlichter Wahrheit und kindlichem Trost. Es ist ein Interview mit Hubert Aiwanger, dem bayerischen Wirtschaftsminister.
Aiwanger ist bekanntlich ein Phänomen: Er ist stockkonservativ, aber durchaus humorvoll, er beherrscht das Internet, manchmal, als "Meme", eher unfreiwillig, er bekommt viel Zuspruch, den schönsten immer noch von sich selbst: "Herr Aiwanger, wir bräuchten mehr Politiker wie Sie, mit Verstand und Pragmatik", schrieb Aiwanger einmal öffentlich in einer Antwort an den eigenen Twitter-Account. Schon das war, ja, bizarr, aber eben auch irgendwie warm, achtsam und voll gesunder Selbstliebe, die Generation Z würde vielleicht sagen: cringe, aber wholesome.
"Danach machen wir Brotzeit"
Aiwanger also äußerte sich im Gespräch mit der "Zeit" zum Elefantenthema der Woche, nämlich wie das mit der gottverdammten AfD nur so eskalieren konnte. Ich erwartete AfD-Sound in abgeschwächter Form, hoffte auf Empörenswertes und lud schon einmal die Twitterkanone durch. Doch als ich mit dem Lesen fertig war, fand ich den Text seltsam interessant. Lag es daran, dass ich ihn im Kopf mit erdigem, aber sehr, sehr schlechtem Bairisch vertonte? Am Ende des Textes wollte ich jedenfalls nur eines: Mit Hubert Aiwanger und seiner goldenen Mistgabel einen Stall ausräumen. Eine goldene Mistgabel hat er nämlich wirklich.
"Vor ein paar Tagen sind bei mir vor der Parteizentrale die Jusos aufmarschiert, mit einer goldenen Mistgabel, die sie verleihen, für gefährlichen Rechtspopulismus", berichtet Aiwanger im Interview. "Da hab ich gesagt: Junge Leute, die eine Mistgabel in die Hand nehmen, können gerne mit mir einen Stall ausmisten, danach machen wir Brotzeit."
Diese fröhliche Einladung an den aus Aiwangeraugen politisch geradezu linksextremen Gegner war so herrlich versöhnlich in all dem Streit. Die Aussicht, nach harter Arbeit mit Resten von Mist an der Hose an einer politisch unkorrekten Wurstplatte mit Aiwanger ein Bier - doch halt, er trinkt ja gar nicht so klischeehaft viel, wie man von den Bayern immer meint. Und Auto fährt er auch kaum, fliegt nicht in den Urlaub, hat nie geraucht. Toll!
Halt, halt, halt!
So jetzt aber halt, halt, halt: Geht hier vielleicht nur die Landlust mit mir gestresstem Großstädter durch? Ist es Nostalgie, zarte Erinnerungen an Kindheitstage auf dem Dorf in Schleswig-Holstein, als ich, "strip, strap, stroll, ist der Eimer bald voll?"-murmelnd eine wahrhaftige Kuh molk? Oder ist es doch ausgerechnet der Landwirt Hubert Aiwanger, der das politische Vakuum des Konservatismus füllt?
Zuletzt wurde der Politiker jedenfalls immer beliebter - ob trotz oder wegen berüchtigter Ausfälle in Bierzelten und in sozialen Medien, ist nicht untersucht. Drag Queens in Kitas nennt er "Kindeswohlgefährdung", über Taschenmesser sagte mal, "Bayern und Deutschland wären sicherer, wenn jeder anständige Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte", Schneekanonen sind für ihn "Freiheit", man sieht ihn auf Instagram mal in Lederhose, mal zwischen Robotern. Klimaklebern empfiehlt er, lieber einen Baum zu pflanzen, statt "Unsinn" zu machen. Da hat man aus Unionskreisen schon Schlimmeres gehört. Ohnehin plädiert Aiwanger meist für Lebensfreude und fröhliches Anpacken, was ihn deutlich abhebt, sowohl vom sauertöpfischen Jammersound der AfD als auch vom sauerländischen Friedrich Merz.
Aiwanger spricht unpoliert und er weiß das. Als er davon sprach, die "Demokratie zurückzuholen" bekam er Hauptstadtdresche, auch von mir. Warum sagt er denn nicht "die Mehrheit soll sich die Meinungsführerschaft zurückholen", will auch die "Zeit" von ihm wissen. Er müsse "auf der Bühne und im Bierzelt auch griffiger reden als im Landtag", sagt Aiwanger. "Meinungsführerschaft" - klingt wirklich sperrig, da hat er recht.
Selbst beim linken Publikum erfolgreich
Selbst beim eher linken Publikum der "Heute Show" kommt der Politiker gut an. Zur Einordnung: Diese ZDF-Satire-Show bespielt eine durchaus gut erkennbare politische Stoßrichtung. In dieser Woche hat die Comedienne Christine Prayon der Sendung den Rücken gekehrt, weil diese den Meinungskorridor verenge. Aiwanger kann dort punkten: In einem Youtube-Clip sieht man "Heute Show"-Reporter Fabian Köster, der Aiwanger besucht und ihn vermutlich ein bisschen entlarven will. Doch Aiwanger und Köster schlagen stattdessen im Ministerium vor einer gigantischen BMW-Antriebswelle einträchtig je einen Nagel ins Holz. Beide schaffen es passabel, Aiwanger etwas souveräner, Köster greift den Hammer vorsichtig, mit beiden Händen, aber es gelingt.
"Sie sind brauchbar", lacht Aiwanger. In den Kommentaren? Viel Sympathie. "Ich würde ihn nicht wählen, aber er ist mal wirklich erfrischend anders als die geleckten Anwälte und Wirtschaftsleute", heißt es da etwa und womöglich denkt da jemand an Friedrich Merz. "Der ist Millionär, fliegt im Privatjet und ist für die normalen Leute gar nicht authentisch", sagt Aiwanger über den und hat schon wieder mit allem recht.
Bei aller Erdigkeit, mit der Aiwanger auftritt, fällt er mit richtig dummen Dingen nicht auf. Anders als die CDU unter Friedrich Merz, die gerade, und ich denke mir das nicht aus, ihren Plan für die Zukunft der Partei Agenda für Deutschland nannte – ja, ganz genau, AfD! Bei Merz guckt wirklich niemand mehr über irgendwas, was da passiert ist ein schwerer Politunfall in Superzeitlupe.
Meister Eder mit Twitter-Account
Einer intellektuell derart spektakulär zerbröselnden Union zankender Herren zöge ich als Konservativer einen grantelnden Landwirt allemal vor. Rechtsextrem klingende Agenden schmiedet ein Aiwanger nämlich soweit erkennbar nicht. Er grätscht stattdessen von der Seite in irgendwelche Internetstreitigkeiten herein und mahnt dann in aller Regel zum Arbeiten. Den römisch-katholischen Bayern umwabert damit stets ein protestantisches Arbeitsethos. Aiwanger fühlt sich an wie Meister Eder mit Twitter-Account: streng, aber knuffig, grantelnd, aber fleißig, altmodisch, aber Kult. Irgendwie wie die alte CDU, aber ohne den neuen, aggressiven Sound.
Während 2023 grelle Klimamahner, völkische AfD-Nationalisten und eine, nochmal, erzdumm geführte CDU die Republik in ein politisches Fegefeuer tauchen, viele Ostdeutsche der DDR nachweinen und sich eine Diktatur herbeiwünschen, spendet dieser Aiwanger Trost durch Anpacken und Schnitzel.
Herr Aiwanger, reichen Sie mir die goldene Mistgabel: Auch ich brauche jetzt den Stall.
Quelle: ntv.de