Tierisch anders Der Berliner Zoo
28.05.2005, 08:00 UhrEben noch war der Luftraum über dem Zentrum West-Berlins vom Geläut der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche erfüllt. Jetzt übernehmen die Gibbons. Den Besuchern im Zoologischen Garten ist anzusehen, dass sie am liebsten Beifall klatschen würden.
Aber die Gibbons singen nicht für Publikum, sondern zur Stärkung ihrer Paarbeziehung. Der erste Ruf aus dem aufgeblähten Affen-Kehlsack erinnert an das Hupen eines alten Autos. Doch dann entspinnt sich zwischen Männchen und Weibchen ein virtuoses Duett, das man für die Darbietung einer exotischen Folkloretruppe halten könnte.
Sonderbare Klangcollagen aus tierischen, menschlichen und mechanischen Lauten ergeben sich im Berliner Zoo immer wieder. Er ist der Inbegriff eines Stadtzoos, eine grüne Oase inmitten von hohen Geschäftshäusern und des brandenden Verkehrs. Dieser Charakter wuchs der Anlage freilich erst mit der Zeit zu, denn bei ihrer Eröffnung im Jahr 1844 gab es noch keinen Kurfürstendamm, keine Gedächtniskirche und natürlich auch keinen Bahnhof Zoo als Werbeträger. "Zoologischer Garten bei Berlin" lautete denn auch die erste Ortsangabe.
Der Berliner Zoo ist der älteste Tierpark Deutschlands und der neuntälteste weltweit. In einer anderen Disziplin beansprucht er sogar einen globalen Superlativ. In keinem anderen Zoo sind derart viele Tierarten anzutreffen: 1437 exakt. Dazu zählen die üblichen Stars jedes Zoobesuchs: Elefanten, Nashörner, Menschenaffen und Raubkatzen, aber auch 427 Fischarten und 85 Reptilien. Sie bevölkern das im Jugendstil errichtete Aquarium von 1913, das wie viele andere Zoogebäude nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut wurde und die Anlage auch unter architektonischen Gesichtspunkten sehenswert macht.
Alle paar Tage kann die Zooverwaltung von neuem Nachwuchs berichten und die Aufmerksamkeit auf eine andere Tierart lenken. Im März schlüpften die ersten Emus der Saison, flugunfähige australische Riesenvögel. Dass das Pandapärchen "Bao Bao" und "Yan Yan" trotz guten Zuredens und ganz handgreiflicher Stimulation die Fortpflanzung hartnäckig verweigert, haben die Berliner wohl inzwischen hingenommen. Die beiden gehören trotzdem zu den Publikumslieblingen.
Überhaupt unterhalten die Menschen der Hauptstadt eine innige Beziehung zu ihren Tieren. Zum Gedenken an den Gorilla "Bobby", bei seinem Tod im Jahr 1935 stattliche 262,5 Kilogramm schwer, wurde sogar eine Granitskulptur in Auftrag gegeben, die noch heute den Park ziert. Als Ende März 2005 der Gorilla-Clanchef "Derrick" aus heiterem Himmel einem Herzinfarkt erlag, schaffte es dieses Ereignis auf die Titelseite einer örtlichen Boulevardzeitung. Auch Zoosprecher Rudolf Reinhard hat dieses Ereignis spürbar mitgenommen: "Ich hatte selbst schon zwei Herzinfarkte und kann mit "Derrick" mitfühlen."
Prominentester Zoobewohner war ein Flusspferd namens "Knautschke". Sein Ruhm wurde sprichwörtlich: "Der ist bekannt wie "Knautschke"", lautete nach dem Zweiten Weltkrieg eine beliebte Redewendung. Die Geschichte dahinter ist aber zunächst eine traurige: Von den mehr als 10 000 Zootieren hatten nur 91 die Bombardements des Kriegs überlebt, darunter "Knautschke". In der Folgezeit avancierte er zur Symbolfigur des gesamtdeutschen Behauptungswillens: Berlin hatte einen zeugungsfähigen Flusspferdbullen, Leipzig die dazu gehörige Kuh. Also leitete Berlins Zoodirektorin Katharina Heinroth eine Zusammenführung ein -kein leichtes Unterfangen während des Kalten Krieges. Am Ende seines 46-jährigen Lebens hatte "Knautschke" 30 Nachkommen gezeugt.
Die deutsch-deutsche Geschichte ist letztlich auch für den Artenreichtum des Zoos verantwortlich. In Ost-Berlin war nach dem Krieg ein anderer Zoo entstanden, der Tierpark Friedrichsfelde. Bald begann ein Wettstreit, wer über die schönere Anlage verfügt. Der Tierpark setzte auf Weite und Großzügigkeit -noch heute schmückt er sich mit dem Titel "größter und schönster Landschaftstiergarten Europas". Der Zoo dagegen baute auf seine Erlebnisdichte. Zum Vergleich: In Friedrichsfelde leben auf einer Fläche von 150 Hektar 10 000 Tiere, in West-Berlin sind es auf nur 34 Hektar 13 300 Tiere.
Zoosprecher Reinhard räumt ein, dass diese Politik nicht unbedingt zum Wohl der Tiere war. "Inzwischen legen wir mehr Wert auf größere Gehege und verzichten stattdessen auf das eine oder andere." Eine Stelle soll in Berlin aber unbedingt neu besetzt werden: die des Chefs im Affenhaus. Derzeit wird nach einem Nachfolger für den verstorbenen Derrick gesucht. Ein Silberrücken sollte es schon sein.
ANREISE: Der Bahnhof Zoo ist zwei Minuten Fußweg entfernt.
ÖFFNUNGSZEITEN: Im Sommerhalbjahr täglich von 9.00 bis 18.30 Uhr, im Winterhalbjahr (Mitte Oktober bis Mitte März) bis 17.00 Uhr. Das Aquarium ist ganzjährig von 9.00 bis 18.00 Uhr zugänglich.
EINTRITT: Zehn Euro für Erwachsene, fünf Euro für Kinder von 3 bis 15 Jahren. Das Aquarium kostet die gleichen Preise noch einmal extra. Kombinierte Tageskarten für beide Attraktionen gibt es für 15 Euro.
Quelle: ntv.de