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"Es wird sich einiges bewegen" Der IGH stärkt Klimaklagen. Deutsche Autobauer? Freuen sich

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Mehr Klimaschutz durch Klimaklagen - geht das?

Mehr Klimaschutz durch Klimaklagen - geht das?

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag sendet ein historisches Signal: Klimaschutz ist Menschenrecht. Staaten müssen das 1,5-Grad-Ziel einhalten. Überall auf der Welt. Bestmöglich. Das setzen junge Menschen aus dem kleinen Inselstaat Vanuatu durch. Und stärken damit Klimaklagen. National wie international. "Es wird sich einiges bewegen", sagt die Greenpeace-Juristin Baro Vicenta Ra Gabbert im "Klima-Labor" von ntv. "Ich bin gespannt, welche Konstellationen sich ergeben und wie reagiert wird, wenn eine ganz Reihe von extrem betroffenen Ländern Klage einreicht." Doch es bleibt ein Problem: Recht haben bedeutet nicht, Recht zu bekommen.

ntv.de: Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag hat Klimaschutz zum Menschenrecht erklärt. Greenpeace schließt daraus: Den Haag hat das Ende der fossilen Energien eingeläutet. Wirklich?

Baro Vicenta Ra Gabbert: Diese Entscheidung markiert einen Meilenstein, wie sich das Internationale Recht bisher zur Klimakrise geäußert hat. Es wird deutlich gemacht: Länder müssen Unternehmen, die fossile Rohstoffe fördern oder nutzen, regulieren. Und es ist Aufgabe der Staaten, sich an diese völkerrechtlichen Verpflichtungen zu halten. Das ist eine wegweisende Veränderung in der Frage, wie das Recht konstituiert wurde.


Was genau steht in dem Gutachten?

Die zentrale und entscheidende Botschaft: Ausgehend vom Pariser Klimaschutzabkommen gilt das 1,5-Grad-Ziel. Dort ist die Rede von "deutlich unter zwei Grad" und "möglichst 1,5 Grad". Der IGH sagt dagegen deutlich: Wenn man die wissenschaftlichen Erkenntnisse und den Schutz der Menschenrechte ernst nimmt, reicht das nicht. Das ist eine wichtige Konkretisierung.

Das IGH-Gutachten ist strenger als das Pariser Klimaschutzabkommen?

Das kann man so sagen. Das wird mit den Auswirkungen der Klimakrise begründet, vor allem aber auch auf die Menschenrechte der Betroffenen. Das ist die zweite wichtige Aussage: Menschenrechte benötigen intakte Lebensgrundlagen, um erfüllt werden zu können. Das heißt, Klimaschutz ist Menschenrechtsschutz - allumfassend. Dafür müssen Staaten das Bestmögliche tun. Das ist ein sehr hoher rechtlicher Maßstab.

Regierungen verstoßen gegen das Völkerrecht, wenn sie nicht genügend für den Klimaschutz tun?

Genau.

Das 1,5-Grad-Ziel wird teilweise aber schon gerissen. Welchen Unterschied macht dieses Gutachten dann noch? Hat ein Staat gegen einen anderen gewonnen?

Diese Entscheidung wurde nicht von einem Staat erwirkt, sondern maßgeblich von einer Gruppe junger Menschen aus Vanuatu. Das ist ein Inselstaat im Pazifik, der massiv bedroht ist, durch die Folgen des Klimawandels zerstört zu werden. Die Menschen würden ihre Heimat und ihre Kultur verlieren - und wollten deshalb wissen, wie es eigentlich in dieser Frage um ihre Rechte bestellt ist. Sie haben sich an die UN-Generalversammlung gewendet. Die hat den Internationalen Gerichtshof beauftragt, die Rechtsauffassung in einem Gutachten darzulegen. Es hat also niemand gewonnen oder verloren, es wurde der Status quo im Völkerrecht festgelegt.

Des Klimaschutzes?

Genau. Dieses Gutachten kann in Zukunft als Argumentation herangezogen werden, wenn zwei Staaten auf Grundlage des internationalen Rechts miteinander streiten. Dieses Gutachten kann aber auch in nationalen Verfahren oder Gesetzgebungsprozessen für die Entscheidungsfindung verwendet werden. Das Grundgesetz ist völkerrechtsfreundlich auszulegen. Das höchste zwischenstaatliche Gericht der Welt hat jetzt dargelegt, wie das Völkerrecht beim Klimaschutz zu lesen und zu interpretieren ist.

Wo finde ich das "Klima-Labor"?

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Theoretisch könnte Vanuatu jetzt aber auch gegen Russland klagen?

Man müsste gucken, vor welchem Gericht und mit welcher rechtlichen Argumentation, aber theoretisch ja.

Obwohl die Erfolgsaussichten gleich null sind? Russland fördert Kohle, Öl und Gas und interessiert sich kein bisschen für das Völkerrecht.

Es gibt auf internationaler oder zwischenstaatlicher Ebene immer wieder das Problem, dass man sich nicht an das Urteil hält und man Recht nicht durchsetzen kann, das stimmt. Es ist aber trotzdem ein Erfolg, Recht zu bekommen. Dafür sind die Aussichten alles andere als niedrig.

Was hat man davon, wenn man trotzdem seine Heimat verliert?

Unmittelbar ändert diese Entscheidung nichts daran. Aber es wird sicherlich viele zwischenstaatliche Verfahren geben, von denen einige gewonnen werden. Dann werden je nach Land und Gericht Konsequenzen folgen. Auch, weil man Gelder einfrieren oder diplomatische Maßnahmen ergreifen kann. Es wird auch Länder geben, die sagen: Wir halten uns an das internationale Recht, dazu haben wir uns verpflichtet. Wir gehen voran. International wird sich einiges bewegen.

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Bemerkenswert ist: Der IGH hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie man mit Ländern wie den USA umgeht, die aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen, wieder einsteigen und dann erneut aussteigen. Die Richter haben klar gesagt, das Urteil gilt trotzdem. Dem kann man sich nicht durch Aussteigen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen entziehen. Wie dann die Weltgemeinschaft anschließend mit der Durchsetzung umgeht, vermag ich nicht zu sagen. Das ist vermutlich der schwierigste Punkt.

Bei einer innerdeutschen Klage sähe es besser aus? Sie sagten, das Gutachten könne auch nationale Verfahren beeinflussen.

Das Bundesverfassungsgericht hat schon bei seiner Entscheidung 2021 für die Auslegung der deutschen Klimaschutzziele massiv internationales Recht einbezogen und festgestellt, dass sich Deutschland zum Pariser Klimaschutzabkommen bekannt und verpflichtet hat. Durch bestimmte Mechanismen, die im Grundgesetz angelegt sind, gilt das Abkommen als deutsches Recht. Daran wird Deutschland gemessen. Wenn die deutschen Ziele nicht mit dem Abkommen konform sind, kann das verfassungswidrig sein - jetzt konkretisiert auf das 1,5-Grad-Ziel.

Sie klagen mit Greenpeace bereits gegen die Bundesregierung, weil sie sagen: Es wird nicht genug getan.

Ja. Wir haben die Beschwerde vergangenes Jahr zusammen mit gut 50.000 Menschen in Deutschland eingereicht - und das IGH-Gutachten hat unsere Argumentation gestärkt. Im Kern geht es bei der Beschwerde um drei Dinge: Erstens, die deutschen Klimaschutzziele passen nicht mehr zu den Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens. Zweitens wurde das Klimaschutzgesetz vergangenes Jahr novelliert und hat wichtige Mechanismen verloren, um das bestmögliche Ergebnis zu erreichen.

Die Sektorziele wurden abgeschafft, weil der Verkehrs- und der Gebäudebereich wiederholt daran gescheitert sind. Seitdem gilt ein Gesamtziel für Deutschland. Aus Sicht vieler Umweltschutzorganisationen wurden die Vorgaben verwässert.

Genau. Mit den Sektorzielen wurden die Verantwortlichkeiten in der Bundesregierung abgeschafft, jetzt sind alle ein bisschen zuständig. Alle wissen, dass das keine Probleme löst, sondern neue schafft. Deswegen argumentieren wir in der Verfassungsbeschwerde, dass diese Novellierung rechtswidrig war.

Und drittens?

Drittens sind konkrete Maßnahmen erforderlich - insbesondere im Verkehrssektor, wo noch viele Emissionen eingespart werden müssten.

Die deutschen Autobauer "freuen" sich schon.

Ich bin überzeugt, dass sie schneller vorankommen könnten, wenn sie endlich eine klare Ansage und Planungssicherheit hätten. Das konkrete Problem ist aber: Deutschland insgesamt und die einzelnen Sektoren haben ein gesetzlich festgelegtes CO2-Budget für Emissionen, die sie noch ausstoßen dürfen, um die Klimaziele zu erreichen. Es kann aber passieren, dass das Budget aufgebraucht ist, bevor der Umbau der deutschen Wirtschaft und Infrastruktur geschafft ist. Schlimmstenfalls hätte man eine halbfertige Transformation und speziell auf dem Land wäre fraglich: Kann man sich in diesem Fall klimafreundlich von A nach B bewegen? Gibt es dafür genügend Busse? Ist die Infrastruktur der Bahn ausreichend ausgebaut? Erwartet man dann, dass sich alle ein E-Auto kaufen? Auch die Menschen, die es sich tendenziell eher nicht leisten können? Deswegen drängen wir in unserer Klage darauf, dass jetzt die notwendigen Umbaumaßnahmen eingeleitet werden müssen, bevor die Rechte von einzelnen Bürgern verletzt werden.

Gibt es solche Klagen auch in anderen Ländern?

Ja. Die sind juristisch unterschiedlich, weil jedes Land eigene Klimaschutzgesetze hat und sich deshalb die juristischen Argumentationen ändern, aber es wird in vielen Ländern versucht, die nationalen Ziele in Richtung des Pariser Abkommens zu bewegen. Manchmal beeinflussen sich die Verfahren auch gegenseitig und es wird gesagt: Diese Argumentation wurde in diesem Land anerkannt, also kann sie in abgewandelter Form auch hier gelten.

Wenn diese Länder anschließend mehr leisten müssen, werden sie nicht in Geiselhaft genommen für ein Problem, an dem alle ihren Anteil haben und das niemand allein lösen kann? Bei dem die USA oder Russland aber sagen: uns doch egal.

Es gibt Länder, in denen man Internationales Recht einfacher durchsetzen kann als in anderen, weil sie es aus verschiedenen Gründen ernster nehmen. Aber es geht nun mal um existenzielle Fragen: Länder gehen unter oder sind nicht mehr bewohnbar. Dafür kann man auch bei einem globalen Problem Verursacher benennen. Ich bin jedenfalls gespannt, welche Konstellationen sich ergeben und wie international darauf reagiert wird, wenn eine ganze Reihe von extrem betroffenen Ländern Klage einreicht, oder Länder wie Deutschland, die das Problem ernster nehmen, sagen: So geht es nicht.

Mit Baro Vicenta Ra Gabbert sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

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Quelle: ntv.de

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