Sport

Deutsche Tennis-Geschichte Becker gegen McEnroe

In Deutschland war es 5.19 Uhr, die Sonne ging gerade auf und versprach an diesem 25. Juli 1987 einen strahlend schönen Tag. Sechs Stunden weiter westlich bereitete sich Boris Becker nach einer epischen Daviscup-Schlacht gegen John McEnroe in Hartford/Connecticut auf seinen finalen Matchball vor. Ein eisblaues Feuer loderte in seinen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffenen Augen, dann hämmerte er dem entgeisterten McEnroe die Filzkugel vor die Füße.

6:39 Stunden Spielzeit zeigte die Uhr, als Becker die Arme in die Höhe riss und in dem tobenden Hexenkessel mit stolz emporgereckter Deutschland-Fahne eine Ehrenrunde lief. Die 12.000 Zuschauer tobten und heulten, doch in all ihre Enttäuschung mischte sich auch Anerkennung und Respekt für den rothaarigen Wunderknaben aus Deutschland, der in der Heimat die Nacht zum Tage machte. 3,82 Millionen Fans verfolgten bis in die frühen Morgenstunden die Live-Übertragung, die am Freitagabend um 22.30 Uhr begonnen hatte.

Die Schlacht von Hartford, die Deutschland am Ende mit 3:2 gewann, ging als einer der denkwürdigsten Meilensteine in die an Höhepunkten nicht gerade arme deutsche Tennis-Geschichte der letzten 25 Jahre ein. Sechs Stunden und 39 Minuten lang hatten sich die beiden duelliert, bekämpft, gedemütigt, provoziert, belauert. Allein 2:35 Stunden dauerte der zweite Satz, den John McEnroe auf der Höhe seiner sportlichen Kunst mit 15:13 gewann.

Bis zum Stand von 2:2 im fünften Satz schien McEnroes Rechnung aufzugehen. Immer wieder forderte er die Zuschauer wort- und gestenreich zur Unterstützung auf, derweil pöbelte der Rest der US-Mannschaft Becker von der Bank aus fast unentwegt an. Die Halle war ein Hexenkessel, selbst während der Ballwechsel herrschte keine Ruhe, es schien nur eine Frage der Zeit, bis die Zuschauer das Spielfeld stürmen würden.

Doch Becker, durchaus vertraut mit großen Emotionen und Gefühlsausbrüchen auf dem Platz, spürte mit seinen 19 Jahren, dass ihn Toben und Schreien an diesem Tag nicht weiterbringen würden. Der "Baron" war aus Eis, er zeigte keine Regung, er spielte sein Spiel und schwang sich Mitte des fünften Satzes zum finalen Kraftakt auf. Das Break zum 3:2 zerschmetterte John McEnroe, ungläubig staunend starrte er auf die Becker-Faust, sein Wille war gebrochen, das Match verloren.

Doch nicht nur die stärkere Psyche gab an diesem denkwürdigen Tag den Ausschlag zugunsten von Becker, ein großer Teil seines Erfolges gebührte auch dem Mann auf der Bank. Bis zum dritten Satz war Becker in dem Bestreben, den schnellen Punkt zu machen, unermüdlich zum Netz gestürmt, wo er von dem geradezu überirdisch passierenden McEnroe immer wieder vorgeführt wurde. Dann gab Kapitän Niki Pilic seinem wilden Jungen den entscheidenden Rat: "Bleib hinten, warte ab, mach dein Spiel."

Viele Superlative wurden in den Jahren danach bemüht, wenn es darum ging, die Nervenschlacht von Hartford zu schildern. Einer jedoch trifft nicht zu: Das Match zwischen Becker und McEnroe gilt offiziell nicht als das längste in der Daviscup-Geschichte. Zwar zeigte die Uhr 6:39 Stunden, doch davon müssen insgesamt 20 Minuten Pause abgezogen werden. Die somit verbleibende reine Spielzeit von 6:19 Stunden ist drei Minuten kürzer als die zwischen McEnroe und dem Schweden Mats Wilander im Viertelfinale 1982, als noch ohne Pausen durchgespielt wurde.

Am Ende gewann Becker in Hartford auch das alles entscheidende Match gegen Tim Mayotte zum 3:2. Wieder spielte er fünf Sätze, wieder mehr als drei Stunden, dann endlich hatte er Deutschland die Erstklassigkeit erhalten und den Weg bereitet für den ersten deutschen Daviscupsieg 1988.

von Angela Bern, sid

Quelle: ntv.de

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