Noch zwei Siege bis zum EM-Titel DBB-Team zieht wichtige Lektion aus irrem Wurf und ekligem Spiel
11.09.2025, 20:46 Uhr
Für die deutschen Basketballer läuft gegen Luka Doncics Slowenen nicht viel. Dann trifft Tristan Da Silva spektakulär aus der eigenen Hälfte, belebt den Weltmeister und ebnet den Weg ins EM-Halbfinale. Dort warten jetzt die Finnen und deren Star, der es wie einst Dirk Nowitzki machen will.
Dennis Schröder war "ein bisschen müde, vor allem nach so einem Spiel. Es war sehr schwierig", resümierte der Kapitän im Interview mit MagentaSport nach dem nächsten schwer erkämpften Sieg der Nationalmannschaft. "Aber das zeichnet unser Team aus, jeder ist ready, jeder ist selbstbewusst, jeder gibt alles für den anderen. Wenn ich mal keinen guten Tag habe oder Franz keinen guten Tag hat, haben wir trotzdem so viele Leute von der Bank. Tristan, der da reinkommt und dieses Ding Ende des dritten Viertels versenkt … Das war der Momentum-Changer fürs ganze Spiel, einfach grandios."
Da Silvas Halfcourt-Buzzerbeater zum Ende des dritten Viertels hatte Deutschland auf 70:74 herangebracht. Die Emotionen kochten über, Schwarz-Rot-Gold wachte aus seinem Dornröschenschlaf auf und drehte die Partie mit jenem 10:0-Lauf, der mit dem überdauernden Bild dieser EM begann. Vor allem dann, wenn sie so endet wie erwartet.
Johannes Thiemann war - repräsentativ für viele Deutsche - sichtlich erleichtert nach einem "ganz ekligen Spiel. Es war wirklich ein Fight, wir mussten richtig arbeiten, offensiv wie defensiv", bevor er auf Nachfrage von ntv.de einräumte: "Natürlich war es mehr als nur Tristans Wurf, aber der hat das komplette Ding gedreht, so wichtig war der."
Ein Wurf löst viele, viele Anfragen aus
Denn lange lief es überhaupt nicht für die ungeschlagenen Gold-Favoriten gegen Megastar Luka Doncic und dessen ruppige Slowenen. Zum Ende des ersten Spielabschnitts hatte Deutschland bereits 32 Punkte kassiert, so viele wie noch nie in der EM-Geschichte. Mit elf Punkten Rückstand ging es ins zweite Viertel. Es war das erste Mal im gesamten Turnier, dass Deutschland mit mehr als fünf Punkten im Hintertreffen lag. Auch zur Pause lief der DBB, wie bereits im Achtelfinale gegen Portugal, hinterher.
Deutschland wollte härter spielen, schneller spielen. Das gelang auch nach dem Wechsel nur tröpfchenweise, Slowenien behielt über weite Strecken die Kontrolle - trotz Doncics viertem persönlichen Foul bereits zu Beginn der zweiten Halbzeit. Das Defizit der Ibrahimagic-Truppe blieb immer irgendwo im mittleren einstelligen Bereich, so richtig heran und ins Rollen kam sie nie. Bis Da Silva jenen Fantasiewurf von hinter der Mittellinie mit der Schlusssirene traf - und damit "das Feuer entfachen konnte mit so einem wichtigen Dreier. So sind wir mehr ins Laufen gekommen", freute sich der Mann der Stunde, der sich vor Interview-Anfragen kaum retten konnte.
"Der Half-Court-Shot hat uns richtig krass Momentum gegeben", erklärte ein gefasster Isaac Bonga nach der Partie. "Das hat dem ganzen Team geholfen und die Fans mitgenommen. Das hat uns auf jeden Fall Energie gegeben." Energie, die Deutschland über weite Strecken vermissen ließ. Auch, weil die Gegner den amtierenden Weltmeistern alles abverlangten. Da Silvas Lieblingsspieler Doncic, der nie in den Griff zu bekommen war, brillierte mit 39 Punkten, 10 Rebounds und 7 Assists. Der Rest des Teams packte aggressiv zu, kontrollierte die Bretter und agierte maximal physisch.
"Das war nicht unfair von den Slowenen, es war einfach ein ekliges Spiel", bestätigte Deutschlands Topscorer Franz Wagner (23 Punkte), der vor allem an der Freiwurflinie das gesamte Spiel über einen coolen Kopf behielt. "Das macht vielleicht beim Zuschauen nicht so viel Spaß, aber solche Spiele gibts auch manchmal. Am Ende ist es ein gutes Zeichen, dass wir uns durchgekämpft haben, auch wenn es vielleicht ein bisschen unter unseren Möglichkeiten war."
Emotionale Stärke, hässlich gewinnen (wenn's sein muss)
Auch am Tag nach dem "Wurf des Turnier" überwiegt beim deutschen Team eine Mischung aus Erkenntnis, Ruhe und Selbstvertrauen. Wohlwissend, dass sie als beste Offensivmannschaft dieser EM jetzt zweimal in Folge ihren präferierten Stil - schneller Transition-Basketball, in den ersten acht Sekunden abschließen, viele Dreier werfen - nicht richtig aufs Parkett gebracht haben, sehen die Protagonisten keinen Grund zur Sorge. "Wir haben jetzt in beiden Partien hier in Riga bewiesen, dass wir auch hässlich gewinnen können. Nichtsdestotrotz sollten wir wieder ein bisschen mehr ins Laufen kommen", sagte Thiemann im Gespräch mit ntv.de. "Teams sind jetzt besser auf uns vorbereitet, und klar können wir auch im Halbfeld spielen, aber wenn wir mehr einfache Punkte in Transition bekommen, wird das viel früher deutlich."
Als "Riesenschritt" sah der nach seinem Kreuzbandriss in der Reha schuftende Moritz Wagner als Experte am Magenta-Mikro die Art und Weise, wie seine Mannschaftskollegen mit der mentalen Herausforderung dieser extra anspruchsvollen Aufgabe umgegangen waren. "Endlich mal ein Spiel wo nicht alles glattlief, wo man sich auch gegen einen guten Gegner zusammenraffen muss", so der Big Man von Orlando Magic. "Das hatte nicht viel mit Basketball zu tun, sondern zu 80 Prozent mit emotionaler Stärke. Das hat das Team sehr gut geschafft heute." Je enger der qualitative Abstand zum jeweiligen Gegner von K.-o.-Runde zur K.-o.-Runde wird, desto beruhigender ist es, sich auf ein Arsenal von harten und soften Skills auf dem Parkett verlassen zu können.
"Wir sind happy, dass wir so zusammengeblieben sind", erklärte Andreas Obst gegenüber ntv.de. "Und es gab eigentlich auch nie einen Moment, in dem wir gezweifelt haben, dass wir das Spiel noch drehen können. Wir haben uns viel Selbstvertrauen in den letzten Jahren geholt, so dass wir in solchen Spielen immer cool bleiben. Wir vertrauen auf unsere Stärken - egal wie schwer die Situation sein mag."
Finnlands Star Markkanen orientiert sich an Dirk Nowitzki
Einfacher wird es auch im morgigen Halbfinale gegen Finnland nicht. Zwar ist die Erinnerung an den klaren 30-Punkte-Sieg (91:61) in der Vorrunde vor etwas mehr als einer Woche noch frisch in den Köpfen. Darauf ausruhen dürfen sich die Weltmeister aber nicht. Zumal die "Susijengi" mehrere Level zugelegt und im Achtelfinale sogar die hoch favorisierten Serben ausgeschaltet haben. "Das erste Spiel zählt jetzt nicht mehr. Ob wir das mit 30 Punkten oder mit einem gewonnen haben, ist völlig egal. Das ist ein EM-Halbfinale. Und mit der Einstellung müssen wir da jetzt reingehen", mahnte Daniel Theis zu höchster Konzentration.
Wie gefährlich diese Konstellation sein kann, bewies nicht zuletzt die Situation bei den Olympischen Spielen im Vorjahr, als Deutschland Gastgeber Frankreich in der Vorrunde klar und deutlich besiegte, bevor sich die Hausherren im Halbfinale revanchierten und knapp gewannen. "Das war eine klare Lehrstunde für uns", verriet Obst. "Es wird ein komplett neues Spiel morgen. Finnland hat Serbien geschlagen, kommt mit einer Menge Selbstvertrauen, wird das Ding aus der Vorrunde sicherlich noch im Hinterkopf haben. Und sie werden eine Menge Fans mitbringen. Wir müssen fokussiert bleiben und unser Spiel abrufen."
Coach Ibrahimagic analysierte: "Wenn man sie spielen lässt, sind sie sehr schwer zu verteidigen, da müssen wir einen besseren Job machen als in der ersten Hälfte gegen Slowenien.". Um Finnlands Fiebertraum am Leben zu erhalten, muss deren Star Lauri Markkanen abliefern. Den hielten die Deutschen beim Sieg in Tampere bei uncharakteristischen 11 Punkten und 26 Prozent Trefferquote. Fürs Halbfinale hat sich der NBA-All-Star Deutschlands Ikone Dirk Nowitzki zum Vorbild genommen - und will seine Farben wie einst Nowitzki bei der EuroBasket 2005 zu Edelmetall führen. "Ich hatte schon häufiger die Möglichkeit, mit Dirk zu sprechen. Er ist ein super Typ und war ein herausragender Spieler. Einer der besten aller Zeiten. Ich versuche, ähnlich erfolgreich zu sein wie er und in seine riesigen Fußstapfen zu treten.
Wieso es diesmal, im erneuten Aufeinandertreffen mit den favorisierten Gegnern aus Deutschland, anders laufen sollte als vergangene Woche? "Es war nicht unser bestes Spiel. Sie haben unsere Stärken sehr gut neutralisiert. Da haben wir jetzt nachjustiert, um morgen unseren Basketball zu spielen", so Markkanen auf ntv.de-Nachfrage: "Wir brauchen definitiv keine extra Motivation oder Energie gegen sie."
Der DBB will seinen zweiten EM-Titel nach 1993 und greift außerdem nach dem extrem seltenen EM/WM-Double. Nur der Sowjetunion, Jugoslawien und Spanien ist dieses Kunststück bislang gelungen. Dennis Schröder und Co. sind noch zwei Siege davon entfernt.
Quelle: ntv.de