Verlierer bekamen Trinkbefehl Das größte Blitz-Debakel der Cricket-Geschichte
04.03.2023, 09:35 Uhr
Cricket Espana feiert den Rekordsieg gegen die Isle of Man.
(Foto: Chloé Roriguez)
Die Welt des Crickets ist eine ruhige. Der Zuschauer geht auf eine beschwerliche, manchmal fünf Tage andauernde Reise. Im schlimmsten Fall eine ohne Sieger. In Spanien ereignet sich nun das genaue Gegenteil. Beim Spiel zwischen den Gastgebern und der Isle Of Man purzeln die Rekorde.
Auch nach der größten Niederlage der Geschichte herrschte keine Untergangsstimmung. Spanien fügt dem Cricket-Team der Isle of Man, der kleinen Insel in der irischen See, die schwerste Niederlage überhaupt zu und doch gibt es eigentlich keine Verlierer. Denn die Cricket-Welt ist unterhalb der Weltspitze viel zu klein. Nur drei Schläge benötigten die Spieler von der iberischen Halbinsel, dann war das Spiel schon wieder vorbei. Bereits vorher hatte sich das Debakel angedeutet. Nur zehn Punkte erzielten die Männer aus der Steueroase zwischen England und Irland.

The Oval in London ist eines der historischen Stadien der Cricket-Welt. Ein Spiel zwischen Spanien und der Isle of Man wird dort nie stattfinden.
(Foto: picture alliance / empics)
Cricket. Das sind elendig lange Spiele, Tee-Pausen, Wartezeiten. Cricket. Das ist nichts für Menschen, die eine schnelle Entscheidung wollen. Das ändert jedoch nichts daran, dass dem Sport gerade in den Commonwealth-Staaten eine besondere Bedeutung zukommt. Das Spiel mit den Wickets und Bats, den Holzstäben und Holzschlägern, erfreut sich dort größter Beliebtheit und findet in diesem Jahr wieder einen Höhepunkt in der Ashes-Serie zwischen England und Australien.
In fünf Tests über fünf Tage kämpfen die Teams beider Länder um eine Urne, die die Überreste eines Gegenstands enthalten soll, der nach der ersten Heimniederlage Englands im Jahr 1882 verbrannt wurde. Soweit so skurril. Und: Wie langweilig für das an Schnelligkeit gewöhnte Auge. Ein Albtraum für die, die keinem Menschen mehr zutrauen, sich länger als 30 Sekunden mit etwas zu beschäftigen.
Für die TV-Rechte gehen Milliarden über den Tisch
Noch aber ist es nicht so weit: Die Ashes-Serie wird mit allerhand Tamtam übertragen, die Stadien sind voll, die Zuschauer dort dürfen ihr Essen mitbringen, sich auf den Tribünen breitmachen und die Aufregung auf dem Feld genießen. Längst ist der Sport, der ein wenig an den US-Sport Baseball erinnert, in der Moderne angekommen. Es gibt TV-Verträge in mindestens dreistelliger Millionenhöhe, den Videobeweis und allerhand Datenspielereien. Es gibt eigene Podcasts, Blogs und Knallhart-Experten, die jeden Fehler der Spieler zerfleddern. In epischer Breite, denn das Spiel mit elf Akteuren auf beiden Seiten dauert ewig.

Der 2022 verstorbene Australier Shane Warne mit der Ashes Trophy im Jahr 2007.
(Foto: picture alliance / empics)
Bei den fünftägigen Test-Matches treten beide Mannschaften je zweimal an, um ihren Wicket, den kleinen Holzstab, zu verteidigen und genug Punkte zu sammeln. Das andere Team versucht unterdessen, den Wicket abzuräumen oder die Schlagmänner des Gegners zu anderen Fehlern zu provozieren. Es gibt keine Begrenzung der Over, die kleinste Einheit des Spiels, bestehend aus sechs aufeinanderfolgenden, regelkonformen Würfen eines Bowlers, eines Werfers. Ein Inning endet, wenn zehn Schlagmänner raus sind oder so viele Punkte erreicht wurden, dass die schlagende Mannschaft besser auf weitere verzichtet. Weil es sonst auch passieren kann, dass ein gewonnen geglaubtes Spiel nach fünf Tagen Unentschieden endet, weil die vier Innings nicht beendet wurden. Punkte gibt es für Runs und für Schläge, die aus dem Feld gelangen. Vier, wenn der Ball vorher die Erde berührt und sechs, wenn er einfach so hinausfliegt.
Nach dem Debakel geht es in den Pub
Weil aber kaum jemand so viel Zeit hat, sich ohnehin niemand mehr auf irgendwas konzentrieren kann und der Cricket-Sport sich der Moderne öffnen musste, wurden in den letzten Jahren allerhand neue Formate eingeführt, um das Spiel zu beschleunigen. Das Spiel auch in anderen Ländern attraktiver zu machen. Dort mischen dann auch die kleineren Nationen mit und dort ist es dieser Tage zu einem historischen Moment gekommen. Die Auswahl der Isle of Man wurde offiziell zum schlechtesten Team aller Zeiten gekürt und ging danach in den Pub, um den Frust hinunterzuspülen. Aus der Tee-Pause wurde eine Biernacht. Die erste Tour seit dem Sommer 2022 war grandios in die Hose gegangen. Insgesamt sechs Spiele wollten die beiden Teams in drei Tagen austragen. Aufgrund der Platzverhältnisse wurden es fünf. Alle gewannen die Spanier, die in der Weltrangliste nur drei Plätze über der Isle of Man auf Rang 36 positioniert waren.
"Normalerweise trinken wir nicht, wenn wir auf Tour sind", sagte Greig Weight, der Trainer des Cricket-Teams der kleinen Insel zwischen England und Irland, dem englischen "Telegraph", "aber diesmal dachte ich, dass die beste Medizin in Biergläsern serviert wird." Was war passiert? Beim T20-Cricket spielen beide Mannschaften nur je ein Innings über ein Maximum von 20 Over. Wer am Ende am meisten Punkte geholt hat, gewinnt das Spiel, das nun nur noch rund drei Stunden anstatt der fünf Tage dauert. Oder eben noch viel kürzer, wenn man für die Isle of Man gegen Spanien antritt. Dann ist es nach wenigen Minuten vorbei.
Spanien und Deutschland kämpfen um Einzug in die Top 32
Erst sammelten die zehn Schlagmänner der Mannschaft nur insgesamt zehn Punkte, die mit Abstand schlechteste Ausbeute jemals in einem dokumentierten T20-Spiel und dann war nach zwei Würfen des Bowlers der Isle of Man das Spiel auch schon wieder vorbei. Die Spanier trafen ihre beiden Schläge perfekt. "Wir hatten das Momentum. Alles, was wir gemacht haben, hat geklappt. Wir waren im Flow. Wir haben uns die Wickets geholt. Und auf einmal war da der Rekord", sagt der Brite John Howden im Gespräch mit ntv.de. Howden ist vor rund 20 Jahren aus den USA nach Spanien gekommen, sah eine Anzeige für ein Cricket-Team in einer Lokalzeitung und war mittendrin in der kleinen Welt des spanischen Cricket-Sports. Heute ist er CEO von Cricket España und redet über den Rekord und gleich noch einen. Er sagt: "Nur der eine Spieler von uns, Awais Ahmed, hat alle Punkte erzielt. Das ist wahrscheinlich auch ein Weltrekord."
Einer, der von der Isle of Man im Pub begossen und von den Spaniern mitgenommen wurde. Die machten sich nach einer freundlichen Verabschiedung von den Rivalen aus La Manga, dem Spielort, auf den Weg in ihre Heimatstädte. "Viele unserer Spieler trinken aus religiösen Gründen nicht und sie hatten noch Züge und Flüge zu erreichen", sagt Howden. Denn am Montag mussten sie wieder auf der Arbeit erscheinen. Von Cricket kann in Spanien noch lange niemand leben. Die Mannschaft mit Spielern aus unterschiedlichsten kulturellen Kulturkreisen ist natürlich kein Profi-Team, doch es hat ein Ziel: die Top 32 der Weltrangliste.
Die Top 32 sind so etwas wie der Jackpot im internationalen Cricket. Wer im Herbst dort steht, darf am "50 Over Cricket" teilnehmen und sich gegen die großen Nationen messen. "Wir machen jetzt einen Sprung nach vorne", sagt Howden. "Natürlich wollen wir da oben rein. Deutschland ist übrigens in einer ähnlichen Position." Noch steht die Auswahl des neuen Bundestrainer Atiq-Uz-Zaman knapp vor Spanien, aber knapp außerhalb der Top 32.
Die Isle of Man hingegen kann den Traum von den Top 32 abhaken. Doch den hatten sie ohnehin nie. In der vergangene Woche aber haben sie sich den Weltrekord gekrallt und die Isle of Man auf die Landkarte des Crickets gesetzt. John Howden wird das Spiel nicht vergessen.
Quelle: ntv.de