Henry Maske wird 60 Der Boomer, der das Boxen groß machte
06.01.2024, 08:32 Uhr
Der Champion im Halbschwergewicht.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Im Zenit seines sportlichen Schaffens ist Henry Maske in Deutschland so bekannt wie Bundeskanzler Helmut Kohl. Dem Boxer gelingt, was sonst nur das Tennis-Doppel Becker/Graf und Formel-1-Legende Michael Schumacher schaffen: Der "Gentleman" macht eine Randsportart gesellschaftsfähig.
Die typischen, oft filmreifen Boxergeschichten, die ein Schreiber heute, mit viel Abstand, so leicht und lustvoll in die Tasten seines Schreibgeräts hacken mag, lassen sich über Henry Maske nicht erzählen. Maskes Geschichte liefert keine Skandale, wie etwa die der Kölner Box-Ikone Peter "de Aap" Müller, der 1952 kurzerhand einen Ringrichter k.o. schlug, weil dieser ihn - so der "Affe" - beleidigt habe ("Do han isch en usjemaht.").
Keine Tragödien, wie die des Gustav "Bubi" Scholz, der nach seiner glanzvollen Karriere in den 1950er- und 60er-Jahren abstürzte und 1984 im Vollrausch seine Frau erschoss. Keine inneren Leberhaken, wie das Leben Eckard Dagges, Deutschlands zweitem Boxweltmeister nach Max Schmeling, von dem der Satz stammt: "Viele Weltmeister sind Alkoholiker geworden, aber ich bin der erste Alkoholiker, der Weltmeister wurde." Und auch kein ständiges Auf und Ab wie die "Rocky"-Story seines Rivalen Graciano Rocchigiani, der nach seinen Siegen stets in irgendeine Schererei geriet, mehrmals im Kittchen landete und sein hart erkämpftes Vermögen verjubelte.
Henry Maskes Geschichte ist eine gute, sein (sportliches) Lebenswerk strahlt auch zum runden Geburtstag wie eh und je. Ins Bild passt, dass der Jubilar mit 60 Lenzen auf dem gestählten Buckel top in Schuss ist. Auch heute würde Maske "immer noch" in seiner angestammten Gewichtsklasse, dem Halbschwergewicht, boxen, sagte der 1,90-Meter-Mann der "Sport Bild". Fünf- bis sechsmal treibe er pro Woche Sport.
Maskes dreimalige Krönung
Maske kam am Dreikönigstag 1964 zur Welt - das passt. Schließlich erlebte er während seiner einzigartigen Karriere gleich dreimal eine Krönung. 1988 gewann Maske bei den Olympischen Spielen in Seoul für die DDR Gold im Mittelgewicht. 1989 wurde er Amateur-Weltmeister im Halbschwergewicht. Und 1993 eroberte der damals 28-Jährige nach seinem Wechsel ins Profilager die WM-Krone des Verbandes IBF. Eine boxerisch "heilige Dreifaltigkeit", die außer Maske kein deutscher Faustkämpfer erreicht hat.
Bei all diesen Erfolgen: Von Maske ist mehr geblieben als Gold-Medaillen und glitzernde Weltmeister-Gürtel. Der Boxer hat vollbracht, was in Deutschland nur Boris Becker und Steffi Graf im Tennis sowie Michael Schumacher in der Formel 1 gelungen ist. Maske hat eine Randsportart aus ihrer Nische in die Mitte der Gesellschaft getragen, das Boxen aus der "Schmuddelecke" in die Wohnzimmer der Republik transferiert. Mehr noch: Der Athlet aus dem Osten avancierte zum ersten gesamtdeutschen Sportidol nach der Wiedervereinigung.
Also zurück in die Neunziger: Mitte des Jahrzehnts Jahre hat Maske in Deutschland einen Bekanntheitsgrad von 97 Prozent, zwischen Oder und Rhein kennt vom Kind bis zum Greis praktisch jeder den deutschen Boxweltmeister im Halbschwergewicht (bis 79,4 Kilogramm). Sein kultiviertes, zurückhaltendes Auftreten abseits des Rings und sein strategisches, kalkuliertes Faustfechten im Ring machen ihn zum edlen "Gentleman" - dem die Sympathien der Deutschen entgegenfliegen, wie keinem Boxer zuvor.
"Der eine würde vielleicht über mich sagen: Der war zurückhaltend. Und der andere: Der hat Manieren und würde jemanden nicht treten, der auf der Erde liegt", beschreibt Maske seine vornehme Natur. Gutes Benehmen und Finesse in den Fäusten. Das kommt an, weil es so gar nicht dem Klischeebild des rauen, ungehobelten, großkotzerischen Preiskämpfers entspricht.
Auch RTL erkennt Maskes Potenzial
Promoter Wilfried Sauerland und RTL erkennen das Potenzial, das in Maske steckt. Der Privatsender inszeniert die Kämpfe des Olympiasiegers als Spektakel, macht den Boxsport zum gesellschaftlichen Event. Maske wird ein Quoten-Garant der Samstagabend-Unterhaltung. Wetten dass …?, der "Gentleman" seinen Gegner dank raffinierter Taktik und überlegener Kampfführung wieder ausboxt, lautet die Frage. Maske beantwortet sie: verlässlich und zur vollsten Zufriedenheit von Millionen.
Explosive Knockouts und blutige Schlachten bietet der Konterboxer nicht - was die Zuschauer aber nicht weiter kratzt. Sie lieben Maskes gladiatorenhaften Einmarsch zu der Hymne "Conquest of Paradise", den Gänsehaut-Effekt der Show. Die eigentlich wesentlich "fanfreundlicher" agierenden Graciano Rocchigiani und Dariusz Michalczewski mögen bei den Hardcore-Boxfans besser ankommen. In der breiten Masse spielen sie keine Rolle. Mainstream ist Maske, Jahre später sind es die Klitschko-Brüder. Auch die Ukrainer geben lieber den "Gentleman", statt sich als marktschreierische K.-o.-Monster zu verkaufen.
Maskes sportliche Klasse ist bei all seinem Ruhm unbestritten. Am 20. März 1993 entthront der Rechtsausleger den langjährigen IBF-Champion "Prince" Charles Williams aus den USA in Düsseldorf durch einen einstimmigen Punktsieg. Es ist Frühling. Der Beginn des Box-Booms, der in den folgenden Jahren in Deutschland ausbricht und von dem bis in die 2000er-Jahre hinein zahlreiche Kämpfer profitieren.
"Wessi haut dem Ossi auf die Schnauze"

Ein packendes Duell: Maske gegen Rocchigiani.
(Foto: picture-alliance / Augenklick/ Foto Rauchensteiner)
Unvergessen sind die Kämpfe, die sich Maske 1995 mit seinem Antipol Graciano Rocchigiani liefert. "Eine Frage der Ehre", nennt RTL den ersten WM-Kampf zweier deutscher Boxer. Der West-Berliner "Rocky" sieht das Ganze etwas weniger pathetisch. "Was erzählst du für einen Stuss, das ist ein Ost-West-Duell", herrscht er den verdutzten Maske bei einer Pressekonferenz an. "Wessi haut dem Ossi auf die Schnauze. Ossi haut dem Wessi auf die Schnauze", lautet Rocchigianis Losung. Maske und sein Trainer Manfred Wolke können und wollen mit dem Ballyhoo nichts anfangen. Dabei ist Maske vs. Rocky der Traum eines jeden Promoters, ein Duell der Gegensätze: Ossi gegen Wessi, "Gentleman" gegen "Straßenköter", "Sir Henry", der Musterathlet aus der DDR, gegen "Grace", den Sohn eines sardischen Eisenbiegers.
Sportlich erlebt Maske am 27. Mai 1995 seine schwersten Stunden. Der bestens vorbereitete Rocchigiani macht Dampf, marschiert unaufhörlich, setzt dem Weltmeister schwer zu. In den Runden neun und zwölf wirkt Maske stehend k.o., rettet sich mit Mühe über die Zeit. Nach dem Schlussgong verkündet Ringsprecher Michael Buffer in der Dortmunder Westfalenhalle dennoch ein 3:0 der Punktrichter zugunsten des Titelverteidigers - ein bis heute umstrittenes Urteil, das Maske erstmals Pfiffe einbringt. "Er, da oben (Rocchigiani starb 2018 bei einem Autounfall, d.Red.), wird sagen, er hat gewonnen. Ich sage: Ich habe gewonnen. Das bleibt auch so", sieht sich Maske fast drei Jahrzehnte später im SID-Interview noch immer als Sieger.
Fünf Monate nach der Kontroverse kommt es in München zur Revanche. Fast 18 Millionen Deutsche sehen bei RTL, wie Maske die Verhältnisse zurechtrückt und klar gewinnt. Die Duelle mit "Rocky" sind Kassenschlager, der "Gentleman" verdient durch sie mehr als drei Millionen Mark.
Karriere-"Kür" Jahre nach dem Abschied
Insgesamt verteidigt Maske seinen IBF-Titel zehnmal. Mal gegen gute, mal gegen weniger gute Herausforderer. Ende 1995 führt ihn die amerikanische Box-Bibel "The Ring" als Nummer eins im Halbschwergewicht. Mit einem Sieg über WBA-Weltmeister Virgil Hill, die Nummer zwei, will Maske seine Karriere im November 1996 krönen - und beenden. Ein Traum, der dem damals 32-Jährigen verwehrt bleibt. Nach zwölf unansehlichen, technisch unsauberen Runden gewinnt der aktivere Hill mit 2:1 Richterstimmen. Als "Time to say Goodbye" von Sarah Brightman und Andrea Bocelli durch die Halle tönt, kann der Geschlagene seine Tränen nicht zurückhalten. Er ist bei Weitem nicht der Einzige.
Obwohl Maske den Absprung vom Boxen schafft, lukrative Comeback-Offerten konsequent ablehnt, und als McDonalds-Unternehmer, Motivationscoach und TV-Experte Fuß fasst, arbeitet die Niederlage jahrelang in ihm. Im Jahr 2007 fordert er von Hill Revanche. Der ist aktiv geblieben, hat im Cruisergewicht gerade erst einen WM-Gürtel gewonnen. Ein schlechter Witz, unken viele Beobachter und unterstellen Maske Geld- und Geltungsverlangen. Trotz zehnjähriger Ring-Abstinenz schlägt der damals 43-Jährige den Amerikaner in München - einstimmig, nach Punkten, wie so oft in seinem Boxerleben. Nach der Karriere-"Kür" ist endgültig Schluss.
Henry Maske bezeichnete sich nach der Wiedervereinigung als "Gewinner der Einheit", ist in diesem Deutschland bis heute nicht nur das Gesicht des Boxens, sondern vielleicht so etwas wie das Sinnbild für Beständigkeit. Mit seiner zweiten Ehefrau Manuela ist er seit 1990 verheiratet, das Paar lebt in der Nähe von Köln. Seit einigen Jahren ist Maske Gesellschafter eines Startups, das eine App entwickelt hat, um Bewegungen im Sport zu messen. Über die Henry-Maske-Stiftung "A Place for Kids" unterstützt die Box-Legende zudem seit mehr als 20 Jahren "sozial schwache" Kinder und Jugendliche. Ein erfülltes, ein ausgefülltes Leben - das jung hält. "Ich habe nicht das Empfinden, dass ich 60 werde", sagt Maske.
Der ewig makellose Gentleman? Nicht ganz. "Ob ich über die Jahre ein größerer Gentleman geworden bin?", sinniert er im Geburtstags-Interview mit der dpa. "Ich mache weiter meine Fehler und meine Frau lässt es mich spüren, dass es falsch war."
Quelle: ntv.de