49ers-Quarterback Garoppolo Der Brady-Erbe im falschen Trikot
01.02.2020, 20:02 Uhr
Jimmy Garoppolo steht vor dem ganz großen Wurf.
(Foto: imago images/ZUMA Press)
Die San Francisco 49ers haben vor 25 Jahren letztmals den Super Bowl gewonnen. In Miami. Nun stehen sie dort wieder im Finale. Und diesmal soll sie Jimmy Garoppolo zum Titel führen. Der Quarterback steht zum dritten Mal im Endspiel - allerdings erstmals als Hauptakteur.
Eigentlich war alles anders geplant. Und es wirkte wie ein perfekter Plan. Jimmy Garoppolo sollte im Super Bowl LIV in Miami spielen - und auch in zukünftigen Endspielen dabei sein. Der Quarterback war auserwählt, bei den New England Patriots die erfolgreiche Ära fortzusetzen, die Tom Brady 2002 mit dem ersten Super-Bowl-Sieg begonnen hatte - und in der der Superstar bis 2017 vier weitere Meisterschaften folgen ließ, ehe er seine Karriere beendete und das Feld für Garoppolo frei machte. Soweit die Theorie.
In der Praxis steht dieser James Richard Garoppolo, den alle nur "Jimmy G" nennen, am Sonntag (ab 0.30 Uhr im Liveticker auf ntv.de) tatsächlich im Endspiel von Miami. Allerdings wird er nicht das Trikot der New England Patriots tragen, sondern das der San Francisco 49ers. Was auf den ersten Blick nach einem gescheiterten Plan aussieht, ist bei genauerer Betrachtung eher eine Aneinanderreihung von unvorhersehbaren Umständen - und ein Beispiel dafür, dass es trotzdem, zumindest bislang, nur Gewinner gab. Die Patriots, die 49ers und Garoppolo.
Viel Potential und reichlich Verbesserungsmöglichkeiten
Rückblick: Bei der Talenteverteilung Draft entscheiden sich die Patriots 2014 in der zweiten Runde für den damals 23-jährigen Jimmy Garoppolo. Trainer Bill Belichick sieht in ihm viel Potential - und noch reichlich Verbesserungsmöglichkeiten. Doch er braucht Garoppolo ohnehin erst in einigen Jahren. Denn Brady spielt mit seinen 37 Jahren immer noch auf hohem Niveau - wenngleich seine Patriots nach den Super Bowl-Siegen 2002, 2004 und 2005 die Endspiele 2008 und 2012 jeweils gegen die New York Giants verloren hatten.
2015 dürfen New England und Brady endlich wieder jubeln, besiegen Titelverteidiger Seattle Seahawks 28:24. Nur zwei Jahre später gelingt den "Pats" gar das größte Comeback der Super-Bowl-Geschichte. Im dritten Viertel liegen sie gegen die Atlanta Falcons 3:28 hinten. Dann übernimmt Brady und führt die Patriots mit einer nahezu fehlerfreien Schlussphase zunächst zum 28:28, in der Verlängerung schließlich zum 34:28-Sieg und wird völlig verdient zum "wertvollsten Spieler" (MVP) des Finals gewählt.
Zu schnell zu gut
Garoppolo ist bei beiden Triumphen Ersatzmann. Er reift, wie geplant, an der Seite von Brady, lernt von ihm und zeigt bei seinen Kurzeinsätzen, dass er bereits im Stande ist, Takt, Ton und Tempo in der Patriots-Offensive anzugeben. Belichick fühlt sich bestätigt, 2014 die richtige Wahl getroffen zu haben. Er sieht in Garoppolo den Steve Young der Patriots. Young war von 1987 an vier Jahre bei den San Francisco 49ers die Nummer zwei hinter dem legendären Joe Montana. Dieser hatte die Niners zu vier Super-Bowl-Siegen geführt. Bei den Erfolgen 1989 und 1990 war Young sein Ersatzmann. Als Montana anschließend verletzungsanfälliger wurde und 1993 den Verein Richtung Kansas City verließ, schloss Young problemlos die Lücke und gewann mit San Francisco 1995 den Super Bowl.
Bei den Patriots ist die Sache nicht so einfach. Zwar heißt es im Boston Globe, der Verein sitze "auf einer Goldmine". Aber Brady spielt 2017 trotz seiner mittlerweile 40 Jahre immer noch herausragend - und Garoppolo ist schon so gut, dass er kein Ersatz mehr sein möchte und wie ein starting Quarterback bezahlt werden will. Diese Konstellation sorgt für Unruhe. Es rumort im scheinbar stets stabilen Patriots-Kosmos. Brady, so wird kolportiert, soll Vereinseigner Robert Kraft zum Verkauf von Garoppolo drängen, Belichick hingegen insgeheim Garoppolo favorisieren. Allerdings weiß der Trainer, dass eine Entscheidung contra Brady nach dessen Heldentaten im Super Bowl gegen Atlanta weder Kraft noch die Fans verstehen - und schon gar nicht akzeptieren würden.
New England verlässt den "Patriots Way"
Deshalb versucht er, Zeit zu gewinnen und bietet Garoppolo einen Vertrag für zwei, drei weitere Jahre an - mit der Aussicht, dann Starter zu werden. "Bridge deal" nennen sie das in den USA. Doch Garoppolo lehnt ab - und Klubeigner Kraft hat ohnehin kein Interesse, einem Ersatz-Quarterback mehr als 20 Millionen Dollar pro Jahr zu zahlen, sei er auch noch so talentiert. So bleibt nur eine Lösung: Garoppolo muss weg. Er wechselt am 31. Oktober 2017 zu den San Francisco 49ers. Mit diesem Schritt verlässt der Verein erstmals seinen so erfolgreichen "Patriots Way". New England entscheidet sich für den älteren Spieler. Für den damals 40 Jahre alten Brady und gegen Garoppolo, der kurz vor seinem 26. Geburtstag steht.
Drei Jahre und vier Monate später sitzt dieser Jimmy Garoppolo auf einem Podium im 49ers-Teamhotel in Downtown Miami. Die Kameras und Blicke der zahlreichen Journalisten sind auf ihn gerichtet. Es ist sein dritter Super Bowl, doch der erste als Nummer eins. "Ohne Jimmy Garoppolo spielen die 49ers nicht im Super Bowl", schreibt der "San Francisco Chronicle".
Kreuzbandriss wirft Garoppolo zurück
Sein Einfluss bei den Kaliforniern ist nach dem Wechsel sofort spürbar. Ohne Garoppolo hatten die 49ers im Herbst 2017 eine Bilanz von 1:10 Siegen. Mit ihrem neuen Quarterback gewinnen sie die verbleibenden fünf Spiele der Saison. Und vielleicht hätten die Goldhosen ja sogar schon im vergangenen Jahr den Super Bowl erreicht, wenn da nicht dieser 23. September 2018 gewesen wäre.
Im Auswärtsspiel bei den Kansas City Chiefs spielt Garoppolo stark. Ihm gelingen zwei Touchdown-Pässe sowie Würfe für einen Raumgewinn von sehr guten 251 Yards. Dennoch verlieren die "Niners" 27:38. Viel schlimmer jedoch: Garoppolo fällt knapp fünf Minuten vor Spielende nach einem fairen Zusammenstoß mit Chiefs-Cornerback Steven Nelson so unglücklich, dass sein Kreuzband im linken Knie reißt. Seine Saison ist bereits am dritten Spieltag abrupt beendet. Ohne Garoppolo gewinnt San Francisco nur noch drei der anschließenden 13 Partien. Die Saisonbilanz ist eine zum vergessen: 4:12.
Vergleiche mit Montana und Young

Joe Montana (16) und Steve Young sind zwei legendäre Vorgänger von "Jimmy G".
(Foto: imago/ZUMA Press)
Die Verletzung, die anschließende anstrengende Reha, sein langer, schwerer und nicht immer nur nach oben führender Weg zurück - all das kommt Garoppolo in den Sinn, als er im Teamhotel mit den Medien spricht. "Vor ungefähr einem Jahr habe ich gerade wieder angefangen zu laufen. Und jetzt haben wir diese super Saison gespielt und so viel Spaß", betont der 28-Jährige. Seitdem er gesund ist und die 49ers-Offensive wieder dirigiert, hat San Francisco 15 von 18 Spielen gewonnen. 15 Siege in einer Saison - das war zuvor nur zwei anderen Spielmachern in der Klubgeschichte gelungen: Joe Montana und Steve Young. Die Vergleiche mit den 49ers-Legenden hört Garoppolo fast täglich. Mittlerweile weiß er sogar, dass beide in Miami Super-Bowl-Sieger wurden. "Allein mit ihnen in einem Satz erwähnt zu werden, ist schon eine große Ehre", meint er bescheiden.
Natürlich muss sich Garoppolo auch mit Bradys Verdiensten auseinandersetzen. Die Medien wollen es so. 2015 und 2017 hat er hautnah miterlebt, wie Brady die täglichen Pressekonferenzen meisterte, den hohen Erwartungsdruck handhabte - und die Patriots schließlich zum Titel führte. "Er geht den Super Bowl wie jedes andere Spiel an. Das konnte man an seiner Körpersprache sehen und daran, wie er sich vorbereitet hat, um am Sonntag selbstbewusst zu sein. Ich versuche, es genau zu machen", sagt Garoppolo.
Brady drück Garoppolo die Daumen
Er teilte erfreut mit, dass Brady ihm eine SMS geschrieben habe. Tenor: "Hab' Spaß, lass' dich von dem Medienrummel nicht beeindrucken. Viel Glück und hol' dir das Ding." Während Garoppolo noch einen Vertrag in San Francisco bis 2022 hat, endet Bradys Kontrakt bei den Patriots Mitte März. Er ist zwar mittlerweile 42 Jahre alt, denkt aber trotzdem noch nicht daran, seine Karriere zu beenden. Es ist gut möglich, dass Brady in New England ein neues Arbeitspapier unterschreibt. Allerdings kann es tatsächlich auch sein, dass er nach knapp 20 Jahren die Patriots verlässt und ab Herbst für einen anderen Verein spielt.
Brady hatte nach dem Garoppolo-Wechsel 2017 mit den Pats zweimal nacheinander den Super Bowl erreicht und das Finale 2019 gewonnen. Und deshalb waren die Verantwortlichen und Fans in New England bislang mit dem damaligen Deal mehr als zufrieden. Doch am Sonntag werden sie ganz genau beobachten, wie Garoppolo im Endspiel auftritt. Ob er in den entscheidenden Momenten die richtige Entscheidung trifft. Ob er den millimetergenauen Pass wirft. Ob er wieder aufsteht und unbeeindruckt weitermacht, wenn ihn die gegnerischen Spieler ein,- zwei- oder auch dreimal hart zu Boden gerissen haben. Also, ob er all das macht, was Brady in seinen neun Super Bowls getan hat. Und Garoppolo wiederum könnte das vollziehen, wofür er einst vorgesehen war - das Erbe von Brady anzutreten. Allerdings wird er dabei nicht das Patriots-Trikot tragen, sondern das der 49ers.
Quelle: ntv.de