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Aber DHB-Team bangt um Knorr Der Mann aus dem Nichts erspart Deutschland die Nervenschlacht

Franz Semper erzielte fünf Tore.

Franz Semper erzielte fünf Tore.

(Foto: IMAGO/camera4+)

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft übersteht ihr "Endspiel" bei der WM nach einem nervösen Start am Ende problemlos. Der Weg zum klaren Sieg führt über Andreas Wolff und einen Mann, der aus dem Nichts kommt.

Was ist da in der Jyske Bank Boxen passiert?

Sie hätten es doch einfach machen können wie Eintracht Hildesheim. Der deutsche Drittligist hatte die italienische Handball-Nationalmannschaft wenige Tage vor dem WM-Start eine Halbzeit lang ordentlich hergespielt, 18:14 führten die Amateure nach 30 Minuten gegen das Team, das Tage später zur Überraschungsmannschaft des Turniers werden würde. Die deutsche Nationalmannschaft tat sich in ihrem "Endspiel" um den Viertelfinaleinzug lange deutlich schwerer als Eintracht Hildesheim, nach einer knappen Viertelstunde lagen sie gegen den euphorisierten Außenseiter mit drei Toren hinten.

Dass das DHB-Team am Ende über einen deutlichen 34:27 (15:13)-Sieg jubeln konnte, war da nicht absehbar. Ihnen fehlte die Lockerheit von Eintracht Hildesheim, dazu warfen sie Domenico Ebner, den deutschen Torwart im Tor der Italiener auf Hochtouren. Und deshalb war das Spiel zur Halbzeit noch völlig offen, lediglich mit zwei Törchen führten die Deutschen. Zu wenig, um die Nerven zu beruhigen.

Es war wie schon so oft in den letzten Spielen: Das DHB-Team startete nervös, dazu hatte sich Italiens Trainer Riccardo Trillini ein paar unangenehme Abwehrideen ausgedacht: Es schien, als wollten die Italiener die deutsche Mannschaft zu Beginn in eine offene Feldschlacht verwickeln. Beinahe an der Mittellinie begegnete man dem deutschen Rückraum, Spielmacher Luca Witzke sah sich mit einer Manndeckung konfrontiert - und war damit nahezu aus dem Spiel. Witzke musste spielen, weil der etatmäßige Spielmacher Juri Knorr krankheitsbedingt alles nur isoliert im Hotelzimmer miterleben konnte.

Es war ein echtes Problem, auch, weil sich mit Renars Uscins der zuverlässigste deutsche Torschütze einen ganz schwachen Tag erlaubte. Das DHB-Team fand nicht ins Passspiel, traf zu wenig - und sobald es mal zu laufen schien, stellte man sich selbst ein Bein: Rechtsaußen Lukas Zerbe kassierte eine Zwei-Minuten-Strafe, nachdem er Ebner wohl eher an der Schulter als am Kopf erwischt hatte. Und Nils Lichtlein produzierte einen Wechselfehler. Ganz ehrlich, Eintracht Hildesheim war das nicht passiert ...

Doch dann schafften sie es doch noch, dass Qualität über Euphorie siegt: Andreas Wolff, der nicht gut ins Spiel gestartet war, vernagelte das deutsche Tor - und vorne trafen sie immer zuverlässiger. Mehrmals war das DHB-Team drauf und dran, sich deutlicher abzusetzen, als nur mit drei Toren, hielt die Italiener aber durch unsaubere Abschlüsse unnötig lange im Spiel. Dann drehten Franz Semper, der Mann aus dem Nichts, und der flinke Spielmacher Lichtlein auf.

Die Anspannung löste sich sichtbar, echter Erleichterung wich sie erst in den Schlussminuten. Statt in eine Nervenschlacht, warf sich die deutsche Mannschaft zu einem deutlichen Erfolg in diesem Spiel, das sie zum "Endspiel" ausgerufen hatten. Wie kompliziert das Spiel tatsächlich war, zeigt eine Ehrung: Andreas Wolff wurde dank seiner Fangquote von 42 Prozent zum Spieler des Spiels gewählt. Eintracht Hildesheim übrigens verlor ihr Spiel gegen Italien am Ende noch mit 30:34.

Wer war der Mann, der aus dem Nichts kam?

Franz Semper ist einer der großen Pechvögel des deutschen Handballs. Immer wieder war der Rückraumschütze nah dran, bei einem großen Turnier dabei zu sein, immer wieder kam eine Verletzung dazwischen. Als das DHB-Team zu seinem wundersamen Flug durch die Olympischen Spiele aufbrach, der erst im Finale und mit der Silbermedaille endete, saß der Linkshänder enttäuscht daheim. Wenige Tage vor dem Turnierstart musste er absagen, diesmal wegen einer Schulterverletzung. Auch bei dieser WM spielte Semper vier Spiele lang keine Rolle, muskulöse Probleme verhinderten einen Einsatz.

Nun aber war er da, weil Juri Knorr erkältet abwinken musste, rückte der Leipziger ins Team. Und als Alfred Gislasons großes Vertrauen in Renars Uscins schließlich aufgebraucht war, kam Semper rein - und erzielte in den ersten drei WM-Minuten seiner Karriere drei Tore. Die trugen spürbar zur endgültigen Befriedung der aufgedrehten Italiener bei. Deutschland zog endlich entscheidend davon. Was für ein Turnierdebüt, in dem der 27-Jährige schließlich auf fünf Tore kam. Endlich geholfen zu haben, "gibt einem schon ein anderes Gefühl in der Mannschaft", sagte der Mann, der die Nervenschlacht endgültig von der Platte wischte. Dafür gab es im Interviewbereich sogar einen anerkennenden Klaps auf den Hintern von Weltmeister Johannes Bitter.

Was bedeutet dieser Sieg?

Durch den Sieg der Dänen, die nach den Deutschen auch die Schweiz von der Platte schossen (39:28), steht die deutsche Mannschaft im WM-Viertelfinale.

Für den weiteren Turnierverlauf - man ist hier schließlich angereist, um eine Medaille zu holen - lässt die Leistung allerdings noch wenig Raum für große Träume. Doch mit der Qualifikation für die K.-o.-Runde beginnt ein neues Turnier. "Erleichterung", sagte Bundestrainer Alfred Gislason, sei das Gefühl der Stunde. Nun können sie ganz entspannt den wilden Kampf ums Viertelfinale in der Hauptrundengruppe III verfolgen: Mit Spanien, Schweden, Portugal, Brasilien und Norwegen haben noch fünf der sechs Teams Chancen aufs Weiterkommen.

Gegen Brasilien gewann man in der Vorbereitung zweimal, die Spanier erinnern sich noch mit Grausen an ihr dramatisches Aus im olympischen Halbfinale gegen Deutschland. Dort schlug das DHB-Team auch Schweden, doch von der Olympiaform ist man in den Tagen von Herning noch weit entfernt. Deutschland würde am 29. Januar in Oslo auf den Gruppensieger treffen. Und Oslo liegt gut 400 Kilometer Luftlinie entfernt. Viel Luft, um seine Form zu finden.

Wie steht es um Juri Knorr?

Der Ausfall des Spiellenkers war eine Hiobsbotschaft vor diesem wichtigen Spiel - und er machte sich auch in der wilden Anfangsphase schmerzhaft bemerkbar. Es gibt keine Zweifel: Will die deutsche Mannschaft bei diesem Turnier noch etwas erreichen, braucht sie einen Juri Knorr in Topform. Entsprechend schlecht ist die Nachricht, die Alfred Gislason verkündete: "Ich gehe fest davon aus, dass keiner von den beiden (neben Knorr noch der ebenfalls erkrankte Linksaußen Rune Dahmke) das Tunesien-Spiel spielen wird", sagte der Bundestrainer: "Danach gibt es sicherlich bessere Chancen, dass Rune wieder reinkommt als Juri."

Wer war der, Pardon, ältere Herr mit dem lichten Haar, der sich mit der deutschen Mannschaft einwarf?

Es war eine große Überraschung, als Mattias Andersson am Rande des deutschen Aufwärmprogramms erst ein paar lockere Dehnübungen für seinen Arm machte, die Schulter lockerte - und sich dann mit Rechtsaußen Lukas Zerbe einwarf. Der 46-jährige Schwede Andersson ist der Torwarttrainer der deutschen Nationalmannschaft und spielte in den Überlegungen seines Chefs Alfred Gislason natürlich keine Rolle für einen Einsatz. Seine große internationale Karriere als Spieler hatte der Torwart 2021 nach 150 Länderspielen beendet. Nun musste er einspringen, weil im DHB zwar mit Dahmke und Knorr zwei Spieler kurzfristig ausgefallen war, man mit Franz Semper aber nur einen Ersatzmann rechtzeitig ranschaffen konnte. So ging das deutsche Team mit nur 15 statt der erlaubten 16 Nationalspieler ins "Endspiel" - und Andersson musste einspringen.

Was war das für ein großer europäischer Moment vor dem Spiel?

Domenico Ebner wurde vor knapp 31 Jahren in Freiburg im Breisgau geboren, als Sohn eines Deutschen und einer Italienerin. Italienisch lernte er nie - bis er vor acht Jahren durch eine Facebook-Nachricht zum Torwart der italienischen Nationalmannschaft wurde. Nun schreiben Ebners Italiener eine der großen, vielleicht die größte Geschichte dieses Turniers. Und der Deutsche Ebner, der spät auch noch die italienische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, lebt seinen Traum. Vor dem Duell des Landes seiner Mutter und dem des Vaters schmetterte Ebner lauter als alle anderen die italienische Hymne - und sang dann auch noch die deutsche mit. Im Spiel waren die Gefühle dann aber klar: Ebner spielte groß auf, brachte die deutschen Schützen gerade in ihren nervösesten Phasen stellenweise an den Rande des Nervenzusammenbruchs.

Haben die deutschen Fans ihr Team im Stich gelassen?

Deutschland muss in sein "Endspiel", in dem sich das DHB-Schicksal zwischen Desaster und K.-o.-Runde entscheidet - und in der gewaltigen Arena im Nachbarland sind vielleicht 200 deutsche Fans. Haben die deutschen Fans ihr Team im Stich gelassen? Nein, ganz und gar nicht. Es ist einfach ein Ärgernis: Anders als im Fußball üblich, hält der Veranstalter der Handball-WM keine eigenen Kontingente für die teilnehmenden Teams bereit. Auch der DHB konnte nur auf das allgemeine Ticketportal verweisen. Pech für die deutschen Fans und die deutsche Mannschaft: An ihrem Standort Herning spielen auch die dänischen Gastgeber, deren Spiele sind nationale Pflichttermine, die Halle zum Bersten gefüllt. Für die deutschen Fans gab es schlicht keine Tickets mehr.

Quelle: ntv.de

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