"Depressionen hatte ich nie" Der Tag, der Deckarms Leben veränderte
30.03.2019, 08:52 Uhr
"Ich glaube, dass ich ein gutes Leben führe."
(Foto: picture alliance/dpa)
Es läuft die 23. Minute. Im Rückspiel des Handball-Europacups stößt der Gummersbacher Deckarm mit seinem Gegenspieler zusammen. Danach ist nichts mehr wie vorher. Der 25-Jährige ist ein Pflegefall. Und noch 40 Jahre später hadert er keine Sekunde mit seinem Schicksal und genießt das Leben.
Erinnerungen an den Tag, der sein Leben auf dramatische Weise veränderte, hat Joachim Deckarm nicht. Und auch die Videobilder von dem tragischen Unfall, der seine Karriere auf brutale Weise beendete, hat sich der einst weltbeste Handballspieler und Weltmeister von 1978 aus Selbstschutz nie angeschaut. "Depressionen habe ich nie gehabt", erklärte der seit jenem 30. März 1979 auf Pflege angewiesene Deckarm einmal. Heute jährt sich das verhängnisvolle Ereignis zum 40. Mal.
Beim Europacupspiel mit dem VfL Gummersbach im ungarischen Tatabanya knallte der 25 Jahre alte Rückraumspieler nach einem Zusammenstoß mit Lajos Pánovics mit dem Kopf auf den Betonboden. Die Folgen: ein doppelter Schädelbasisbruch, ein Gehirnhautriss und schwere Gehirnquetschungen. 131 Tage lag Deckarm danach im Koma. Als er aufwachte, musste er praktisch alles neu erlernen. Seinem Gegenspieler hat der begnadete Techniker, der damals als bester Handballer der Welt galt, dennoch nie einen Vorwurf gemacht. Im Gegenteil. "Wir beide wissen, dass der Zusammenprall keine absichtliche Aktion war. Dennoch hat ihn das Unglück seelisch tief getroffen", sagte Deckarm einmal dem Magazin "Handball Inside". Die beiden hatten sich zehn Jahre danach erstmals getroffen und wurden dann Freunde.
"Ich will, ich kann, ich muss"
Seinen Lebensmut hat Deckarm nie verloren. Sein Motto lautete stets: "Ich will, ich kann, ich muss." Trotz der erheblichen Einschränkungen konstatierte er 2014 zu seinem 60. Geburtstag: "Ich glaube, dass ich ein gutes Leben führe." Nachdem er viele Jahre in Saarbrücken lebte - erst im Elternhaus bei seiner Mutter, nach deren Tod dann in einer Betreuungseinrichtung -, zog Deckarm Ende 2018 nach Gummersbach in ein Seniorenheim. Längst kann er sich nur noch im Rollstuhl fortbewegen. Seine Geschichte ist in dem Benefiz-Buch "Teamgeist - Die zwei Leben des Joachim Deckarm" beschrieben.
Seinen langjährigen Wegbegleiter Heiner Brand hat stets vor allem Deckarms Kampfgeist beeindruckt. "Er hat nie nachgelassen", sagte der Weltmeister-Trainer von 2007. Im ersten Leben seines Freundes habe ihn begeistert, "wie er sich als Star verhalten hat. Er hatte immer großen Respekt vor seinen Mitspielern. Das ist nicht gewöhnlich bei Spielern mit besonderen Fähigkeiten", lobte Brand bei Deckarms 65. Geburtstag im Januar.
Bester Handballer seiner Zeit
Den feierte der Jubilar gemeinsam mit seinen früheren Teamkollegen beim WM-Hauptrundenspiel der DHB-Auswahl gegen Island in Köln, wo ihm 19.000 Fans ein bewegendes Ständchen sangen. "Er steht für viele, die ein ähnliches Schicksal haben, als Vorbild da. Von ihm kann man sich inspirieren lassen", sagte Deckarms Weltmeister-Kollege Manfred Freisler jüngst dem ZDF. Am 7. April wird Deckarm gemeinsam mit den ebenfalls schwer verunglückten ehemaligen Topathleten Kristina Vogel und Ronny Ziesmer bei der Endrunde um den DHB-Pokal in Hamburg zu Gast sein.
Schon in jungen Jahren hatte Deckarm große Erfolge gefeiert. Mit dem VfL Gummersbach wurde er dreimal deutscher Meister und zweimal Europacupsieger. In 104 Länderspielen warf er 381 Tore. Höhepunkt seiner viel zu kurzen Laufbahn war der WM-Triumph 1978 in Dänemark, der längst zum Mythos im deutschen Sport geworden ist. "Mir war sehr schnell klar, dass wir etwas Großes erreicht hatten", sagte Deckarm einmal über seinen größten Erfolg. 2013 wurde er in die "Hall of Fame" des deutschen Sports aufgenommen.
Quelle: ntv.de, Eric Dobias, dpa