Sport

Gegen Schatten des ScheiternsDeutsches Team muss aus Handball-"Schande" etwas Großes machen

03.12.2025, 19:22 Uhr
imageVon Till Erdenberger
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Die deutschen Handball-Frauen begeistern, haben aber noch viel vor. (Foto: picture alliance / nordphoto GmbH)

Die deutschen Handball-Frauen machen beste Werbung für sich und ihren Sport: Das Zutrauen steigt, dass es endlich mal wieder für mehr als Mittelmaß reichen könnte.

Während die meisten der knapp 8000 Zuschauer in der gewaltigen Dortmunder Westfalenhalle noch den nächsten Torrausch der deutschen Handball-Nationalmannschaft feierten, dachten sie beim DHB-Team schon in größeren Kategorien: "Wir wollen jedes Spiel gewinnen, wir wollen die Leute begeistern", formulierte die formstarke Kapitänin Antje Döll nach dem 36:26 (20:14) in der WM-Hauptrunde gegen die Färöer, dem vierten klaren Sieg im vierten Spiel.

Schon am Donnerstag gegen Montenegro (18 Uhr/sporteurope.tv) können die deutschen Frauen das Weiterkommen und den Gruppensieg klarmachen. Das Ensemble von Bundestrainer Markus Gaugisch rauscht bislang durch das Turnier. Dass man sich ordentlich einschießt für kommende Aufgaben, ist wichtig. Denn diesmal soll wirklich, wirklich mal wieder ein ganz großer Wurf gelingen.

Es wirkt seit Jahren strukturell: Haben die deutschen Frauen die Chancen, mal wieder in die Phalanx der Medaillenkandidaten einzubrechen, werfen sie sie weg. Zuverlässig lieferten sie ihre schwächsten Turnierleistungen, wenn es um die großen Schritte ging. Zwischen den Plätzen 6 und 8 lief das DHB-Team bei den letzten drei Weltmeisterschaften ein, davor gab es 2017 (12.) und 2015 (13.) auch gewaltige Ausrutscher nach unten. Die letzten drei EMs schloss man samt und sonders als 7. ab. Geht es um alles, kommt am Ende nichts raus. Die letzte WM-Medaille erkämpfte ein deutsches Frauen-Team 2007: Bronze war's damals.

"Schande"

Seitdem glänzt nichts mehr, es geht stumpf zu. Die jüngsten Enttäuschungen moderierte man seitens des Verbandes in der Regel mit Verweis auf die Heim-WM ab, auf die alle Anstrengungen hinlaufen würden. Den Druck haben sie in die Zukunft geschoben, nun kulminiert alles in den Tagen von Dortmund, bevor es für die Medaillenspiele nach Rotterdam gehen soll. Oder eher muss.

Es geht für die Frauen um eine Medaille, klar, aber wie immer für eine Sportart wie Handball bei den Leuchtturmevents auch um ein bisschen Licht im Schatten des übermächtigen Fußballs. Für den Handball der Frauen gilt das sogar potenziert. In den ersten Tagen des Turniers hatte es schon kräftig geknallt: Die Rechte hatte sich das Streamingportal des Deutschen Olympischen Sportbundes gesichert, auf sporteurope.tv laufen die Spiele bislang nur hinter der Bezahlschranke für ein sehr übersichtliches Publikum. Eine "Schande" sei das, tobte DHB-Präsident Andreas Michelmann, die öffentlich-rechtlichen Sender wiesen jede Verantwortung unter Verweis auf Budgets ab. Und zur Wahrheit gehört auch: Die deutschen Frauen haben zuletzt eben nicht für Handlungsdruck auf die Verantwortlichen gesorgt. Das will man ändern.

"Wir können als Beschleuniger wirken", sagte Bundestrainer Gaugisch im SID-Interview zur Frage, welche Rolle das DHB-Team einnehmen kann, um die Wahrnehmung der Sportart zu erhöhen: "Wir sind eine nahbare Mannschaft, mit guten Vorbildern in jeder Hinsicht – Zielstrebigkeit, Motivation, Nahbarkeit. Wenn wir Begeisterung erzeugen, können wir dem Ganzen einen Push geben."

Die Voraussetzung entwickeln sich blendend, die Vorrundenspiele in Stuttgart waren jeweils mit 6000 Menschen komplett ausverkauft, in Dortmund werden die Deutschen bei ihren nächsten Aufgaben von mehr als 10.000 Landsleuten unterstützt werden. Im Team stehen mit Xenia Smits, Rückraumschützin Emily Vogel (geborene Bölk), Spielmacherin Alina Grijseels, Döll und Co. zahlreiche erfahrene Kräfte, die in den letzten Jahren auch auf europäischer Bühne viel Erfahrung und Erfolge gesammelt haben. Dazu kommen "junge WIlde" wie WM-Debütantin Nieke Kühne oder die 22-Jährige Nina Engel, die dem Kader noch einmal einen Energieschub verpassen. Seine Jungstars "haben ein gutes Mindset, die leben Handball, die wollen das", erklärte Gaugisch: "Die kümmern sich nicht um das drumherum."

Die Frauen liefern, ab dem Viertelfinale steigen nun auch ARD und ZDF ein. Es wäre ein Desaster für den deutschen Handball, wenn dann schon wieder schnell Schluss wäre. Mögliche Zweifel an einem Ausscheiden vorher hat das DHB-Team mit begeisternden Auftritten gegen heillos überforderte Gegnerinnen allerdings frühzeitig weggewischt.

"Klare Zielstellung: Halbfinale"

Island (32:25), Uruguay (38:12), Serbien (31:20) und nun WM-Neuling Färöer waren für das bislang begeisternde deutsche Ensemble gute Aufbaugegner auf dem Weg zur perfekten Turnierform. "Ob wir das Viertelfinale erreichen können, ist mir wurscht. Ich will mit der Mannschaft Spiele gewinnen", sagte Gaugisch vor dem Duell mit Montenegro. Verbandsboss Michelmann machte schon vor Turnierstart klar, dass Minimalziele Bremsklötze sind: "Es ist keine attraktive Zielstellung zu sagen, bei der Heim-WM wollen wir das Viertelfinale erreichen. Ich finde, dass die klare Zielstellung Halbfinale erlaubt sein muss. Das wird nicht leicht, muss aber das Ziel sein." Gaugischs hochdekorierter Vorgänger Henk Groener hatte es zwischen 2018 und 2022 nicht geschafft, die DHB-Frauen über die Hürde ins Halbfinale eines großen Turniers zu hieven, dann musste er gehen.

Nun befinden sich die deutschen Frauen also mitten in diesem Turnier, das jahrelang als Schutzschild über dem Team schwebte. Und es scheint, als ob sich die Dinge in Gaugischs Ensemble tatsächlich in die richtige Richtung bewegten. Das Desaster kurz vor dem Saisonstart, als der finanziell völlig ausgelaugte deutsche Meister Ludwigsburg aus der Liga getilgt wurde und zahlreiche Nationalspielerinnen auf einmal auf der Straße standen, scheint das Team nicht nachhaltig beschädigt zu haben. Topstars wie Abwehrchefin und Co-Kapitänin Xenia Smits sind zwar letztlich allesamt gut untergekommen. Der Schreck und der zusätzliche Stress kurz vor dem wichtigsten Turnier für den deutschen Frauenhandball seit vielen Jahren hat die Frauen aber ordentlich durchgeschüttelt.

"Sehen uns in Rotterdam"

Erreicht ist freilich noch nichts. Die Turniermomente, in denen sich die deutschen Frauen mit der Überraschung in der Hand zu regelmäßig ihre eigenen Träume zertrampelten, stehen noch bevor. Indizien, dass es wieder zum Kollaps kommen könnte, bietet das DHB-Team derzeit nicht. "Es ist alles drin. Norwegen thront ein bisschen über allen, der Rest ist schlagbar", sagte Florian Kehrmann bei Sporteurope.TV. Der Männertrainer des TBV Lemgo zeigte sich begeistert und zog Parallelen zur eigenen Vergangenheit: "Wir haben auf dem Weg zum Titel 2007 auch die Zwischenrunde in Dortmund gespielt, vielleicht ist das ein gutes Omen." Als Gruppensieger würden Gaugischs Frauen im Viertelfinale wohl auf Brasilien treffen. Nicht nur nach Weltmeister Kehrmanns Überzeugung ein machbarer Gegner auf dem Weg zur ersten großen Medaille seit 18 Jahren.

"Ich träume von etwas Großem, von einer Überraschung", hatte Torhüterin Katharina Filter schon vor dem Turnier gesagt. Kapitänin Döll ist das Träumen nicht genug. Sie denkt in Gewissheiten: "Wir sehen uns auf jeden Fall in Rotterdam", verkündete sie. Nichts haben sie in den letzten Jahren genug erreicht, in Rotterdam ginge es um Alles. Es ist an der Zeit.

Quelle: ntv.de