Hemmungslose Party Deutschland im Rausch
20.06.2008, 11:15 UhrWild hupende Autokorsos, schwarz-rot-goldene Gesichter, Raketen nach dem Schlusspfiff: Die deutsche Nationalmannschaft ist zum ersten Mal seit zwölf Jahren wieder in ein EM-Halbfinale gestürmt. Das wurde gefeiert – auf zahlreichen Fan-Festen im ganzen Land.
Laut jubelnd fielen sich Millionen Zuschauer vor den Großleinwänden in die Arme, als Bastian Schweinsteiger, Miroslav Klose und Michael Ballack Deutschland zum Sieg schossen. Nach dem Schlusspfiff schrien sich die Fußball-Begeisterten vor Freude fast heiser.
Funke endlich übergesprungen
Das Sommermärchen von 2006, es wird gerade noch einmal erzählt. Allein auf dem Hamburger Heiligengeistfeld fieberten 35.000 Fußball-Anhänger mit. Viele hatten ihre Gesichter in den Nationalfarben schwarz-rot-gold angemalt, trugen Trikots und schwenkten Flaggen.
Im Schanzenviertel verfolgten Deutsche und Portugiesen gemeinsam das Spiel vor den Fernsehern in Bars und Cafs. Nach dem Spiel knallten überall in der Stadt Böller, und Raketen stiegen in den Nachthimmel. Ein Fan meinte: "Heute ist der Funke zwischen Mannschaft und Fans endlich übergesprungen. Die Stimmung ist mittlerweile vergleichbar mit der von der WM 2006."
In Berlin konnte noch nicht einmal der Regen die Begeisterung der Fußball-Freunde trüben. Zehntausende umlagerten die Open-Air-Leinwände und Bildschirme vor den Lokalen, um das Spiel zu verfolgen.
Nach dem deutschen 3:2-Sieg zogen die Schlachtenbummler Richtung Kurfürstendamm. An der Gedächtniskirche sei die Hölle los gewesen, sagte ein Polizeisprecher.
Merkel nahm sich Auszeit
Auch in Nordrhein-Westfalen versammelten sich trotz des strömenden Regens Zehntausende auf den zahlreichen Fan-Festen, allein in Köln waren es 25 000. Autokolonnen blockierten nach Spielende überall die Straßen. Ausnahmezustand in Deutschland – und im deutschen Bundestag.
Selbst die Abgeordneten hatten früher Feierabend: Eine gute halbe Stunde vor dem Anpfiff entließ Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse die Parlamentarier.
Die Bundeskanzlerin verfolgte das Spiel am Rande des EU-Gipfels in Brüssel: "Ich konnte heute nur bis zum ersten Tor sehen, dann bin ich schon sehr motiviert ins Abendessen gegangen. Und dann hab ich mir einfach freigenommen für die letzten zehn Minuten und die vier Minuten Nachspielzeit", sagte Merkel. Ihr Fazit: "Eine unglaubliche Leistung – und ich hab mitgefiebert wie alle anderen auch." Sie wolle auf jeden Fall zum Finale am 29. Juni nach Wien fahren und die deutsche Mannschaft unterstützen, sagte die Bundeskanzlerin.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) denkt nach dem mitreißenden Viertelfinal-Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Portugal bereits ans Endspiel der Fußball-EM. Die Bundeskanzlerin habe die feste Absicht, zum Endspiel zu kommen und die deutsche Mannschaft zu unterstützen, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg am Freitag in Berlin. Das Finale am 29. Juni in Wien sei fest eingeplant. Über das Spiel gegen Portugal sei sie überglücklich gewesen, obwohl sie die Begegnung wegen des EU-Gipfels in Brüssel nicht habe komplett verfolgen können. Es sei eine sensationelle Leistung der Spieler gewesen.
Viele deutsche Fans feierten aber auch in den EM-Gastgeberländern Österreich und Schweiz. Auf vielen Fan-Meilen dominierte ebenfalls Schwarz-Rot-Gold.
Kusshände in den Abendhimmel
"Es sind sehr viele Fußballfans aus Deutschland da", sagte ein Salzburger Polizeisprecher. In Basel feierten rund 110 000 Fans den deutschen Sieg.
"Heute hat die Mannschaft gezeigt, was in ihr steckt, wenn sie befreit aufspielen kann", sagte Kapitän Michael Ballack nach dem Spiel. Erleichtert zeigte sich auch Torjäger Bastian Schweinsteiger, der zum "Man of the match" gekürt wurde: "Ich bin überglücklich, dass wir das Spiel gewonnen haben. Wir sind in den Top 4. Das ist sensationell. Wir haben die beste Mannschaft aus dem Turnier gekegelt", sagte der Münchner. Nach seinem 1:0 warf "Schweini" Kusshände in den Abendhimmel.
Löw: "Jetzt ist vieles möglich"
Bei der Jubel-Arie nach Spielschluss schnappte sich Schweinsteiger von einem Fan einen schwarz-rot-goldenen Cowboy-Hut und tanzte ausgelassen auf dem Rasen. So will Fußball-Deutschland "Schweini" sehen – und feiern.
Lob für Schweinsteiger und die deutsche Mannschaft gab es auch von Franz Beckenbauer: "Ich habe schon lange die deutsche Mannschaft nicht mehr so konstruktiv gesehen. Wenn sie das durchhalten, ist das Endspiel sicher drin, und im Endspiel ist sowieso alles drin."
Das glaubt auch Trainer Jogi Löw, der bereits 20 Minuten vor dem Abpfiff mit Sprechchören der deutschen Fans gefeiert wurde. Nach dem Spiel sagte er: "Jetzt ist vieles möglich".
Quelle: ntv.de