Cleveland beseitigt das Chaos Die Lachnummer der NFL macht Ernst
10.01.2021, 18:12 Uhr
Der Anführer: Quarterback Baker Mayfield.
(Foto: USA TODAY Sports)
Die Cleveland Browns kennen die Playoffs der National Football League für gewöhnlich nur vom Sofa aus. Nun aber steht der Verein erstmals seit 2003 wieder in der K.-o.-Runde. Und ausgerechnet jetzt fehlt wichtiges Personal wegen Covid-19.
In Cleveland haben sie in den vergangenen Tagen reichlich die Internet-Suchmaschinen benutzt. Was war so los um die Jahreswende 2002? Wer führte Anfang Januar 2003 die Charts an? Welcher Film lag in den Kinos auf Platz eins? Und welche neue Erfindung war vor 18 Jahren eigentlich das ganz große Ding? Der Vollständigkeit halber: Eminem mit "Lose Yourself", "Der Herr der Ringe - Die zwei Türme" sowie die ersten Mobil-Telefone mit Kameras.
Grund dieser Zeitreise sind die Cleveland Browns. Die spielen nach 6580 Tagen heute endlich wieder in den Playoffs der National Football League. Kein anderer NFL-Verein hatte so lange warten müssen. Am 5. Januar 2003 hatten die Browns bei den Pittsburgh Steelers 33:36 verloren. Und dort, nur knapp zwei Autostunden südöstlich, geben sie nun ihr K.-o.-Runden-Comeback.
Der entscheidende Sieg dazu gelang vor einer Woche, gegen eben jene Steelers. Zum Abschluss der Hauptrunde setzte sich Cleveland daheim 24:22 durch. Zwar schonte Pittsburgh Stammkräfte wie Spielmacher Ben Roethlisberger, weil die Playoff-Qualifikation bereits geschafft war. Doch das trübte die Freude in Cleveland keineswegs. Quarterback Baker Mayfield beispielsweise sprach von "einem ganz wichtigen Sieg für diese Stadt".
Cleveland und seine Browns - das ist eine ganz besondere Beziehung. Eine voller Liebe, aber auch mit ganz viel Leiden. Die größten Erfolge waren vier Meisterschaften in den Vierzigern in der All-American Football Conference, einem damaligen Kontrahenten der NFL, sowie vier weitere NFL-Titel zwischen 1950 und 1964. Später wurden die Browns innerhalb von vier Jahren dreimal auf der Vorstufe zum Super Bowl gestoppt - zuletzt 1990. Seitdem ging es fast nur noch bergab.
Realität war immer Verzweiflung
Was hat der Verein seine großartigen Fans leiden lassen. Die Leistungen waren oft so miserabel wie das Wetter zwischen Oktober und April in der Stadt am Eriesee - und oftmals sogar noch schlechter. Das Tal der Leiden war für die Browns-Anhänger tiefer, weiter und qualvoller als für die Fans anderer Klubs. Wenn es um die Lachnummer der Liga ging, zeigten viele sofort Richtung Cleveland. Egal, wie groß Hoffnung und Zuversicht zwischenzeitlich auch gewesen sein mögen, die Realität war immer Verzweiflung und Depression. Die Fans bekamen von ihren Browns oft genug nicht nur einen Schlag ins Gesicht, sondern zugleich noch einen Kick in den Magen und einen Tritt in den Hintern. Der Tiefpunkt war 1995 erreicht, als Besitzer Art Modell den Verein nach Baltimore umsiedelte und in Ravens umbenannte.
Vier Jahre später gab es sie wieder, die Cleveland Browns. Und mit ihnen Niederlagen und Enttäuschungen. Einer der wenigen Höhepunkte war das Playoff-Spiel 2003 gegen Pittsburgh. Von den 288 Partien seit jener Niederlage haben die Browns nur 91 gewonnen. Lediglich 2007 gab es mit 10:6-Siegen mal eine positive Bilanz. Und als sie dachten, dass 2016 mit einer Statistik von 1:15 der Tiefpunkt erreicht worden sei, folgte ein Jahr später die Total-Blamage. Die Browns verloren sogar alle Partien. Da haben in der langen NFL-Geschichte nur noch die Detroit Lions geschafft.
Pittsburgh hat seit dem letzten Playoff-Duell zweimal den Super Bowl gewonnen und stand ein drittes Mal im Finale. Cleveland verschliss im gleichen Zeitraum 26 Quarterbacks. Allerdings fand der Verein mit Baker Mayfield auch seinen jetzigen Spielmacher. In Nordamerikas Profiligen kaufen sich die Klubs nicht ihre Talente, sondern sie werden ihnen zugeteilt. Draft heißt diese alljährliche Börse der besten Nachwuchsspieler, bei der die schlechtesten Teams der gerade beendeten Saison als Erste zugreifen können. So soll möglichst Parität erzielt und eine Langeweile wie in der Fußball-Bundesliga mit einem Abonnement-Meister FC Bayern München vermieden werden.
Nach ihrer 0:16-Saison 2017 durften die Browns beim Draft 2018 als erster Klub auswählen - und entschieden sich für Mayfield. Der hat die in ihn gesetzten Hoffnungen bislang erfüllt. Um den 25-jährigen Texaner ist in Cleveland eine ambitionierte und durchaus beachtenswerte Mannschaft entstanden, die mit Kareem Hunt und Nick Chubbs zwei exzellente Runningbacks hat und zudem eine starke Defensive.
Trainer fehlt wegen Covid-19
Doch die Cleveland Browns wären nicht die Cleveland Browns, wenn nun, in der Vorbereitung auf das wichtigste Spiel seit 2003, alles nach Wunsch laufen würde. Cheftrainer Kevin Stefanski wird in Pittsburgh fehlen. Er hat Covid-19. Und er ist nicht der Einzige im Verein. Neben Stefanski fallen vier seiner Spezial-Trainer aus - und mit Denzel Ward sowie Kevin Johnson zudem zwei wichtige Verteidiger.
Wegen der Pandemie war das gesamte Trainingsgelände am Dienstag geschlossen worden. Er habe noch keinen einzigen Ball in dieser Woche geworfen, bemerkte Mayfield am Donnerstag. Einen Tag später konnte dann wieder trainiert werden. Wide Receiver Jarvis Landry betonte zwar, dass man all diese Umstände "nicht als Ausrede, als etwas, das uns hindert" nutzen dürfe, sondern "trotzdem einen Weg zum Sieg finden" müsse. Trotzdem gilt Cleveland in Pittsburgh als Außenseiter.
Den letzten Playoff-Sieg gab es am 1. Januar 1995. Die Browns gewann gegen die New England Patriots 20:13. Trainiert wurden sie damals von einem relativ unbekannten 42-Jährigen, der zuvor bei diversen NFL-Stationen für spezielle Mannschaftsteile verantwortlich war und in Cleveland erstmals als Chef-Trainer das Sagen hatte. Einer, der nach der Jahrtausendwende mit New England innerhalb von 17 Jahren neunmal den Super Bowl erreichen und ihn sechsmal gewinnen sollte. Ein gewisser Stephen William "Bill" Belichick. Irgendwie typisch für die Cleveland Browns.
Quelle: ntv.de