Spektakuläres DHB-Team Ein Sieg für die Stimmung und gegen die wachsenden Zweifel
01.05.2023, 16:31 Uhr
Johannes Golla und Andreas Wolff durften jubeln.
(Foto: picture alliance / Marco Wolf)
Die deutsche Handball-Nationalmannschaft schlägt Spanien und besiegt damit auch ein paar Zweifel. Die Mannschaft begeistert das Publikum und ein bisschen sich selbst, auf dem Weg zur Heim-EM im kommenden Jahr sorgt der Erfolg für ein wenig Rückenwind nach schweren Zeiten.
Als Paul Drux am vergangenen Donnerstag in Kristiansand schreiend aufs Parkett ging, war auch die Stimmung bei der deutschen Handball-Nationalmannschaft am Boden. Ohne Gegnereinwirkung hatte sich Rückraumspieler Drux zu Beginn der zweiten Hälfte des Länderspiels gegen Schweden die Achillessehne gerissen. Das Spiel endete für das DHB-Team mit einer deftigen 23:32-Klatsche. Es war die dritte deutliche Pleite in Serie, nachdem es zuvor gegen Serien-Weltmeister Dänemark zwei Lehrstunden gegeben hatte.
Spätestens mit Drux' schlimmer Verletzung war der letzte Hauch von Zuversicht dahin, die die Mannschaft mit beherzten Auftritten bei der Weltmeisterschaft im Januar geschürt hatte. "Das überschattet dieses Spiel komplett. Es ist extrem bitter für uns, ihn so lange zu verlieren, und tut mir für ihn unglaublich leid", hatte Bundestrainer Alfred Gislason gesagt. Nun kehrte man zum Finale einer Lehrgangswoche ausgerechnet nach Berlin zurück, der Heimat von Paul Drux, um sich hochkarätig in eine lange Länderspielpause zu verabschieden. Gegen den WM-Dritten Spanien.
"Sieg tut extrem gut"
Die Voraussetzungen für ein Handballfest, das auf dem Weg zur Heim-EM im Januar noch mal wenigstens ein bisschen Rückenwind in die Segel blasen sollte, waren schon mal besser. Und doch: Es gelang. 32:31 gewann das DHB-Team. Ein sporthistorisch unwichtiger Sieg, dessen Bedeutung nur schwer überschätzt werden kann. "Der Sieg war sehr wichtig. Auch die Art und Weise, wie die Jungs gespielt haben", freute sich Gislason. "Dieser Sieg tut natürlich extrem gut", sagte Juri Knorr. "Wir haben vor allem in der ersten Halbzeit eine gute Leistung gezeigt und in der zweiten Halbzeit auch nicht komplett den Kopf verloren."
Für das Spiel in Berlin hatte der DHB lange mit dem Local Hero Paul Drux geworben, der in der Jugend zu den Füchsen Berlin gewechselt war und den Bundesligisten in dieser Saison bisher als Kapitän anführte. Noch Tage nach der "Tragödie", wie Füchse-Manager Bob Hanning den Unfall seines Zöglings nannte, kursierten Anzeigen mit Drux durch die Sozialen Medien. Der Routinier fehlt eben. Aufs Feld wird Drux selbst erst in vielen Monaten und nach harten Reha-Einheiten zurückkehren können. Aber zumindest im Herzen und auf den Aufwärmshirts war der 28-Jährige bei seinem Heimspiel schon wieder dabei: "Komm bald wieder, Paul" stand vor dem Spiel auf der Brust der Nationalspieler zu lesen.
Was danach kam, sorgte dann merklich dafür, dass die Stimmung rund um die Nationalmannschaft wieder kletterte: Gegen den Vize-Europameister zeigte die Mannschaft, angeführt vom mal wieder überragenden Regisseur Juri Knorr, phasenweise eine beeindruckende Leistung, die 8204 Zuschauer in der ausverkauften Max-Schmeling-Halle bisweilen von den Sitzen riss. In der ersten Hälfte überrollte man den Vize-Weltmeister, 32:31 (20:11) hieß es am Ende. Knorr überragte mit zehn Treffern alleine in den ersten 30 Minuten, auch Torhüter Andreas Wolff, der von einem starken Mittelblock mit Kapitän Johannes Golla und Julian Köster profitierte, präsentierte sich mit zahlreichen Paraden stark. "Es ist schön, mal wieder gewonnen zu haben. Das ist uns lange nicht gelungen gegen eine große Mannschaft, die in den letzten Jahren Medaillen gewonnen hat", freute sich der 13-fache Torschütze Knorr nach dem Sieg gegen die Spanier, die ihrerseits durchaus mit einer A-Formation aufgelaufen waren.
"Dann können wir auch etwas erreichen"
Der Sieg, der nach dem 31:32 aus deutscher Sicht einen Treffer zu knapp ausfiel, um die Spanier im unbedeutenden EHF Euro Cup noch von Platz drei in der Vierergruppe zu verdrängen, ist wichtig für die Stimmung. "Das tut uns einfach gut, weil wir auch mitbekommen haben, dass einige im Hintergrund zweifeln, ob der Weg, den wir gehen, der Richtige ist", sagte DHB-Sportvorstand Axel Kromer. Man müsse zwar immer wieder alles hinterfragen. "Aber klar ist, dass wir mit dem Sieg gegen Spanien jetzt ein bisschen Rückenwind haben, um die lange Pause des Nationalteams zu überbrücken. Im November werden wir wieder Gas geben."
Erst in einem halben Jahr wird Gislason seine Mannschaft zum nächsten Mal für einen Lehrgang versammeln, "dann wird nichts mehr getestet, da geht es nur noch darum, sich einzuspielen", wie der Isländer sagt. Zwei Monate später steht die Europameisterschaft im eigenen Land an. Die beiden Länderspiele gegen Schweden und Spanien hatte Gislason genutzt, um sich eine ganze Reihe junger Spieler ganz genau anzusehen. Mit dem Hannoveraner Rückraumspieler Renars Uscins konnte vor allem einer ordentlich Eindruck hinterlassen.
Doch ein Wunder in Form eines plötzlich auf internationalem Niveau explodierenden Überraschungsspielers wird Gislason und seine Mannschaft auf dem Weg zur Europameisterschaft wohl nicht ereilen. Viel mehr gibt es für das Personal rund um die schon auf Weltklasseniveau agierende Achse Wolff-Knorr-Golla den klaren Auftrag: "Der Schlüssel wird für uns sein, dass jeder besser wird. Wir müssen im Verein Gas geben, besser werden und auch erst einmal den Platz in dieser Mannschaft erkämpfen. Dann können wir beim Heimturnier auch etwas erreichen", sagte Knorr. Dann muss aber, das ist keine neue Erkenntnis, das Niveau im Kader auf breiter Front gehoben werden. Auch deshalb fehlt Drux, der zwar eine schwache WM spielte, aber bei den Füchsen Berlin im Meisterschaftskampf in den engen Momenten durchgängig viele Spielanteile bekommt.
Stehen die sieben besten verfügbaren deutschen Spieler in guter Verfassung auf dem Feld, kann das DHB-Team mit den besten Mannschaften der Welt wenigstens mithalten. Das weiß man spätestens seit der WM, als Gislasons Ensemble gegen Olympiasieger Frankreich und im für beide Teams wichtigen Hauptrundenspiel gegen Norwegen lange an einem Sieg schnuppern durfte. Doch in den sechs Spielen im EHF Euro Cup, von denen fünf verloren gingen, "haben wir auch gesehen, wie weit wir in der Kaderbreite von der Weltspitze weg sind", sagte Gislason trotz des erleichternden Stimmungsaufhellers vom Wochenende.
"Da kann man sich echt drauf freuen"
Gönnt Gislason seinen Topleuten eine Pause oder geht jemandem zu früh die Puste aus, reicht es auf absolutem Weltniveau einfach noch nicht. Auch gegen Spanien wurde es so am Ende nochmal eng, auch weil Weltklasse-Torwart Gonzalo Perez de Vargas in der zweiten Hälfte zu großer Form auflief. "Wir hatten ein paar Probleme mit der Breite. Insgesamt haben wir zu schnell die Fehler gemacht", analysierte Gislason. "Insgesamt ist es natürlich schade, dass es am Ende nur ein Tor Vorsprung ist. Das hätten auch durchaus vier oder fünf Tore Vorsprung sein müssen."
Der Bundestrainer kann nun vorerst nicht mehr aktiv eingreifen, im kommenden halben Jahr wird er seine Mannschaft nicht mehr versammeln können. "Was soll ich machen? Ich kann gar nichts tun", sagte der 63-Jährige. Er wird aber aufmerksam beobachten, wie sich seine Spieler weiterentwickeln. Wenn am 10. Mai die Vorrundengruppen für die Heim-EM ausgelost werden, kann Gislason immerhin in die Vorbereitung auf die Gegner einsteigen. In der Vorrunde, das steht schon fest, muss sich der Gastgeber entweder mit Frankreich oder wieder mit Spanien messen.
Ein verlässlicher Faktor, auch das immerhin zeigte das Spiel in Berlin, wird auf dem Weg zurück in die engere Weltspitze und womöglich zur ersehnten ersten internationalen Medaille seit Olympiabronze 2016 die Kulisse sein. "Die Stimmung hat für sich gesprochen. Es war unglaublich laut. Die Halle war immer da, wenn wir sie gebraucht haben", sagte Julian Köster. "Das lässt auf viel hoffen." Und Rechtsaußen Timo Kastening, der nach langer Verletzungspause seine Rückkehr ins DHB-Team feierte, sekundierte: "Wenn man in der Schlussphase gesehen hat, was 8200 Zuschauer ausmachen können, was das für einen Push gegeben hat, das war schon richtig geil. Da sieht man wie Handballbegeistert Deutschland oder Berlin ist. Da kann man sich echt darauf freuen, was im Januar 2024 auf uns zukommt." Die Stimmung, sie war schon schlechter. Und das ist nur ein paar Tage her.
Quelle: ntv.de