
Da ist der Weltrekord: Jonas Deichmann ist am 106. Tag in Folge nach einem Ironman im Ziel.
(Foto: dpa)
Jeden Tag ein Ironman. Jonas Deichmann zieht sein Projekt seit 106 Tagen durch. Das bringt ihm den Weltrekord - und Hunderte sind dabei. Über einen Verrückten, der völlig nüchtern bleibt und eine Region, die den Ausnahmezustand mit Freuden zelebriert.
Hunderte Menschen stehen im Dunklen auf einer Wiese, im weiten Umkreis um ein beleuchtetes Tor mit Sponsorenlogos drauf. Gleich wird etwas Besonderes passieren, das verheißt nicht nur die schiere Menschenmasse, sondern auch das aufgeregte Kribbeln in der Luft. Und dann wird es laut, er kommt ins Ziel. Jonas Deichmann. Der Mann, der Grenzen verschiebt. "Wahnsinn, was heute hier los ist. Danke, Roth!", ruft er seinen Fans zu.
Der Weltrekord ist seiner, wieder einmal hat er einen geknackt. Mit dem 106. Langdistanz-Triathlon am 106. Tag in Folge hat Jonas Deichmann den bisherigen Rekordhalter Sean Conway übertrumpft, der den Rekord erst vor einem Jahr verbessert hatte. Am Mittwoch ist er gleichgezogen, am Donnerstag hat er den Waliser überflügelt. "Das war für acht, neun Monate mein Leben. Da war Zeit für nichts anderes. Es ist so geil, jetzt endlich hier zu sein", sagt er strahlend im Ziel. Und am Freitag wird er davonziehen. "Ich wollte nicht einfach einen mehr machen, ich will den Weltrekord schon deutlich steigern." 120 Ironmans am Stück hat sich der 37-Jährige vorgenommen.
Eine Langdistanz besteht aus 3,8 Kilometern Schwimmen, 180 Kilometern Radfahren und 42 Kilometern Laufen. Ein "Läufchen" nennt Deichmann den abschließenden Marathon. Für die meisten ist das schon einmal völlig unvorstellbar. Deichmann dagegen gibt sich mit einem Mal nicht ab. Als ihn alle feiern, ist für ihn klar: "Das Projekt ist nicht zu Ende, das heißt, ich muss heute genauso früh ins Bett kommen, eine gute Recovery haben, morgen um 6.30 Uhr ist wieder Langdistanz. Einen richtig außergewöhnlichen Tag darf ich gar nicht daraus machen, sonst würde ich das morgen merken", sagte er zu ntv.de.
Schon bis heute hat er 23.934,8 Kilometer absolviert. 3161,2 Kilometer kommen bis zum 5. September noch hinzu. Warum er das macht? "Weil es geht. Und weil es Bock macht. Ich will auch rausfinden, was ich kann, was machbar ist. Da gibt es nichts Besseres als die Langdistanz." Es klingt so einfach, wenn er davon spricht.
"Der macht keinen Scheiß"
"Als wir ihn kennengelernt haben, haben wir festgestellt: 'Hey, es ist wohldurchdacht und der macht keinen Scheiß'", sagt Felix Walchshöfer gegenüber ntv.de. "Was er auch psychisch leistet, ist einfach unglaublich. Es war uns relativ schnell klar, wenn er das sagt, dann macht er es auch. Dann zieht er es auch durch. Aber es ist immer noch unvorstellbar." Walchshöfer ist so was wie der Ironman-Papst in Franken. Er ist der Renndirektor der Challenge Roth, dem legendären Ironman, der in diesem Jahr sein 40-jähriges Jubiläum feierte. Der Wettkampf ist Kult, die ersten stehen am Tag der Challenge um 16 Uhr schon Schlange, um sich am kommenden Morgen ihren Startplatz für die nächste Ausgabe zu sichern. Mit kleinen Änderungen, die es nur noch idyllischer werden lassen, absolviert Deichmann dieselbe Strecke. Während bei der Challenge Roth im Main-Donau-Kanal geschwommen wird, muss Deichmann in den Rothsee ausweichen. Dort sind für ihn Bojen gesteckt - vier Runden dreht er jeden Morgen, um auf die 3,8 Kilometer zu kommen.
Der Mond steht noch am Himmel, der Nebel wabert über den See, als sich die ersten Sportlerinnen und Sportler, die Deichmann an diesem besonderen Tag begleiten wollen, in ihre Neoprenanzüge quetschen, ihre neonfarbenen Schwimmbojen aufblasen. Es ist kurz nach 6 Uhr morgens, um 6.30 Uhr fährt der Van mit Deichmann vor. "Jonas Deichmann Challenge 120" prangt an den Seiten, aus der Schiebetür tritt ein gut gelaunter Athlet. "Frisch und munter" sei er - das sagt er immer jedem, der nach seinem Befinden fragt. Es sind auch die Routinen, die ihn durch das Mammutprojekt tragen. "Geil wird's!", sagt er vor dem Sprung ins Wasser, das bei Weitem wärmer ist als die 10 Grad kalte Luft an diesem Morgen. "Geil war's" wird folgen, wenn er wieder ausgestiegen ist.
Zwischen den Runden legt der Extremsportler einen kleinen Boxenstopp am Steg ein, nimmt ein paar Schlucke aus der Trinkflasche, dann geht's weiter. Die Ernährung, sie ist wohl fast die anstrengendste Disziplin beim Ironman. Schon bei einem einzelnen Wettkampf, erst recht, wenn man wie Deichmann am nächsten Tag wieder auf die Strecke geht. 14,4 Liter Flüssigkeit nimmt er zu sich, 10.000 Kalorien braucht sein Körper, um nicht auszuzehren. Jeden Tag. "Ich esse und trinke nicht, weil ich Hunger oder Durst habe", sagt er und "um ehrlich zu sein, freue ich mich auf so eine richtig gesunde Ernährung" nach der Challenge. Viel Sportnahrung ist sehr süß, sobald diese nicht mehr nötig ist, will er essen, was er will, "normales Essen", wie er sagt.
Eigene Schmerzen und verunfallter Bruder bringen Deichmann nicht raus
Sein Team sorgt dafür, dass er sich auf seine Aufgabe konzentrieren kann. Verzug kann er sich nicht leisten, braucht er länger auf der Strecke, ist seine Regenrationszeit kürzer. Termine abseits des Sports sind nicht drin. Wer ein Interview mit Deichmann will, muss entweder mitlaufen oder auf dem Rad nebenherfahren. Vater Sammy ist der Manager, auch Bruder Siddharta ist häufig mit dabei, natürlich auch am Weltrekord-Tag. Dabei war er an Tag 18 auf dem Rad gestürzt, bei Tempo 45, nachdem er an 15 der 17 Tage zuvor ebenfalls die Langdistanz bewältigt hatte. Mit einem Schlüsselbeinbruch und einem Stich in der Lunge musste er mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus transportiert werden. Ein Schock ganz am Anfang des Projekts. Aber für Jonas ging es weiter. "Ich wusste, da kommen harte Momente", sagt er rückblickend. "Ich muss mich in diesen auf Freude konzentrieren, auf den Weg zur nächsten Wechselzone, zum leckeren Abendessen. Und am nächsten Tag ist es oft auch besser."
Auch von eigenen Wehwehchen lässt er sich nicht abhalten. Die Füße des Abenteurers wurden größer, zu enge Schuhe bereiteten Probleme, die durch neue Paare gelöst werden konnten. Üble Rückenschmerzen quälten ihn schon, er hielt beim Schwimmen und auf dem Rad irgendwie durch, ehe ihn sein Physiotherapeut vor dem Laufen wieder einrenkte. "Bei mir waren mehrere Rippen, Wirbel, alles verschoben. Die ganze Muskulatur hat zugemacht. Es sah also richtig übel am Rücken aus", sagte er damals, kurz vor der Halbzeit des Projekts. Tag 60 war eine besondere Marke - der Tag der Challenge Roth. Als er gemeinsam mit all den anderen "Verrückten" startete, als er am berühmten Solarer Berg wie alle Teilnehmer durch das enge Spalier musste, dass die vielen Fans dort jedes Jahr bilden. Das größte Risiko: Sich von der Stimmung mitreißen zu lassen.
An diesem 22. August steigt er nach 1 Stunde und 8 Minuten aus dem Wasser. Beim Schwimmen ist er im Laufe des Projekts schneller geworden, braucht ein paar Minuten weniger als noch am Anfang. Auf dem Rad und beim Laufen ist das aber gar nicht erwünscht. Deichmann bewegt sich im Bereich der Grundlagenausdauer, sein Puls liegt dann bei etwa 110. Werte, die kaum vorstellbar niedrig sind. 6:30 Stunden sitzt er täglich auf dem Rad, läuft 4:30 bis 5 Stunden. "Ich bin in meinem Rhythmus", sagt er. 14 bis 15 Stunden Sport täglich. Bei der Challenge Roth waren es 11:45 Stunden. Dauerhaft zu schnell wäre nicht gut für Deichmann, das würde zu sehr belasten.
Nur wenige Minuten am Tag allein
Am Ufer warten an diesem Weltrekord-Tag bereits zahlreiche Menschen auf ihn und die 25 Personen, die mit ihm die Schwimmrunden gedreht haben. Inzwischen ist es komplett hell, die Sonne hat den Mond abgelöst, wie das Radfahren das Schwimmen beim Triathlon ablöst. Applaus für ihn, dazu ein Stück Kuchen und ein Geburtstagsständchen für einen Mitschwimmer. Deichmann schlüpft in die Badeschlappen, bekommt ein Handtuch gereicht, am Van steht bereits ein Campingstuhl für ihn bereit. Beim Umziehen gibt es eine Flasche Trinknahrung und einen Espresso. Etwa 50 Menschen schauen ihm zu, wie er sich bereit macht, um aufs Rad zu steigen.
Allein ist er fast nie bei diesem Projekt. Ein zwölfminütiger Powernap am frühen Nachmittag ein paar Stunden Schlaf in der Nacht. Es ist völlig anders als bei seinen bisherigen Abenteuern. Er schläft jede Nacht am selben Ort in einer Ferienwohnung. Das hatte er früher nicht. Sein Zuhause ist die Welt, seit er seinen Beruf als Sales Manager kündigte und alles auf die Karte Extremsportler und Abenteurer setzte. Im Sommer 2017 fuhr er in 64 Tagen 14.331 Kilometer von Cabo da Roca in Portugal nach Wladiwostock in Russland, er radelte von Alaska nach Feuerland, es ging einmal um den Globus, er machte einen Triathlon um die Welt. Im vergangenen Jahr legte er die Strecke von New York City nach Los Angeles gleich doppelt zurück. Weltrekord reiht sich an Weltrekord. Bei diesen Touren war er allein. Dagegen ist bei der Challenge 120 die Hölle los.
"Muss sehen, dass ich ruhig bleibe"
Der Radgruppe schließen sich bei einer Pause weitere Sportler an. Sie wollen mit auf eine Runde auf den Straßen der Region, bis zum zweiten Wechsel in Roth. Da gibt es wieder eine Routine: Deichmann trinkt einen Espresso bei Walchshöfer, das Büro der Challenge liegt direkt nebenan. Den Rennleiter begeistert vor allem, "dass Jonas so ein Hero ist für viele Kinder und Jugendliche". Zu sehen, wie viele mitlaufen, mal fünf Kilometer, mal mehr, das begeistert ihn. Er selbst hat als Kind seinen Vorbildern nachgeeifert, jetzt ist es Deichmann, der andere ansteckt. Und am Weltrekord-Tag steckt er ganz besonders viele an. 80 Leute etwa gehen mit ihm auf den Marathon und im Verlauf der Strecke schließen sich immer mehr an. Bei Kilometer 30 am Stadtrand von Roth gibt es eine kleine Party mit Wimpelkette über der Straße, Nebelmaschine, Musik, Bannern und einer Melone in Form einer Torte, weil er die immer snackt.
Ein Ort weiter in Büchenbach ist dann endgültig Halligalli, der ganze Ort hat sich am Weiher versammelt, applaudiert und jubelt, als Deichmann und seine mittlerweile etwa 300 Personen umfassende Entourage diesen umrundet. Die Begeisterung ist so groß, dass man sich als Außenstehende unwillkürlich fragt, was all diese Menschen in zwei Wochen machen, wenn Deichmann nicht mehr jeden Tag vorbeikommt. Trotzdem: "Klar macht das was mit mir, aber ich muss sehen, dass ich ruhig bleibe", sagt er mit Blick auf die Euphorie am Weltrekord-Tag.
Die Challenge hat sich ein Stück weit verselbstständigt. Deichmann würde auch jeden Tag Schwimmen, Radfahren und Laufen, wenn ihn niemand begleiten würde, niemand an der Strecke auf ihn wartet. Doch die Faszination des Verrückten zieht viele in ihren Bann. Dass ab Büchenbach aber etwa 300 Menschen mit ihm in Richtung Ziel laufen, das konnte niemand erwarten. Die Party muss trotzdem warten - geplant ist sie für Abend 121, dann muss er am nächsten Morgen nicht um 5.40 Uhr aufstehen und zum Rothsee fahren.
Sport ist weiterhin Pflicht
Und dann die Beine hochlegen? Mitnichten, das würde seine Gesundheit gefährden. 30 bis 40 Stunden Sport muss er nach der Challenge pro Woche machen - die Dauer eines Vollzeitjobs -, "meine Organe sind jetzt etwas größer, da möchte man keine Vollbremsung einlegen". Dazu warten Talkshows, Lesungen von seinem zu diesem Projekt entstehenden Buch "Weil ich's kann", das am 1. November erscheint, Vorträge als Speaker. Sein nächstes - noch streng geheimes - Projekt ist auch schon in Planung, es soll wieder ein Abenteuer werden, nicht so sehr im Hochleistungsbereich beheimatet sein wie das aktuelle.
Erst aber kommt er an diesem Abend des 22. August ins Ziel. Als Weltrekordler. Ein Dank ans Publikum, ein paar Fotos. Dann verschwindet er auch schon. Party ist nicht drin. Freitagfrüh um 5.40 Uhr klingelt der Wecker. Um 6.30 Uhr geht es in den Rothsee. Tag 107.
Quelle: ntv.de