Tischtennis-Bund sorgt für Novum Freispruch für positiven Ovtcharov
15.10.2010, 14:27 UhrDer Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) verzichtet auf die Einleitung eines Dopingverfahrens gegen Nationalspieler Dimitrij Ovtcharov. Trotz positiver A- und B-Probe auf Clenbuterol sieht der DTTB die Unschuld des Athleten als "zweifelsfrei erwiesen" an. Dopingbekämpfer Werner Franke sieht darin dennoch keinen Präzedenzfall.

Dimitrij Ovtcharov muss durch den DTTB keine Sperre fürchten. Vom Tisch ist diese damit aber noch nicht.
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Der Freispruch in der Doping-Affäre um Tischtennis-Europameister Dimitrij Ovtcharov ist ein Novum in der Geschichte des deutschen Sports. Nach dem einstimmigen Präsidiumsbeschluss des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) wird nach dem so genannten Ergebnismanagement erstmals kein Verfahren gegen einen in A- und B-Probe positiven Aktiven eingeleitet.
Unter Berufung auf Ermittlungsergebnisse und renommierte Experten sieht es der DTTB als erwiesen an, dass Ovtcharov das nachgewiesene Kälbermastmittel Clenbuterol "unwissentlich aufgenommen hat" und damit "kein schuldhafter Verstoß" gegen die Anti-Doping-Ordnung vorliegt. "Eine Verurteilung von Dimitrij Ovtcharov sähe ich angesichts der Indizienlage und der Expertenanalysen als großes Unrecht", erläuterte DTTB-Ehrenpräsident Hans Wilhelm Gäb die Entscheidung.
Geschlossene Indizienkette
Ovtcharov selbst, der laut Gäb bei der Nachricht vom vorläufigen Ende der Affäre "zu Tränen gerührt" war, reagierte befreit: "Der DTTB hätte niemals so entschieden, wenn der Verband nicht zu 100 Prozent sicher gewesen wäre, dass ich unschuldig bin. Meine Freude ist fast noch größer als der Schock über die positiven Kontrollen. Noch einen Monat länger, und meine Karriere wäre zerstört gewesen."
Ausschlaggebend für das Novum in der Geschichte von Dopingkontrollen in Deutschland war eine offenkundig geschlossene Indizienkette. Die schlüssige Reihe von Fakten stützt Ovtcharovs Darstellung von der Aufnahme der ohnehin nur in verschwindend geringer Dosierung nachgewiesenen Substanz durch kontaminiertes Fleisch während der China Open im August. "Die Annahme ist die aus meiner Sicht wahrscheinlichste Befunderklärung. Eine dopingrelevante Anwendung von Clenbuterol ist höchst unwahrscheinlich", zitierte der DTTB aus der Fallbewertung des Doping-Experten Wilhelm Schänzer vom Institut für Biochemie in Köln.

Clenbuterol-Doping wäre im Tischtennis kontraproduktiv, argumentierten Ovtcharovs Fürsprecher.
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Besonders entlastend für Ovtcharov neben einer negativen Haarprobe auf das im Falle einer Doping-Anwendung leicht nachweisbare Clenbuterol erwiesen sich Nachkontrollen von Tests vier weiterer deutscher China-Open-Starter einen Tag nach Ovtcharovs Probe. Mit einer deutlich empfindlicheren und in der Praxis nicht genutzten Messmethode fanden Schänzer und sein Kollege Detlef Thieme vom Dopinglabor in Kreischa bei diesem Quartett grundsätzlich nicht dopingrelevante "Spuren von Clenbuterol im extrem niedrigen Konzentrationsbereich". Dies genügte dem DTTB offenbar, um die Behauptung der Veranstalter des Turniers in China nicht ins Gewicht fallen zu lassen, das Essen im Turnierhotel sei nicht kontaminiert gewesen. Die Parallelen der Ergebnisse von Ovtcharovs Kollegen sowie die medizinische Unsinnigkeit einer Anwendung von Clenbuterol im Tischtennis-Sport - dazu noch in einer Wettkampfphase - fügten sich in ein Gesamtbild zugunsten des deutschen Nationalspielers.
Franke sieht keinen Präzedenzfall
Werner Franke, Deutschlands bekanntester Dopingbekämpfer, sieht im Freispruch für Ovtcharov deshalb auch keinen Präzedenzfall für künftige Doping-Verfahren. Bei dem Tischtennisspieler spreche im Gegensatz zu anderen mit Clenbuterol erwischten Sportlern die Logik eindeutig gegen einen Manipulationsversuch. "Die häufigste Nebenwirkung von Clenbuterol-Doping ist unkontrolliertes Gliederzittern", sagte der Heidelberger Molekularbiologe. "Wenn ein Tischtennisspieler Clenbuterol zum Doping nehmen würde, müsste das schon ein Selbstmörder sein", meinte Franke.
Die Tatsache, dass sich die verbotene Substanz in Ovtcharovs Urin, nicht aber in der Haarprobe finden ließ, "zeigt, dass er es erst ganz zum Schluss genommen hat", so Franke.
Freispruch noch nicht endgültig
Bei der Einleitung eines Dopingverfahrens hätte Ovtcharov sehr wahrscheinlich mit einer Sperre rechnen müssen. Die Bestimmungen der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) sehen vor, dass die Regelstrafe bei einer unabsichtlichen Kontamination nicht ausgesetzt, sondern nur halbiert werden darf. Grund ist das im Wada-Code verankerte Prinzip der "Strict Liability", wonach ein Sportler für die in seinem Körper gefundenen Substanzen verantwortlich ist. Entscheidend für eine Strafe ist also nur, ob ein Sportler positiv getestet wird - nicht, ob er die gefundene Substanz mit Vorsatz eingenommen hat.
Gegen den Freispruch für Ovtcharov könnten die Nationale Anti Doping Agentur (Nada) und die Weltorganisation Wada noch Einspruch einlegen. "Wir werden die Entscheidungsbegründung genauestens und schnellstmöglich prüfen sowie die Wada über den Stand der Dinge informieren", sagte NADA-Sprecher Berthold Mertes. Weikert sieht dieser Überprüfung gelassen entgegen: "Wir haben auf Grundlage von Verantwortung und nach bestem Wissen und Gewissen entschieden. Ich befürchte keinen Einspruch. Es gab von Anfang an Unterschiede zu anderen Clenbuterol-Fällen."
Ovtcharov, der nach der mit sofortiger Wirkung aufgehobenen Suspendierung beim Weltcup in Magdeburg (29. bis 31. Oktober) startet, entschloss sich nach seinem persönlichen Happy End zu einem Spontan-Trip mit seiner Freundin nach Paris. "Ich möchte meinen Kopf schnell wieder frei bekommen und mich von den Gedanken der vergangenen Wochen lösen", sagte der 22-Jährige vor dem Abflug. Eine Lehre aus den vergangenen Wochen muss der Olympia- und WM-Zweite mit der Mannschaft in Frankreich noch nicht anwenden: "Ich werde in China bestimmt kein einziges Stück Fleisch mehr essen." Es wäre eine weise Entscheidung.
Quelle: ntv.de, cwo/sid