Gigantische Cricket-WM in Indien Für dieses Spiel schlafen Fans freiwillig im Krankenhaus
14.10.2023, 07:28 Uhr
Das Narendra Modi Stadium ist mit seiner Kapazität von 132.000 Zuschauern das größte Stadion der Welt.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Cricketspieler sind in Indien überlebensgroße Superstars. Um bei der WM das hochbrisante Duell zwischen dem Gastgeber und Pakistan sehen zu können, quartieren sich Fans in Krankenhäusern ein. Von den gigantischen Geldmengen will auch das IOC profitieren.
Hunderte Millionen Menschen sind gerade im Cricket-Fieber - und in Deutschland bekommt es kaum jemand mit. Die Weltmeisterschaft in Indien ist nicht nur für das Milliardenvolk der Höhepunkt im diesjährigen Sportkalender, sondern zieht gerade in vielen Teilen der Welt die Menschen in ihren Bann. Das riesige Geschäft mit dem Sport, der die zweitgrößte Fanbasis nach dem Fußball zählen soll, haben längst auch die Olympia-Macher entdeckt. Bei den Sommerspielen in Los Angeles 2028 wird Cricket nach 128 Jahren ins Wettkampfprogramm zurückkehren, so die Internationale Olympische Komitee auf seiner am Sonntag beginnenden Generalversammlung in Mumbai dem Vorschlag zustimmt. Dass dies nicht passieren wird, ist praktisch ausgeschlossen.
Der Ort der IOC-Abstimmung könnte passender nicht sein. Indien ist dank der WM ohnehin gerade im Cricket-Rausch. Am heutigen Samstag kommt es zum hochbrisanten Duell mit dem Nachbarland und Erzrivalen Pakistan. Der Andrang auf das Spiel ist so hoch, dass anreisende Fans angesichts ausgebuchter Hotels in dem Austragungsort in der Stadt Ahmedabad gar Übernachtungen in Krankenhäuser buchten - Gesundheitschecks inklusive, wie örtliche Medien berichteten. Ein Sieg Indiens ist elementar für die WM-Stimmung.
Denn selbstverständlich geht es nicht nur um den Sport. Wenn Indien auf Pakistan trifft, ist die Sache hochpolitisch. Seit die Kolonie Britisch-Indien 1947 mit einem einfachen Strich auf der Landkarte in zwei Länder geteilt wurde, ist die Region nicht zur Ruhe gekommen. Vier Kriege gab es bereits im Tauziehen um die Region Kaschmir. Einig sind sich Indien und Pakistan nur in einem: Cricket, der Zeitvertreib der Kolonialherren, ist Nationalsport.
Das größte Stadion der Welt
Und deshalb fiebern die Menschen mindestens in Indien und Pakistan nun dem "Blockbuster Clash" entgegen. Schauplatz ist die größte Sportarena der Welt: Das Narendra Modi Stadium in einem Vorort der Millionenstadt Ahmedabad bietet 132.000 Menschen Platz - und selbstverständlich hätten viel, viel mehr dort hinein gewollt. Dabei treffen die Nationen einigermaßen regelmäßig aufeinander.
In der bisweilen etwas unverständlichen Welt dieses Sports gibt es mehrere Spielformen, insgesamt standen sich Teams aus Indien und Pakistan bereits 205-mal gegenüber, Indien gewann 73 Vergleiche, Pakistan 88. Vor allem die Test Matches ("Länderspiele" über fünf Tage) sind geprägt von der erbitterten Rivalität. Bei der seit 1975 ausgetragenen WM aber gab es bisher nur sieben Duelle, und Pakistan, Weltmeister 1992, verlor alle. Inzamam-ul-Haq war an vier dieser Spiele beteiligt. Die pakistanische Cricket-Legende vermutet, dass "Indien an den Spieltagen besser mit dem Druck umgehen kann". In das achte Duell geht Pakistan nun mit beeindruckenden Siegen gegen die Niederlande und Sri Lanka, Indien gewann bisher nicht minder überzeugend gegen Rekord-Weltmeister Australien.
Die Gastgeber, Weltmeister 1983 und 2011, gelten als leicht favorisiert, auch, weil sie mit dem "Pitch" vertraut sind, also die Tücken des Streifens, auf dem der Ball nach dem Wurf des "Bowlers" vor dem "Batsman" aufkommen muss, schon kennen. Zudem sind die indischen Profis abgehärtet durch die Spiele der finanzkräftigen zehn Teams umfassenden Indian Premier League (IPL), in der sich im April und im Mai nahezu alle Cricket-Stars aus aller Welt duellieren.
Indien ist neben Titelverteidiger England unter den zehn teilnehmenden Teams Mitfavorit auf den Triumph im WM-Finale, das nach sechs Turnierwochen für den 19. November angesetzt ist. 1,5 Milliarden Zuschauer werden dann wohl weltweit an den TV-Schirmen dabei sein. Die Bedeutung von Cricket in Indien ist kaum zu überschätzen und für den deutschen Beobachter aus der Ferne nur schwer nachvollziehbar. Hierzulande führt die Sportart ein Nischendasein.
Deutschland ist noch Entwicklungsland
Nach Angaben des Deutschen Cricket Bunds gibt es bundesweit rund 15.000 aktive Spielerinnen und -spieler. Fast alle von ihnen seien aus den zwölf großen Cricketnationen mit hohem Spielerniveau und finanziellen Mitteln - darunter Indien und England - eingewandert. Sie alle spielten auf Vereinsebene. "Deutschland ist beim Cricket noch ein Entwicklungsland", sagt Geschäftsführer Brian Mantle.
Die Hoffnung der wenigen deutschen Anhänger ist nun, dass das Olympia-Comeback von Cricket auch hier etwas mehr ins Rampenlicht verhilft. Die neuen olympischen Sportarten sollen "neue Athleten zu den Spielen bringen, vielfältige Fangruppen ansprechen und die Präsenz der Spiele im digitalen Raum erweitern", sagt der Olympia-Chef von Los Angeles, Casey Wasserman.
Aber natürlich dürften auch finanzielle Aspekte eine Rolle bei der Entscheidung gespielt haben. So seien beispielsweise die olympischen Medienrechte in Indien derzeit rund 15,6 Millionen Pfund (rund 18 Millionen Euro) wert, schrieb der britische "Guardian". Diese Zahl könne demnach aber mit der Aufnahme von Cricket auf bis zu 150 Millionen Pfund (174 Millionen Euro) ansteigen. Cricket brachten einst die Briten in ihre ehemaligen Kolonien. Jetzt ist der Sport ein Milliardengeschäft - gerade in Indien. So gehört die Indian Premier League (IPL) zu den lukrativsten Ligen überhaupt mit einem Jahresumsatz von rund zehn Milliarden Euro - doppelt so viel wie die Fußball-Bundesliga.
Politik und Sport eng verwoben
In der IPL spielen einige der besten Profis überhaupt in für Cricket vergleichsweise kurzen Partien mit dem Namen Twenty20, die nur einige Stunden dauern - und nicht Tage wie damals bei dem Original der britischen Kolonialherren. Dieses Format wird auch bei Olympia gespielt werden.
Cricketspieler können in Südasien zu Superstars aufsteigen und Millionen verdienen. Der pakistanische Ex-Profi Imran Khan schaffte es sogar ins Amt des Premierministers. Das zeigt auch die politischen Dimensionen des Sports. In Indien kontrolliert beispielsweise Jay Shah, der Sohn von Innenminister Amit Shah und einem der engsten Vertrauten von Premierminister Narendra Modi, das örtliche Cricket Board.
Und als Modi früher Regierungschef des Bundesstaates Gujarat war, war er auch Chef des dortigen Cricket Boards. In Gujarat befindet sich auch das größte Cricket-Stadium von Ahmedabad, das nach Modi selbst benannt ist. In der Arena für 132.000 Zuschauer findet nicht nur die wichtige Partie gegen Pakistan statt, sondern auch das Finale. Die große Cricket-Bühne hat für Indien aber auch sportpolitische Bedeutung. Wird das Turnier ein Erfolg, könnte dies die Pläne des bevölkerungsreichsten Landes der Erde für eine eigene Olympia-Bewerbung stärken. Im Rennen um die Sommerspiele 2036 könnte Indien dann ein Konkurrent für Deutschland werden.
Quelle: ntv.de, ses/dpa/sid