Fokussiert, favorisiert, furchtlos Löws Männer vertrauen auf sich
22.06.2010, 10:14 UhrOliver Kahn ist zuversichtlich, dass Deutschland im Gruppenendspiel gegen Ghana bestehen wird. Bundestrainer Joachim Löw ist ebenfalls zuversichtlich. Sie haben allen Grund dazu. Die Qualität der Mannschaft ist unbestritten. Sie hat in beiden bisherigen WM-Spielen überzeugt.
Der Ärger nach der unnötigen Niederlage gegen Serbien, er war groß. Die Stimmung im DFB-Team, sie ist weiter angespannt. Die Ausgangslage für die junge deutsche Nationalmannschaft, sie bleibt komfortabel. Mit dem zweiten Sieg im dritten Gruppenspiel gegen Ghana steht Deutschland im Achtelfinale, selbst ein Remis kann reichen. Was will man mehr?
Oliver Kahn, langjähriger Nationaltorwart und 2002 entscheidend am Vize-Weltmeistertitel beteiligt, ist optimistisch. Der "tz" sagte er: "Für mich ist es absolut unvorstellbar, dass Deutschland am Mittwoch die WM beendet." Zwar stehe das Team von Bundestrainer Joachim Löw vor einer "Reifeprüfung". Doch gerade in solchen K.o.-Momenten haben "deutsche Mannschaften aber häufig Kraft und Willensstärke gezeigt". Deutsche Fußball-Folklore, die zuletzt bei der spielerisch drei Klassen schlechteren EM 2008 belegt wurde.
Ghana pfeift im Walde
Schlagbar ist das nominell beste afrikanische Team bei dieser WM für die spielfreudigste deutsche Elf seit Jahrzehnten allemal. In ihren ersten beiden Partien haben es die für ihre Offensivstärke gelobten Ghanaer nicht geschafft, ein Tor aus dem Spiel heraus zu erzielen - nicht einmal in fast 70-minütiger Überzahl gegen Australien. Ein Handelfmeter musste in beiden Partien her. Mit Asamoah Gyan hat Ghana den Deutschen zwar einen sicheren Elfmeterschützen voraus. Ansonsten war die laut ghanaischen Medien "schreckliche Show der Sterne" nicht einmal in der Heimat dazu angetan, für Optimismus zu sorgen. Die Aussage des früheren Bundesliga-Torschützenkönigs Anthony Yeboah, seine Landsleute "haben das Zeug dazu, Deutschland gefährlich zu werden", sie klingt wie das berühmte Pfeifen im Walde.
Berichte, wonach Inter Mailands Mittelfeldspieler Sulley Muntari im WM-Quartier in Sun City ausgerastet sei, Coach Milovan Rajevac sowie einige Mitspieler beschimpft habe und daraufhin aus dem Kader geworfen wurde, dementierte der Verband umgehend. Inzwischen wurde bekannt: Muntari ist ausgerastet, hat sich aber entschuldigt. Und darf nun bleiben.
Während sich der deutsche Boulevard auf das Bruderduell zwischen Jerome und Kevin-Prince Boateng freut, insgeheim ein schweres Revanchefoul herbeisehnt und über einen Löw-Rücktritt im Falle des ersten deutschen Vorrunden-Ausscheidens spekuliert, gilt im deutschen Lager alle Konzentration dem Gegner. Was die Offiziellen und Spieler zu verkünden haben, sind Binsenweisheiten. Sie spiegeln aber schlicht die Realität. Löw etwa bescheinigte den Ghanaern nicht nur eine körperbetonte Spielweise und gefährliche Konter, sondern stellte auch fest: "Drucksituationen bei einer WM sind nicht zu vermeiden. Ein K.o.-Spiel passiert auch schon mal in den Gruppenspielen." Wie wahr! Teammanager Oliver Bierhoff fühlte sich bemüßigt zu betonen: "Wir spielen nicht gegen Kevin-Prince Boateng, sondern gegen Ghana." Auch das ist richtig.
Löw steht zu seiner Startelf

Treue: Auch gegen Ghana wird Joachim Löw nicht auf Manndeckung umstellen. Auch seine Startelf steht, nur Klose fehlt.
(Foto: dpa)
Arne Friedrich, inzwischen als zweiter Innenverteidiger gesetzt, warnte derweil zu Recht vor Aktionismus und stellte ganz nüchtern fest: "Die Fehler, die wir gemacht haben, müssen wir abstellen, und das werden wir machen." Damit meinte er nicht unbedingt, dass Löw nach der aufwühlenden Niederlage gegen Serbien den Gegner erst als Bosnien und später auch noch als Kroatien bezeichnet hatte. Er dürfte die individuellen Fehler auf dem Feld im Sinn gehabt haben. Vor dem 0:1, als sich Youngster Holger Badstuber überlaufen ließ und dann in der Mitte die Zuordnung überhaupt nicht stimmte. Und er meinte wohl auch die taktischen Fehler von Bundestrainer Löw, der den heillos überforderten Badstuber erst nach 70 Minuten erlöste, Lukas Podolski den Elfmeter schießen ließ, Cacau zu spät brachte und Mesut Özil zunächst als Klose-Ersatz in die Spitze beorderte, damit seiner Kreativität beraubte. Und ihn dann, als er endlich ins Spiel gefunden hatte, voreilig auswechselte.
Ein großer Umbau der Startelf ist vor der Partie gegen Ghana nicht zu erwarten, obwohl der Gegner mit dem flinken Andrew Ayew auf rechts ebenfalls einen Milos Krasic besitzt. Der gelernte Innenverteidiger Badstuber, der gegen Serbien defensiv Probleme im Stellungsspiel offenbarte und offensiv generell selten glänzt, bekam am Wochenende von Löw und dem Team öffentlich das Vertrauen als Linksverteidiger-Notlösung ausgesprochen. Kapitän Philipp Lahm nahm das Gegentor auf die Kappe der restlichen Abwehr, Löw erkannte treffend eine "Fehlerkette" vor dem Tor der Serben und meinte damit nicht nur seine Abwehrformation. Zum laut "Süddeutscher Zeitung" "umfangreichen Badstuber-Hilfsprogramm" gehörte nicht zuletzt die Bitte des Bundestrainers, mit dem Verteidiger "vorsichtig umzugehen (…), denn wir haben nicht allzu viele Talente dieser Art."

Gegen Serbien zu oft zweiter Sieger, gegen Ghana trotzdem dabei: Bayern-Youngster Holger Badstuber.
(Foto: dpa)
Daraus spricht auch der Mangel an Alternativen für die linke Abwehrseite. Lahm könnte die Seiten wechseln, ist aber unwillig, zumal eine erprobte Alternative auf rechts nach Friedrichs Versetzung in die Mitte nicht bereitsteht. Marcell Jansen, der in der EM-Vorrunde 2008 beim 1:2 gegen Kroatien ähnlich schlecht ausgesehen hatte wie jetzt Badstuber und damals seinen Stammplatz verspielte, traut Löw den Part offenbar auch nicht zu. Der Hamburger ist ihm zu offensiv ausgerichtet, oder doch nicht vollends fit.
Berechtigter Optimismus
Klarer scheint die Sache im Angriff, eigentlich. Weil Kampfsportler Miroslav Klose nach seiner überflüssigen Gelb-Roten Karte fehlt, ist der Platz im Sturmzentrum vakant – und scheinbar Cacau sicher. Der verkündete vorab schon einmal bescheiden, aber dennoch selbstbewusst: "Wenn ich die Möglichkeit bekomme, werde ich meine Stärken zeigen: Schnelligkeit, gute Ballbehandlung, Torschuss." Ob er tatsächlich von Beginn an auflaufen darf, lässt Löw freilich offen. Sinn ergeben würde es aus seiner Sicht nämlich auch, mit Mario Gomez zu beginnen. Zumindest dann, wenn Löw dem glücklosen Münchner unverdrossen weitere Einsatzminuten zu schenken gedenkt, was aus Sicht neutraler Berater nicht unbedingt Sinn ergibt. Als Joker, das hat der Münchner eindrucksvoll nachgewiesen, ist er absolut unbrauchbar.
Bis zum Spiel will sich Löw nun auf die "ganz wichtigen Trainingseinheiten" konzentrieren, die er geheim abhält. Die Marschroute für das Endspiel ist klar, sie unterscheidet sich nicht von den Ansagen vor den ersten beiden Partien: "Wir versuchen, gegen Ghana zu agieren und dominant zu sein." Alles andere würde nicht nur der bewährten Spielweise des jungen DFB-Teams widersprechen, sondern auch der Stärke des Gegners nicht gerecht werden. Gegen Serbien hat das DFB-Team zwar das Spiel verloren, aber nicht seine Linie. Der demonstrativ zur Schau getragene Optimismus ist berechtigt, ein Scheitern natürlich nicht ausgeschlossen. Oder, um es mit Ex-Titan Kahn zu sagen: "Wenn unsere Mannschaft dieses Team aus Ghana bei einer WM nicht schlagen kann, scheidet sie zu Recht aus."
Quelle: ntv.de