Mit LNG alles richtig gemacht "Historisch schlechte" Gasspeicherfüllstände sind kein Problem


Im kommenden Winter stehen vier Flüssiggasterminals, für LNG-Lieferungen bereit.
(Foto: picture alliance/dpa)
Ende August zuckt Deutschland auf: Die Gasspeicher sind schlecht befüllt. Die Sorge vor einer neuen Energiekrise flammt auf. Aber die Sorge scheint unbegründet. Beim Befüllen der Gasspeicher haben Deutschland und die EU ausnahmsweise alles richtig gemacht.
Deutschland hat nichts aus der Energiekrise im Winter 2022/2023 gelernt. Dieser Eindruck entsteht, als es plötzlich heißt: "Die Gasspeicher sind historisch schlecht befüllt, auch im Vergleich zu unseren Nachbarstaaten."
Gewissermaßen stimmt das, in den vergangenen beiden Jahren waren die Gasspeicher Mitte September deutlich voller. Der Füllstand betrug vor zwei Jahren 94 und 2024 sogar fast 96 Prozent. Aktuell sind es gut 74 Prozent. Experten sagen: Es ist nicht mehr möglich, sie bis zum Beginn der Heizsaison im November vollständig zu befüllen.
Müssen Gaskunden also erneut Mondpreise bezahlen, wenn sie im Winter nicht frieren wollen? Ist die Versorgungssicherheit überhaupt gesichert?
Natasha Fielding beobachtet den europäischen Gasmarkt für die Preisberichterstattungsagentur Argus Media. Sie sieht keinen Grund zur Panik. "Gasspeicher sind wichtig für die Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa", sagt Fielding im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Genauso wichtig ist ihr zufolge aber auch, ihre Bedeutung nicht zu überschätzen: "Die Speicher sind eine Reserve. Ein Puffer für einen wirklich kalten Winter, wenn mehr geheizt wird, oder wenn es zu ungeplanten Versorgungsunterbrechungen kommt. Sie sorgen dafür, dass man nicht in letzter Minute neues Gas importieren muss."
Vier schwimmende Terminals
Die Gasspeicher spielen nach wie vor eine wichtige Rolle bei der deutschen Wärmeversorgung, aber ihre Bedeutung nimmt ab, denn die Versorgungsstruktur hat sich in den vergangenen Jahren merklich verändert.
Früher hat Deutschland fast 55 Prozent seines Erdgases von Russland gekauft. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine vor dreieinhalb Jahren wurden die Importe schrittweise gesenkt, inzwischen liegen sie bei null. Die neuen Quellen befinden sich fast vollständig in Nord- und Westeuropa: Ein Viertel (25 Prozent) der Gasimporte kam laut Bundesnetzagentur vergangenes Jahr aus den Niederlanden, 18 Prozent aus Belgien. Der mit Abstand größte Lieferant ist mit 48 Prozent inzwischen Norwegen.
Es bestehe keine Gefahr einer Gasmangellage, hat das Bundeswirtschaftsministerium die Berichte über eine drohende Energiekrise kommentiert. Die Versorgung mit Pipelinegas aus Norwegen sei gesichert.
Und mit Flüssiggas: "Anders als in den Vorjahren stehen uns derzeit vier schwimmende Flüssiggasterminals für die Versorgung zur Verfügung", sagt eine Sprecherin der ARD. "Die Terminals gewährleisten das ganze Jahr eine sehr flexible Möglichkeit, Gas zu importieren."
Wendepunkt auf dem LNG-Markt
Im vergangenen Jahr kamen bereits acht Prozent der deutschen Gasimporte an den Flüssiggasterminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel, Lubmin und Mukran an. Im Unterschied zu Pipelines werden dort aber keine langfristigen Lieferverträge geschlossen. Der LNG-Markt funktioniert kurzfristig. Dort wird bevorzugt eingekauft, wenn es günstige Angebote gibt.
Davon wird es in den kommenden Jahren eher mehr als weniger geben. Denn weltweit tobt ein LNG-Wettrennen. In den USA, Katar, Kanada und anderen Ländern gehen in den kommenden anderthalb Jahren so viele Projekte in Betrieb, dass das Angebot die Nachfrage sehr wahrscheinlich deutlich übersteigen und die Preise somit deutlich senken wird. Fielding spricht von einem Wendepunkt auf dem Gasmarkt: "Wir sehen einen enormen Anstieg der Exportkapazitäten, es ist viel mehr Flüssiggas verfügbar. Dadurch steigt das LNG-Angebot für Deutschland und Europa, aber auch für Asien. Das ist der andere große Abnehmer."
Alarmstufe aufgehoben
Aber wenn die Lage auf dem Gasmarkt so gut ist, warum sind die deutschen Gasspeicher nicht zu 100 Prozent gefüllt? Weil der Gasmarkt im Frühjahr verrücktgespielt hat: Die Preise für eine Lieferung im Sommer waren deutlich höher als für eine im Winter. Das ist deshalb ungewöhnlich, weil der Bedarf im Winter höher ist als im Sommer, denn es muss geheizt werden. Dementsprechend sollten auch die Preise im Winter höher sein.
Im Frühjahr war das Gegenteil der Fall, denn zu diesem Zeitpunkt galten strenge Regeln für die europäischen und somit deutschen Gasspeicher: Anfang November muss der Füllstand 90 Prozent betragen, war die Vorgabe. Im vergangenen Winter wurde länger geheizt als in den Vorjahren. Ende März waren die Speicher mit einem Füllstand von 29 Prozent halb so voll wie 2024 (63) und 2023 (64).
Damit war klar, dass Deutschland viel Gas nachbestellen muss, darauf hat der Markt spekuliert. Die Gaspreise schossen in die Höhe, noch während die Heizsaison lief. Doch ausnahmsweise haben Deutschland und die EU das Richtige getan: nichts. Sie haben kein Gas bestellt, sondern gewartet und die Speicherregeln gelockert sowie die Alarmstufe für die Gasversorgung aufgehoben.
"Markt hat das Problem allein gelöst"
Das Ergebnis ist eindeutig: Im Februar kostete eine Megawattstunde Gas 60 Euro, jetzt sind es gut 30 Euro. So günstig war Gas zuletzt während der Corona-Pandemie. Seit die Preise fallen, steigen die Füllstände der Gasspeicher.
"Der Markt hat das Problem von allein gelöst", sagt Energieexpertin Fielding. "Die EU und Deutschland haben die Speichervorschriften 2022 eingeführt, als die russischen Gaslieferungen nach Europa zurückgingen und die Energiekrise begann. Die deutsche Regierung musste viele Milliarden Euro ausgeben, um Gas zu kaufen und die Speicher zu füllen. Seitdem sind mehr als drei Jahre vergangen. Europa hat seine Versorgung umgestellt, und wie gesagt: Wir haben inzwischen andere Bedingungen am LNG-Markt."
Die Experten haben recht: Es ist nicht mehr möglich, die Gasspeicher bis zum Beginn der Heizsaison im November vollständig zu befüllen. Aber so voll müssen sie auch nicht sein. Der russische Angriff auf die Ukraine hat eine Zeitenwende ausgelöst - auch in der deutschen Gasversorgung.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
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Quelle: ntv.de