WM-Wunschkonzert auf n-tv.de Warum Deutschland es schaffen kann
11.06.2010, 09:00 Uhr
Alt: So sahen die WM-Helden 1990 aus - Kapitän Matthäus küsst den Pokal.
(Foto: AP)
Mit einer der jüngsten Mannschaften seit langer Zeit wird die DFB-Elf in Südafrika durch Leidenschaft und Spielfreude überzeugen. Nach 20 Jahren hat das Warten endlich ein Ende.
Seit 20 Jahren warte ich nun schon. 20 Jahre ohne Titel und nur mit einem einzigen WM-Finale. Dabei hatte alles so gut angefangen in meinem Leben. Als Kind der 80er Jahre stand für mich wie in Stein gemeißelt: Der Bundeskanzler heißt Helmut Kohl, Bundestrainer ist Franz Beckenbauer, ein Fußballspiel dauert 90 Minuten und am Ende kommt Deutschland ins WM-Finale.
Schuld daran waren die ersten Weltmeisterschaften meines Lebens, an die ich mich erinnern kann, 1986 in Mexiko und 1990 in Italien. Gut, mit nicht einmal sieben Jahren ist meine deutlichste Erinnerung an die Endrunde 86 die, dass ich das Finale nicht sehen konnte, weil ich den 80. Geburtstag meiner Großmutter feiern musste. Aber 1990 war ich mit ganzem Herzen und Fußballbilder-Stickeralbum dabei.

An den Titel konnte sich nur Andi Brehme gewöhnen.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Irgendwie war ich durch Freunde auf diese Chorfreizeit geraten und saß beim Finale gegen Argentinien mit allen anderen Kindern in einer einzigen großen Pyjama-Party vor dem Fernseher. Es war das größte Fußballspiel meines Lebens, obwohl nur ein Elfmeter das Match entschied. Egal – wir waren Weltmeister. Die Helden meiner Jugend hießen Lothar Matthäus, Rudi Völler, Jürgen Kohler, Jürgen Klinsmann und natürlich Andreas Brehme, der den Strafstoß verwandelt hatte.
Der Kaiser dankt ab
Doch dann begannen die 90er Jahre, der Kaiser dankte ab und die WM in den USA unter dem neuen Bundestrainer Berti Vogts sollte mich kalt erwischen. Wenn es um die Erwartungen im Fußball geht, bin ich so erbarmungslos anspruchsvoll wie die meisten Deutschen: Alles unter dem Halbfinale ist unwürdig.
1994 das Aus im Viertelfinale gegen Bulgarien, 1998 dann gegen Kroatien – ein Weltbild brach für mich zusammen. Zudem tauchten Figuren wie Stefan Effenberg in der Nationalelf auf und 1998 bei der WM in Frankreich fielen Deutsche jenseits der Stadien als brutale Randalierer deutlich stärker auf als auf dem Platz. Die 90er waren für mich verlorene Fußballjahre, da half auch kein EM-Titel. Ein wenig Ablenkung und Trost fand ich in meiner Pubertät.
Die neuen Helden
Doch nach dem Tiefpunkt unter Erich Ribbeck als Trainer begann mit dem neuen Jahrtausend, seinem Nachfolger Völler und einer sich stetig verjüngenden Nationalelf wieder ein vielversprechendes Zeitalter der deutschen WM-Teilnahmen, dessen Krönung aber bis heute aussteht. Oliver Kahn, Miroslav Klose und Michael Ballack hießen die neuen Helden. Und die WM 2002 in Japan und Südkorea brachte Spielfreude, Leidenschaft und Erfolg in mein Fußball-Leben zurück. Die 0:2-Niederlage im Finale gegen Brasilien tat dem keinen Abbruch, zumal es das bis dahin beste Spiel der deutschen Mannschaft war.
Was folgte, war die WM in Deutschland, die Generation Schweinsteiger/Podolski und ein Sommermärchen, das im Halbfinale gegen Italien in einen Albtraum verwandelt wurde. Der Schmerz sitzt bis heute tief, den Sönke-Wortmann-Film schalte ich immer nach dem Elfmeterschießen gegen Argentinien ab.
Fast schon ein wenig verzweifelt hoffe ich deshalb auf das Turnier in Südafrika. Denn eigentlich fühle ich mich - wie vielleicht ganz Fußball-Deutschland - um den WM-Titel 2006 betrogen. Deshalb wäre es mehr als nur gerecht, wenn wir jetzt den Titel holen. Und dabei Italien aus dem Turnier werfen würden.
Generation ohne Titel
Doch jenseits aller Verzweiflung und Rachegelüste gibt es 2010 ganz reale Chancen, dass die deutsche Mannschaft Weltmeister wird. Und nein, das liegt nicht am Fehlen von Michael Ballack. Nur ein bisschen vielleicht.
Ohne ihren alternden und erfahrenen Kapitän tritt mit einem Altersdurchschnitt von knapp 25 Jahren eine der jüngsten Mannschaften in der Geschichte des DFB an. Nur 1934 war das Durchschnittsalter noch niedriger. Doch Jugend muss kein Nachteil sein, mit Manuel Neuer, Jérome Boateng, Sami Khedira, Mesut Özil, Dennis Aogo, Marko Marin und Toni Kroos gehören vier amtierende U21-Europameister zum Kader. Die können nicht nur gut, sondern auch befreit aufspielen, weil sie nicht wie Ballack die letzte Chance auf einen Titel haben. Zudem gehören sieben Spieler des FC Bayern München zur Mannschaft; auch wenn man die Bayern nicht mag, ist das ein schlagkräftiges Argument – trotz eines formschwachen Miro Klose.
Außerdem brennt die Generation Schweinsteiger-Podolski auf ihren ersten Titel. Weder bei einer EM noch WM waren sie bislang erfolgreich. Und in den letzten beiden Testspielen vor dem Turnier in Südafrika hat auch der in Köln trostlos spielende Podolski zu seiner WM-Form gefunden. Bei ihm läuft es sowieso nur in der Nationalmannschaft richtig gut.
Es wird die WM Schweinsteigers werden. Wir werden eine junge deutsche Mannschaft sehen, die sich motiviert und leidenschaftlich durch das Turnier kämpft. Bald werden Khedira, Kroos, Neuer, Marin und Müller die neuen Helden sein. Australien, Ghana und Serbien können wir schlagen. Im Viertel- oder Halbfinale fliegt Italien raus. Und dann, am 11. Juli 2010 im Finale, flankt Podolski von links außen in den Strafraum, und Schweinsteiger rutscht in den Ball und trifft …
Quelle: ntv.de