Nach zweitem Sieg gegen Fury Hat Usyk den "Mumm" für den ganz großen Coup?
03.01.2025, 14:29 Uhr
Oleksandr Usyk schlug Tyson Fury zweimal.
(Foto: dpa)
Oleksandr Usyk beginnt das Jahr 2025 auf dem Gipfel des Boxsports. Spätestens seit seinem zweiten Sieg gegen Tyson Fury kurz vor Weihnachten hat der Ukrainer alles erreicht. Ein Plädoyer für einen glorreichen Rückzug.
Zum Jahreswechsel diskutieren die Gelehrten des Faustkampfes die Frage, ob Oleksandr Usyk nach seinem zweiten Triumph über Tyson Fury der größte Boxer der Geschichte ist. Der GOAT, Greatest of All Time. Nun, der Titel mag für immer Muhammad Ali vorbehalten sein und überhaupt ist die Frage nach dem Allergrößten müßig. Es gab (und gibt) schlicht zu viele Edelkämpfer, die im Laufe zweier Jahrhunderte den Gral des vermeintlich ultimativen Pugilisten gefunden haben.
Einfacher zu beantworten ist eher die Frage, ob dieser Oleksandr Oleksandrovych Usyk nicht schlicht der sympathischste Champion ist, den das Boxen je gesehen hat. "Heute ist ein sehr glücklicher Tag für mich", sagte der 37-Jährige unmittelbar, nachdem er den 2,06-Meter großen und fast 130 Kilogramm schweren Box-Koloss Fury am 21. Dezember in Riad abermals bezwungen hatte. Kein Wunder angesichts des monumentalen Erfolges, dabei dachte Usyk gar nicht so sehr an sich selbst.
Gnadenloses "Kaninchen" mit Herz
"Meine beiden Jungs haben heute auch einen Wettbewerb gewonnen – im Judo", ließ er alle Welt voller Vaterstolz wissen. Die Gürtel grün und orange seiner Söhne waren Usyk mindestens genauso wichtig, wie die glitzernden Gürtel der Box-Weltverbände WBA, WBC und WBO, die der Ukrainer über zwölf Runden verteidigte. Er wolle jetzt ab- und sein Telefon ausschalten, sagte Usyk auf der anschließenden Pressekonferenz. Seine zehn Monate alter Tochter Maria habe er wegen der kräftezehrenden und zeitraubenden Trainingscamps bisher nur zwei Monate gesehen. Ab nach Hause, mit den Kindern spielen, hinsetzen, zurücklehnen "und in den Himmel schauen".
Vor dem Weltmeister saß ein grauer Stoffhase, ein Talisman seiner älteren Tochter. Der von Fury einst als "Kaninchen" verspottete Usyk und der langohrige Plüsch-Kompagnon – eine Symbiose der Glückseligkeit. Keine Frage, einen derart geerdeten, demütigen Meister aller Box-Klassen hat es lange nicht mehr gegeben. Eine Frage: Was nun, Oleksandr Usyk?
Wäre das Boxen ein Videospiel, der ukrainische Nationalheld hätte es durchgespielt. 2011 Weltmeister bei den Amateuren, 2012 Olympiasieger, 2018 unumstrittener Weltmeister im Cruisergewicht (bis 90,72 Kilogramm), 2024 unumstrittener Weltmeister im Schwergewicht. Jeweils zwei Siege über die britischen Riesen Anthony Joshua (2021/22) und Tyson Fury, dazu der Erfolg gegen den heutigen IBF-Weltmeister Daniel Dubois (2023).
"I can more"
Usyk hat ausgesorgt. Die Zweiteiler gegen Joshua und Fury haben ihm hunderte Millionen an Dollars aufs Konto gespült. Ein Teil davon fließt in Usyks Stiftung, die den leidgeplagten Landsleuten in der Heimat hilft. Auch deshalb ist der Boxer eine Ikone. Im Ring kämpfen muss er nicht mehr. Aber offenbar will er es. "I can more", kündigte Usyk in Saudi-Arabien in seinem gebrochenen, fast schon kultigen Englisch an. Ein erneutes Duell mit Dubois, der in Riad ungefragt in sein Sieges-Interview platzte und etwas tölpelhaft Revanche forderte? "No Problem!"
Noch hat Usyk kein Problem. Noch. Am 17. Februar, dem Geburtstag Muhammad Alis, wird der begnadete Rechtausleger 38 Jahre alt. Den Zahn der Zeit hat noch kein Boxer gezogen. Anders als Ali hat Usyk die Chance, makellos vom Gipfel abzusteigen. Ungeschlagen aufhören – das hat im Schwergewicht bis dato nur der legendäre Rocky Marciano geschafft, der dem Ring 1955 mit einer Bilanz von 49:0 Arrividerci sagte. Usyk steht bei 23:0 (nach sagenhaften 335 Siegen als Amateur).
Sollte Usyk nach dem zweiten Triumph gegen Fury also vielleicht nicht doch die historische Chance und Schluss machen? "Das ist von außen ganz schwer zu beurteilen", sagt Box-Experte Bernd Bönte im Gespräch mit sport.de. "Ob man auf dem Höhepunkt den Mumm hat, zu sagen: 'Das war's.' Es sind nur die ganz Großen im Schwergewicht, die das geschafft haben – absolute Legenden", erinnert Bönte neben Marciano auch an Lennox Lewis und Vitali Klitschko, die als Weltmeister abtraten. Die Liste jener, die zu spät aus dem Seilgeviert kletterten, ist länger.
Tragische schlechte Vorbilder
"Der Allergrößte, Muhammad Ali, und der aus meiner Sicht Zweitgrößte, Joe Louis, haben es leider nicht geschafft", zählt der langjährige Manager der Klitschko-Brüder die vielleicht tragischsten Beispiele auf. Louis, elf Jahre lang Herrscher des Schwergewichts, wurde 1951 im Alter von 37 Jahren vom aufstrebenden Marciano zertrümmert, als wäre er Fallobst. Ali kassierte mit 38 von seinem einstigen Sparringspartner Larry Holmes eine fürchterliche Tracht Prügel. Es heißt, Marciano und Holmes hätten hinterher in der Kabine geweint – so sehr schmerzte es sie, ihre Idole verdroschen zu haben.
Als Oleksandr Usyk den zehn Jahre jüngeren Daniel Dubois im Vorjahr besiegte, sprach er dem verzweifelt wirkenden Briten Mut zu. "Daniel, du bist jung. Du kannst. Du kannst träumen", sagte der Meister zum Lehrling. Dubois hat seither drei Siege gefeiert. Im September schlug der 27-Jährige Superstar Joshua k.o. und schnappte sich den IBF-Gürtel, den Usyk zuvor freiwillig niedergelegt hatte. Ist der potentielle Thronerbe also die letzte Herausforderung des Schwergewichts-Königs? Trotz dessen Sieges vor zwei Jahren? Dubois verteidigt seinen Titel am 22. Februar gegen den Neuseeländer Joseph Parker. Gewinnt der Knockout-Spezialist, wird er noch lauter nach Revanche schreien.
"Macht mir den Kampf klar!"
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"Usyk ein bisschen kennend, könnte ich mir vorstellen, dass er sagt: Nochmal als unumstrittener Weltmeister mit allen vier WM-Gürteln abtreten", wagt Bönte einen vorsichtigen Ausblick. "Ich sehe da schon das Wembley-Stadion. Und der erste Kampf gegen Dubois hat ja durchaus Fragezeichen offengelassen. Das wäre schon wieder eine sensationelle Geschichte, die man da erzählen kann." Was Bönte meint: Dubois hatte Usyk seinerzeit in Breslau mit einem rechten Körperhaken auf die Bretter geschickt. Ein seltenes Bild, allerdings bewertete der Ringrichter die Aktion als Tiefschlag und gab Usyk Zeit, sich zu erholen. Die Entscheidung, – obschon korrekt – empörte vor allem in England viele. Dubois und Promoter Frank Warren sprachen gar von "Robbery", Betrug. "Eure Exzellenz", sagte Usyk in der Kingdom Arena von Riad an die Adresse des saudischen Box-Moguls Turki Al-Sheikh, als ihm Dubois in die Parade fuhr. "Macht mir den Kampf gegen Daniel Dubois klar."
"Das Geld und die Angst vor Schlägen", hat die deutsche Box-Legende Bubi Scholz einmal auf die Frage geantwortet, was ihn zum Boxen treibe. Bei Joe Louis war es das Geld. Bei Muhammad Ali die Angst – wenngleich eher die vor dem Entzug. Viele große Boxer sind in ein Loch gefallen, als die große Bühne weg war. Die wenigsten von ihnen waren so gefestigt wie Usyk. "Oleksandr der Große" hat 2025 die Chance auf den größten Coup. Was er dafür tun muss – "nur" die Boxhandschuhe nicht mehr anziehen.
Quelle: ntv.de