Olympionikin Leilani Ettel "In Peking: Boom! Alles raushauen!"
30.01.2022, 11:15 Uhr
Nur wenige Monate nach den Spielen in Tokio wird das Olympische Feuer erneut entzündet, diesmal in Peking. Aufgrund der Menschenrechtsverletzungen in China ist immer wieder von einem möglichen Boykott die Rede, im Hintergrund läuft die Corona-Pandemie weiter. Die deutsche Halfpipe-Hoffnung Leilani Ettel erklärt, wie sie sich inmitten dieser Debatten auf ihr Olympia-Debüt vorbereitet.
ntv.de: Die Olympischen Winterspiele von Peking, die nun unmittelbar bevorstehen, machen bisher vor allem außersportlich von sich reden. Viele westliche Länder boykottieren das Event diplomatisch, über allem schwebt die Corona-Pandemie. Es sind deine ersten Olympischen Spiele. Mit welcher Stimmung blickst du auf Olympia?
Leilani Ettel: Die erste Emotion die aufkommt, ist Freude. Ich weiß gar nicht wie ich das beschreiben soll. Im Moment sinkt diese Nominierung gerade noch ein. Viele sehen die Olympischen Spiele als Kind im Fernsehen und sagen, genau da möchte ich mal hin. Für mich ist das alles noch so riesig, dass ich zu Olympia fahren kann und dort auch noch all meine Freunde wiedersehe. Natürlich gibt es Corona und andere Themen drumrum, aber wir sind Sportler. Bisher habe ich gute Erfahrungen mit den Wettkämpfen in China gemacht. Ich freue mich auf eine perfekt präparierte Pipe und fahre dahin, um zu Snowboarden. Das ist das einzige, worauf ich mich fokussieren kann und das einzige, was in meiner Hand liegt. Natürlich wäre es cool, wenn mich meine Familie begleiten könnte. Aber diese Umstände ist man in der Pandemie mittlerweile gewohnt. Ich sehe das Glas halb voll. Es wird auch unter diesen Umständen ein besonderes Erlebnis.
Snowboarden ist seit 1998 olympisch, du bist 2001 geboren. Welchen Bezug hast du zu früheren Wettkämpfen?
Mein Vater ist ganz früher - bevor es olympisch war - auch Wettkämpfe in der Halfpipe gefahren, das hat meine Familie dann später natürlich immer auch interessiert. Das heißt mir waren Fahrer wie Craig Kelly, Terje Haakonsen und Todd Richards sehr früh ein Begriff. Seit Sotchi 2014 habe ich Olympia dann selbst mit Spannung verfolgt. Namen wie Ayumu Hirano, Danny Davis, Iouri Podladtchikov, Scotty James oder Chloe Kim sind schon länger meine Idole. Es ist für mich immer noch krass, dass ich mit einigen von ihnen bei Contests antrete und sie auch persönlich kenne. Jetzt bei Olympia mit diesen Fahrern gemeinsam an der Pipe zu stehen ist etwas Besonderes. Wir sind im Snowboardfahren so eine richtige Community und freuen uns für jeden, der einen Run landet. Durch Olympia können wir der ganzen Welt zeigen, dass wir alle füreinander da sind. Schaut her: "Soviel Spaß macht Snowboarden!". Da geht mir das Herz auf.
Jetzt trittst du auf der größten Bühne des Sports gegen deine Idole an. Mit welchen Ambitionen fliegst du nach Peking?
Olympia ist immer ein Peak für unsere Sportart. Ich will den besten Lauf landen, den ich habe. Zurzeit ist sehr vieles offen. Was Podium und Medaillen angeht, kann alles passieren. Ich hab auch noch ein paar neue Tricks, an denen ich im Sommer gearbeitet habe. Wenn ich die lande, habe ich eine Chance auf eine gute Platzierung. Ich lasse das aber Schritt für Schritt auf mich zukommen, ich will meine Nerven nicht zu sehr strapazieren.
Hast du dir ein Minimalziel gesetzt?
Ich will auf jeden Fall an den Finals teilnehmen. Der Plan ist, mich mit einem sicheren, guten Run zu qualifizieren, um dann im Finale auf "Alles oder Nichts" fahren zu können. Ich will zurückfahren und sagen können, mein Bestes gegeben zu haben.
Corona steht gerade vor den Wettkämpfen im Fokus. Die Pandemie begleitet euch jedoch auch schon durch die Vorbereitung. Wie kompliziert war das Training unter diesen Bedingungen?
Zu Anfang war es lange unklar, ob es überhaupt Trainingscamps gibt. Im ersten Winter hat sich alles etwas nach hinten verschoben. Danach lief aber alles nach Plan. Wir hatten Maßnahmen wie die Masken oder verschiedene Liftzeiten, um auf den Berg zu kommen. Jeder hat versucht, in seiner Bubble zu bleiben. Es ist natürlich schade, dass man außerhalb vom Berg kaum mit seinen Freunden zusammen ist, das geht auch bei den Wettkämpfen nicht. Aber so fanden immerhin überhaupt Trainings und Wettkämpfe statt. Wenn man die Regeln einhält und sich selbst gut schützt, hatte man wenig Probleme.
Du bist in deinem Sport sehr abhängig von der Infrastruktur, in etwa vergleichbar mit Bob-Piloten. Wie sieht dein Training normalerweise aus?
Das hängt davon ab, was ich trainieren will. Man kann natürlich auch auf der normalen Piste carven und Sprünge üben. Ich kann auch allen, die Halfpipe fahren wollen, nur immer wieder sagen, dass es hilft, gut Piste fahren zu können. Das geht alles auch in Deutschland, hier gibt es nur leider keine Halfpipe mehr. Daher ist mein Home-Resort tatsächlich Laax in der Schweiz. Das sind mit dem Auto von mir aus drei Stunden Fahrt. Da habe ich eine der besten Halfpipes der ganzen Welt und ein riesiges Skigebiet.
Und wie trainiert man Halfpipe-Fahren ohne Halfpipe?
Vieles findet in unserem Sport im Kopf statt. Das habe ich auch erst in den letzten Jahren gelernt, als Kind macht man sich um so etwas wenig Gedanken. Ich habe von den besten Coaches der Welt gehört, dass der Kopf 90 Prozent der Performance ausmacht. Viele von uns gehen ihre Tricks am Start noch einmal durch. Solche Übungen kann ich immer machen, dazu kommen dann noch Videoanalysen. Vom deutschen Snowboardverband gibt es einen Stützpunkt in Berchtesgarden, da absolviere ich mein Krafttraining, das ist auch ein wichtiger Bestandteil. Das machen wir ja nicht um cool auszuschauen oder Muskeln zu kriegen. Wenn man stark und körperlich gut beieinander ist, fallen Verletzungen viel schwächer aus. In Saas-Fee ist ein guter Freund von mir auf die Coping, also auf die Oberkante der Halfpipe, geknallt, das sah schlimm aus. Man hätte denken können, dass Wirbel und Rippen kaputt sind. Am Ende hat er sich nur den Arm gebrochen, weil er gut im Training war. Ausdauer lässt sich auch überall trainieren. In meiner Freizeit stehe ich auch oft auf dem Surf- oder Skateboard. Zwar eher aus Spaß, aber das hilft sicher auch. Am wichtigsten ist es, wenn ich dann in der Halfpipe stehe, nicht von meinem eigenen Körper eingeschränkt zu werden.
Hast du drüber nachgedacht, auch an Contests im Skateboarden oder Surfen teilzunehmen?
149 Athletinnen und Athleten schickt der DOSB nach Peking - und Leilani Ettel ist eine von ihnen. Die 20-Jährige qualifizierte sich für den Halfpipe-Wettbewerb. Schon mit 14 Jahren wurde die Münchenerin Deutsche Meisterin ihrer stärksten Disziplin und gilt als eine der größten deutschen Snowboard-Hoffnungen.
Auch die Sportarten sind mittlerweile ja olympisch. Die Idee ist immer da. Hier in München gibt es Surf-Wettbewerbe, bei denen habe ich mal mitgemacht, das war ganz lustig. Früher bin ich auch in kleinen Skate-Wettkämpfen mitgefahren. Aber beim Snowboard hat sich das mit den Contests so ergeben. Vielleicht bin in einem anderen Leben Wettkampf-Surferin, vielleicht trau ich mich auch in ein paar Jahren noch einmal ran. Das Gefüge, dass ich mir momentan selbst aufgebaut habe, dass ich auf dem Snowboard die Wettkämpfe fahre und zur mentalen Erholung Skateboarden oder Surfen gehe, gefällt mir aber super.
Kein Profi fährt dauerhaft Halfpipe und kann danach nicht aufzählen, welche diversen Stauchungen und Knochenbrüche er aus der Zeit mitgenommen hat. Der Sport ist sehr gefährlich. Jetzt steht Olympia vor der Tür. Wie findest du die Balance dazwischen, für Olympia die schwierigsten Sprünge zu trainieren und gleichzeitig bis zum Wettbewerb das Risiko einer Verletzung zu minimieren?
Die Frage habe ich mir vor meiner Saison auch gestellt. Im Sommer und Herbst hab ich mir strategisch die letzte Möglichkeit gesetzt, neue Tricks zu üben und auf meinem höchsten Level zu fahren. Bei den Qualifikationswettbewerben ist es natürlich am wichtigsten, erst einmal einen Run zu landen. Normalerweise gibt es mehrere Welt- und Europacups zur Qualifikation. Wir hatten in dieser Saison nur drei Wettkämpfe. Die bin ich angegangen mit dem Ziel, mich mit einen sicheren Run für Peking zu qualifizieren. Damit habe ich die Anforderung des DOSB, zwei Top-16-Platzierungen, geschafft. Die Saison über: Stabilität, Sicherheit, Olympia-Quali. In Peking: Boom! Alles raushauen.
Übst du eher einzelne Tricks oder einen Run im Ganzen? Und wie oft fährst du einen Run, bevor wir ihn bei Olympia sehen?
Das macht jeder unterschiedlich. Routine ist megawichtig. Je öfter man einen Trick macht, desto natürlicher wird er. Irgendwann wissen deine Muskeln von allein, was du machen willst. Das gibt einem auch Sicherheit. Alle im Snowboard reden immer von "Reps", also repetition. Es gibt Tage, in denen man die ganze Zeit nur einen Trick trainiert. Im Grunde genommen fängt man mit einem Trick an und baut sich dann Schritt für Schritt seinen Run drumrum. Und die Top-Runs sind in den allermeisten Fällen schon exakt so gefahren worden.
Wenn Wiederholungen so wichtig sind, hast du gewisse Rituale vor einem Wettkampf?
Die spielen eine große Rolle. Ich habe eine Zeit lang immer dasselbe zum Frühstück gegessen. Beim Einfahren habe ich auch immer dieselben Abläufe. Ich klopfe mir vor dem Start nochmal auf die Brust, andere klopfen auf ihr Board. Da hat jeder so seine Eigenheiten.
Viele Fahrer hören Musik beim Fahren. Du auch?
Ich kenne fast niemanden der keine Musik hört beim Fahren. Es hilft beim Fokussieren und motiviert einen zusätzlich. Ich hab meist eine feste Playlist, die ich vor dem Contest höre. Den Song, der mir an dem Tag am besten gefällt, höre ich vor meinem Run an, dann drücke ich Pause und fahre los. Wenn ich im Training bin, höre ich die ganze Zeit Musik, aber für die Contests habe ich mir das abgewöhnt, das funktioniert für mich besser. Meistens stoppe ich die Musik vor irgendeinem coolen Part, mache den Run, und schalte die Musik unten wieder an.
Welche Bedingungen erwartest du in Peking außerhalb des Sportlichen?
Ich hab nicht mit anderen Athleten gesprochen, aber ich habe die Spiele in Tokio genau mitverfolgt. Da gab es zwar auch Maßnahmen wie einzelne Dining Halls, aber im Endeffekt konnten die auch andere Leute treffen, was mich dann ein wenig beruhigt hat. Ich bin zwei Wochen in Peking, der Contest ist erst in der zweiten Woche. Ich werde viel Zeit haben, weiß aber noch gar nicht genau, was ich machen darf und was nicht. Ich hoffe, wir können uns ein paar andere Wettbewerbe anschauen. Aber wir sind so lang da, irgendwas wird schon gehen. Worauf ich mich besonders freue ist, dass wir bei der Eröffnungszeremonie dabei sein werden. Das wird bestimmt beeindruckend schön.
Mit Leilani Ettel sprach Florian Papenfuhs.
Quelle: ntv.de