Spiele gehen an Sotschi Jubel in Russland
05.07.2007, 06:13 UhrDas Internationale Olympische Komitee (IOC) hat Wladimir Putin das gewünschte Vermächtnis anvertraut: Der Kremlchef führte die Retorten-Bewerbung von Sotschi im Dreikampf um die Olympischen Winterspiele 2014 mit 51:47-Stimmen zum Sieg über den das südkoreanische Pyeongchang. Münchens geplante Kandidatur für die Winterspiele 2018 bekam durch die Entscheidung am Mittwochabend (Ortszeit) in Guatemala-Stadt neues Leben. Am 24. Juli will sich der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) endgültig festlegen.
"Die Tür für Spiele in den Alpen ist ein Stück weiter offen durch diese Entscheidung", kommentierte IOC-Vizepräsident und DOSB- Präsident Thomas Bach ohne die potenziellen Probleme eines deutschen Interesses zu verkennen, "das IOC hat sich für einen neuen Weg entschieden. Vielleicht ist das der Beginn einer neuen Epoche." Eine Epoche des politischen und wirtschaftlichen Powerplays. Salzburg war als Vertreter des alten Europas gegen die neuen Märkte chancenlos und schied wie erwartet im ersten Wahlgang mit ehrenvollen 25 Stimmen (Pyeongchang: 36, Sotschi: 34) aus.
"Eine Auszeichnung für ganz Russland"
Putin hatte unterdessen rechtzeitig vor dem Ende seiner Amtszeit im kommenden Jahr mit Hilfe seiner Oligarchen-Freunde das Wettbieten gewonnen und die Winterspiele erstmals nach Russland geholt. Im Ballsaal des feudalen "Real Intercontinental"-Hotels berauschte sich Sotschi selbst. Weiße Teddybären flogen durch die Luft, Eiskunstlauf- Olympiasieger Jewgeni Pluschenko und Schwimmstar Alexander Popow schrien ekstatisch immer wieder "Danke, Danke". 20 Meter daneben saß die ungläubige Delegation Pyeonchangs und trocknete die Tränen. Putin selbst erfuhr vom geglückten Coup im Flugzeug auf dem Weg zurück nach Moskau und erklärte bei seiner Ankunft: "Das ist eine Auszeichnung für ganz Russland."
Ähnlich wie Tony Blair bei Londons Siegeszug 2005 in Singapur machte Putins Präsenz den Unterschied. Mit "schlackernden Knien und sehr nervös" leitete der russische Staatschef zu Beginn von Sotschis finaler Präsentation seinen leidenschaftlichen Appel auf Englisch und Französisch ein. Am Vorabend der Abstimmung hatte das politische Schwergewicht aus Moskau noch mit drei Präsidenten wichtiger Wintersportverbänden, Gian-Franco Casper (Ski), Ren Fasel (Eishockey) und Ottavio Cinquanta (Eiskunstlauf), diniert.
Katalysator für unglaubliche Veränderungen
"Putin hat unserer Bewerbung eine neue Dimension gegeben. Er hat uns die Spiele versprochen und Wort gehalten", erklärte der russische Vize-Premierminister Alexander Schukow, "Wintersport ist Teil der russischen Seele. Sotschi 2014 wird der Katalysator sein für unglaubliche Veränderungen in der jungen russischen Geschichte." Allein die Weiterentwicklung von Putins Sommerresidenz am Schwarzen Meer von einem Badeort zu einem ganzjährigen Ressort mit brandneuen Sportstätten hinterlasse "ein fantastisches Erbe" für Stadt und Land, so IOC-Präsident Jacques Rogge.
Für die dafür nötige 12 Milliarden-Dollar-Investition hat Putin persönlich garantiert. 40 Prozent davon sollen privat finanziert werden. Bisher gibt es die geplanten elf Wettkampfstätten nur als Computersimulation, aber der schöne Schein an der russischen Riviera hat das IOC überzeugt. Die möglichen Zuwachsraten scheinen Bedenken von Menschenrechtsgruppen und Umweltschützern zur Nebensache zu machen.
Verdientes Happy End
Die erfolgreichste Wintersport-Nation der Olympia-Historie mit 293 Medaillen hat nach dem Scheitern der Moskauer Bewerbung um die Sommerspiele 2012 doch noch ihr Happy End. "Sotschi hat die Spiele verdient", sagte Rogge und lobte das "starke und visionäre Projekt" der Siegerstadt. Seinen Titel als "Umwelt-Weltmeister" der UN-Umweltorganisation UNEP setzt Rogge durch diese Wahl freilich aufs Spiel.
Trotz der Bedenken der IOC-Evaluierungskommission, Sotschi könne als Erbe möglicherweise eine zerstörte Umwelt hinterlassen, haben Rogges Kollegen ein Zeichen gesetzt. Der russische Staatsauftrag mit verlockender Rendite und 150.000 angekündigten neuen Arbeitsplätzen hat alle Bedenken erstmal in den Hintergrund gedrängt. Durch die massiven Bauvorhaben drohen schwere Schäden in einem Nationalpark, der zum UNESCO-Weltnaturerbe gehört.
Verprellte IOC-Mitglieder
Die demonstrierte Macht des Geldes hat die Ohnmacht kleinerer Länder im Kampf um die Ringe erneut vergrößert und einige IOC- Mitglieder verprellt. "Wir als IOC müssen uns gut überlegen, ob wir so weitermachen wollen", schimpfte der Norweger Gerhard Heiberg, Mitglied der IOC-Exekutive und Chef der malerischen Spiele von Lillehammer. Eine strikte Kostenregulation sei nötig. Tatsächlich blieb der Aufruf des IOC zur Mäßigung im Zuge der Reformen 1999 mehr denn je unbeachtet.
Sotschi und Pyeongchang schaukelten sich gegenseitig hoch. Die Schwarzmeer-Stadt hat in der bisher aufwendigsten Bewerbungsschlacht der olympischen Geschichte immerhin 60 Millionen Dollar für die erfolgreichen Bemühungen ausgegeben, Pyeongchang immerhin noch 40 Millionen Dollar. Die Kosten für Salzburgs leidenschaftliche, athletenfreundliche Traditionskandidatur mit der Bob- und Rodelbahn im bayrischen Königssee lagen bei knapp 13 Millionen Dollar.
Der dreimalige Rodel-Olympiasieger Georg Hackl, Sonderbotschafter der Mozart-Stadt, sprach von einer "Weichenstellung des IOC: Als Athlet blutet mir das Herz." Österreichs Bundeskanzler Alfred Gusenbauer nannte diese "strategische Grundsatzentscheidung schlecht für die Olympische Idee". So ist Sotschis Sieg gleichzeitig auch eine Niederlage für die olympische Glaubwürdigkeit.
Umweltschützer stellen Forderung
Derweil haben russische Umweltschützer die Organisatoren der Olympischen Winterspiele 2014 aufgefordert, die geplanten Sportanlagen außerhalb des Nationalparks Sotschi zu errichten. Wenn Russland tatsächlich etwas an seinem Image liege, dann dürften die Bauvorhaben nicht in den geschützten Bereichen umgesetzt werden, sagte der Vorsitzende der russischen Greenpeace-Organisation, Andrej Petrow, am Donnerstag in Moskau. Zugleich warf er dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) vor, mit dem Zuschlag für Sotschi für den absehbaren Schaden an der Natur im westlichen Kaukasus-Gebirge und im Biosphärengebiet mitverantwortlich zu sein.
von Sven Busch, dpa
Quelle: ntv.de