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Als Handballer bei Deaflympics"Mein Leben wurde einmal vor die Wand gefahren"

24.11.2025, 18:07 Uhr
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Kämpft um Gold: Till Mallach. (Foto: Karsten Freese)

Till Mallach lebt gerade einen Traum, den er eigentlich nie hatte. Er spielt mit der Handball-Nationalmannschaft um Gold (Dienstag, 11 Uhr MESZ/im Youtube-Livestream). Bei den Deaflympics, den Spielen der Gehörlosen. Der 26-Jährige, der kürzlich seinen Meister als Tischler absolviert hat, ist vor vier Jahren an einer Autoimmunerkrankung erkrankt, die sein Innenohr zerstört. Wie sich der heute 26-Jährige zurück ins Leben kämpft und wie der Zufall ihm zum kurzzeitigen Leben als Handball-Vollzeitler verhilft, erzählt er im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Grüße nach Tokio und Glückwunsch zum Einzug ins Finale. Sie und ihr Team spielen um Gold - ist es das größte Spiel, das Sie jemals gemacht haben?

Till Mallach: Ja, schon nach dem Halbfinale habe ich meiner Familie geschrieben, dass es eines der ganz besonderen Spiele meiner Karriere war. Vor den Spielen singen wir die Nationalhymne und beim Halbfinale gegen Frankreich war es so, dass man wusste, jetzt geht es richtig los. Da habe ich nochmal wesentlich kräftiger mitgesungen und ein anderes Feeling gehabt. Und wenn es morgen um Gold geht, ist das ganz besonders. Das wird ein ganz schweres Spiel gegen Kroatien, das der Dauersieger der großen Turniere ist. Sie haben eine sehr erfahrene Mannschaft, die sehr körperbetont spielt. Bei allen Turnieren in den letzten Jahren war das Finale immer Deutschland gegen Kroatien und immer stand Kroatien am Ende mit der Goldmedaille da. Wir wollen den Bock umstoßen und ganz oben stehen.

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Till Mallach spielt in der Gehörlosennationalmannschaft und beim Regionalligisten SV Warnemünde. (Foto: DGSV)

Nun sitzen wir hier und telefonieren miteinander, dabei spielen Sie bei den Deaflympics - also den Spielen für Gehörlose. Es fällt aber gar nicht auf, dass Sie eine Gehöreinschränkung haben. Wie ist das möglich?

Das fällt auch im echten Leben gar nicht auf. Ich habe seit vier Jahren eine seltene Autoimmunerkrankung. 2021 ging es los, dass mein Innenohr zerstört ist. Autoimmunerkrankung meint, dass mein Immunsystem in meinem Körper etwas als schädlich erkennt und es kaputt macht, obwohl es eigentlich gesund ist - bei mir betrifft es das Innenohr und alles was dazugehört: Hörorgan, Gleichgewichtsorgan und so weiter. Ich bin inzwischen auf dem rechten Ohr taub und habe ein Cochlea-Implantat (eine elektronische Hörprothese, die das Innenohr ersetzt, indem es Schall in elektrische Impulse umwandelt und den Hörnerv direkt stimuliert, Anm.d.Red.). Links habe ich ein Hörgerät, höre ohne noch ein bisschen was, aber nicht mehr gut. Und so kommt es, dass ich bei den Deaflympics spielen darf.

Das sind die Deaflympics

Die Deaflympics sind ein internationales Multi-Sportevent für gehörlose Athletinnen und Athleten, die einen Hörverlust von mindestens 55 Dezibel auf dem besseren Ohr haben. Die Deaflympics folgen dem olympischen Gedanken. Die erste Ausgabe fand 1924 in Paris statt. Während der Wettkämpfe dürfen keine Hörhilfen getragen werden, um faire Bedingungen zu schaffen. Die diesjährigen Deaflympics werden in Tokio ausgetragen - 18 Sportarten in 21 Disziplinen sind vertreten. Insgesamt nehmen fast 2900 Menschen aus 78 Nationen teil.

Sie haben sicherlich schon vor Ihrer Diagnose Handball gespielt und dann kam die Erkrankung, die alles durcheinandergebracht hat?

Das ist noch viel zu harmlos ausgedrückt, ehrlich gesagt. Mein HNO-Arzt hat mal gesagt, dass mein Leben einmal vor die Wand gefahren ist. Also es war wirklich so in allen Belangen: Ich konnte nicht mehr arbeiten, ich konnte meine Ausbildung nicht weitermachen, ich konnte keinen Handball mehr spielen. Ich konnte nicht mal alleine die Wohnung verlassen, weil ich nichts gehört habe. Und es war während der Corona-Pandemie ja auch die Zeit mit der Maske, ich habe kein Mundbild sehen können, was mich beim Verstehen unterstützt hätte. Dann hatte ich eine Menge an Arztbesuchen, hier was rausfinden und da was rausfinden. Es hat ewig gedauert, bis ich meine Diagnose hatte, weil die Krankheit einfach so, so selten ist. Es haben in Deutschland ungefähr 400 Leute.

Es war ein langer Weg, umso emotionaler ist das für mich und meine Familie, dass ich jetzt hier in Tokio bin. Ich spiele Handball, seit ich vier Jahre alt bin. Ich war an der Sportschule in Rostock, habe mich aber während des Abiturs entschieden, den Handball hintenanzustellen und bin in den Breitensport gewechselt. Dann hatte ich wegen der Erkrankung eigentlich schon abgeschlossen mit dem Sport, aber es hat doch wieder in den Fingern gejuckt. Jetzt hat sich alles so entwickelt. Das ist einfach ein Traum, der eigentlich nie da war, dass ich jetzt hier stehe.

Von der Verzweiflung zum großen Turnier mit dem Finale um Gold. Kannten Sie die Deaflympics und war es das Ziel, jetzt teilzunehmen?

Nein, ich wusste nicht, dass es eine Gehörlosennationalmannschaft gibt. Ich bin durch einen Zufall dazugekommen. Der NDR hat eine Doku über mich und meine Diagnose gesendet, einer unserer Teambetreuer wohnt in Kiel und hat sie gesehen. Er hat dann dem Bundestrainer von mir erzählt, der hat mich dann bei Facebook kontaktiert. Das war schon im vergangenen Jahr, aber da hatte ich mir den Innenmeniskus gerissen, also sind wir es dieses Jahr erneut angegangen. Ich bin jetzt der Neueste im Team.

Sie haben es bereits angesprochen, Ihr Gleichgewichtssinn ist durch die Erkrankung ebenfalls betroffen. Wie wirkt sich das auf den Handball aus, wo Koordination und Balance enorm wichtig sind?

Tatsächlich schränkt mich das Gleichgewichtsproblem mehr ein als das Hören, sowohl im Alltag als auch beim Sport. Meine Gleichgewichtsorgane funktionieren beide nicht mehr und da kann man medizinisch nichts machen. Es ist so, die werden nie wiederkommen. Ich kann es nur durchs Gehirn versuchen zu kompensieren. Ich habe Schwankschwindel. Sobald mein Kopf sich bewegt, wackelt das Bild. Das ist im Handball natürlich schwierig, wenn man läuft und den Ball fangen will. Wenn der Ball nicht wirklich genau auf meine Hand kommt, passiert es häufig, dass ich den nicht fangen kann. Wenn ich ihn fange, ist es Glück oder der Intuition geschuldet, die ich habe, weil ich seit 22 Jahren Handball spiele. Mein Spruch während der Diagnosezeit war: "Der Körper gewöhnt sich an alles." Und ja, es ist einfach so, auch wenn es natürlich super anstrengend ist.

Wenn nicht für die Nationalmannschaft spielen Sie beim SV Warnemünde in der Regionalliga Ostsee-Spree mit Hörenden. Im Nationalteam müssen Sie alle Ihre Hörhilfen entfernen und damit anders kommunizieren, wie funktioniert das?

Im Angriff ist es nicht so schwierig, die Spielzüge werden per Hand angezeigt. Wir haben Symbole für die verschiedenen Variationen. Aber in der Abwehr ist es komplizierter. Mein Teamkollege, der neben mir steht, ist ohne Geräte komplett gehörlos. Wenn dann unvorhergesehene Dinge eintreten, wenn ein Gegner einläuft hinter ihm, kann ich ihn halt nicht anbrüllen und warnen. Da müssen die Abläufe einfach passen und einen guten Torhüter, der den Ball hält oder wieder etwas Glück, dass der Ball beim Gegner nicht verwertet werden kann. Auch ein bisschen Härte geht verloren, weil wir bei den Gehörlosen mehr schauen müssen und darauf reagieren. Anders als im Handball der Hörenden, wo man direkt den Körperkontakt sucht und weiß, was überall abgeht. Doch da es allen Teams genauso geht, gleicht sich das ganz gut aus.

Ist das Turnier bei den Deaflympics sowas wie eine Belohnung für Ihre lange Leidenszeit während der Diagnosestellung?

Schon ja. Ich habe von meinem ehemaligen Trainer Demut mitbekommen, dass alles, was jetzt kommt Zugabe ist. Und ich meine, ich spiele in Deutschland Amateurhandball und werde jetzt für das Turnier nach Japan geflogen. Ich bekomme die Klamotten gestellt, wir sind hier im Fünf-Sterne-Hotel untergebracht. Ich kann es eigentlich gar nicht in Worte fassen, dass ich hier bin, um Handball zu spielen. Das ist ein bisschen absurd, es ist ja wie bei der großen Handball-Nationalmannschaft. Umso mehr versuche ich, auf der Platte alles zurückzugeben. Ich bin so dankbar für die Möglichkeit, hier sein zu dürfen und dass meine Familie mich immer unterstützt. Das ist schon ein richtig cooler Traum, der hier passiert.

Mit Till Mallach sprach Anja Rau

Quelle: ntv.de

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