Sehnsucht nach dem Super Bowl NFL-Phänomen Herbert beflügelt die Chargers
11.09.2022, 18:28 Uhr
Auf Rekordpfaden unterwegs: Justin Herbert.
(Foto: imago images/ZUMA Wire)
Den Super Bowl konnten die Los Angeles Chargers noch nie gewinnen. In vergangenen Saison zerplatzten die Playoff-Träume auf dramatische Weise - doch das Team hat sich geschüttelt, verstärkt und hegt in diesem Jahr berechtige Ambitionen auf den großen Wurf.
Die Wunde aus der vergangenen Saison schmerzt noch immer. Entsprechend groß sind die Gelüste der Los Angeles Chargers, sich für ihre dramatisch geplatzten Playoff-Träume nun zu revanchieren. Im ersten Duell der neuen Spielzeit kommt es in der Nacht zu Montag direkt zum Wiedersehen mit den Las Vegas Raiders. Was war das für ein spektakuläres Match und für ein aberwitziges Ende vor acht Monaten? Mit nur zwei Sekunden verbleibender Spielzeit wurde die Hoffnung von L.A. durch ein erfolgreiches Fieldgoal von Kicker Daniel Carlson zerstört. "Ich denke seit sechs oder sieben Monaten an dieses Match. […] Ich weiß, dass jeder andere das auch tut", sagt Justin Herbert, Quarterback der Chargers, nun. Und die Chance auf eine Revanche stehen gut. Denn Team aus Kalifornien hat sich von dem Schock bestens erholt, eine bärenstarke Offseason hingelegt und gehört zu den Mitfavoriten auf den Super Bowl, das Sehnsuchtsspiel aller NFL-Profis.
Die Chargers durchleben seit zwei Jahren einen gewaltigen Umbruch, seit der Vertrag des ikonischen Philipp Rivers nach 15 Jahren nicht verlängert wurde. Der Quarterback hatte sein Team damals nur zu fünf Siegen führen können – eine katastrophale Bilanz, Zeit für Veränderungen. Das Gesicht des Wandels wurde Herbert. Nach zwei Spielzeiten in der Verantwortung gilt er als Superstar und heißer Anwärter auf die Auszeichnung des wertvollsten Spielers der Saison. Ein bemerkenswerter Aufstieg.
Im Jahr 2020 war er in der ersten Runde des Drafts an Position sechs ausgewählt worden. Der Plan, den damals 22-Jährigen als Backup langsam Erfahrungen sammeln zu lassen, ging nicht auf. Schon am zweiten Spieltag musste er liefern. Weil sein Quarterback-Konkurrent kurzfristig ausfiel, lastete die Verantwortung direkt auf seinen Schultern. Der Auftakt einer furiosen Reise. Herbert wurde bester Jungspieler der Saison und zog ein Jahr später in den Pro Bowl ein. Seine Statistiken übertreffen in fast allen entscheidenden Kategorien bisherige Rekorde. Kein Quarterback erzielte in seinen ersten beiden NFL-Jahren mehr Touchdowns, niemand erzielte mehr erworfene Yards. Er ist der Quarterback, der seiner Franchise nun den ersten Titel der Vereinsgeschichte bescheren soll.
Kontinuierlich am Team gearbeitet
Dass dies bereits in diesem Jahr gelingen könnte, liegt indes auch an vielen anderen Puzzleteilen. Den Chargers ist es durch Top-Drafts kontinuierlich gelungen, das Team auf entscheidenden Position zu verstärken. Mit Derwin James schnappte man 2018 einen der mittlerweile besten Safeties der Liga, den man erst vor wenigen Tagen langfristig binden konnte. In den Jahren zuvor wurde das Team um den Passempfänger Mike Williams sowie den Starverteidiger Joey Bosa ergänzt. Ersterer blieb zunächst hinter den Erwartungen zurück, ist mittlerweile aber entscheidender Teil des Passspiels und gemeinsam mit Keenan Allen ein Problem für jede Verteidigung.
In den vergangenen beiden Jahren lag der Fokus des Drafts insbesondere auf der Offensive Line, die in erster Linie den Schutz für Herbert sicherstellen soll. Mit Rashawn Slater, der bereits als Rookie in den Pro Bowl gewählt wurde, sicherte man sich vor der letzten Saison den besten Left Tackle des Drafts. Und auch in diesem Jahr wurde die O-Line mit Zion Johnsen weiter verstärkt.
Frischen Wind bringt auch der neue Head Coach der Chargers nach Los Angeles. Während das Play-Calling (die Ansagen) zuvor lange Zeit als zu konservativ kritisiert wurde, bringt Brandon Staley eine ganz neue Art des Coachings nach Los Angeles. Staley kam als Defensive Coordinater vom Champion L.A. Rams und gilt als Defensivgenie.
Eigene Division ist größter Stolperstein
Genau diese spiegelt sich auch in der diesjährigen Transferperiode wider. Mit Khalil Mack konnte einer der erfahrensten und gefährlichsten Pass-Rusher verpflichtet werden. In Topform ist der sechsmalige Pro-Bowler eine echte Naturgewalt. Mit Mack und Bosa verfügen die Chargers nun über den wohl besten Pass-Rush der NFL. Als Transferhammer gilt auch die Verpflichtung von Cornerback J.C. Jackson. Erst vor wenigen Wochen wurde der aus New England kommende Passverteidiger zum zweitbesten Spieler auf seiner Position gewählt. Weitere Ergänzungen sind Superbowl-Sieger Sebastian Joseph-Day für die Defensive Line sowie der erfahrene Linebacker Kyle van Noy. Die Botschaft aus Los Angeles ist mehr als deutlich, das Team ist reif für die Lombardi-Trophy.
Der größte Stolperstein auf dem Weg zum Titel wird wohl die eigene Division, in der sich jedes der vier Teams berechtigte Playoff-Hoffnungen macht. Die AFC West gilt als die stärkste der Liga. Mit Star-Quarterback Russell Wilson haben die Denver Broncos nun die lang ersehnte Lösung für ihr quälendes Problem gefunden. Auch in Las Vegas ist in der Offseason einiges passiert. Am meisten Aufsehen erregte der Wechsel des Star-Wide Receivers Davante Adams. Im Austausch wanderten der Erst- und Zweitrundenpick der Raiders des diesjährigen Drafts nach Green Bay. Und mit 141,25 Millionen über fünf Jahre wurde Adams mit dem zu diesem Zeitpunkt höchstdotierten Vertrag eines Wide Receivers ausgestattet. Neben diesem Blockbuster-Trade ging der Wechsel eines weiteren Stars zu den Raiders fast unter. Veteran Edge-Defender Chandler Jones beendete seine langjährige Zusammenarbeit mit den Arizona Cardinals und geht ab diesem Jahr für die Raiders auf Quarterback-Jagd. Mit diesen Puzzlesteinen verfügen die Raiders über brandgefährliche Optionen in der Offensive und werden zeitgleich massiven Druck auf gegnerische Quarterbacks ausüben können.
Und zuletzt wäre da noch der Dauerchampion der AFC West, die Kansas City Chiefs. Der Superbowl-Sieger von 2020 konnte den Titel im darauffolgenden Jahr nicht verteidigen und musste sich Tom Brady und seinen Tampa Bay Buccaneers geschlagen geben. Im letzten Jahr war dann schon im Conference Finale gegen das große Überraschungsteam, die Cincinnati Bengals, Schluss. Die Gier nach neuen Erfolgen ist entsprechend groß. Ebenso die Erwartungen an Star-Quarterback Patrick Mahomes. Dieser muss erstmals auf seinen zuverlässigsten und erfolgreichsten Passempfänger verzichten. Tyreek Hill wechselte in der Offseason zu den Miami Dolphins und wurde mit seinem neuen Vertrag prompt zum bestbezahlten Wide Receiver der Liga. Ersatz besorgten die Chiefs in Form des 25-jährigen Juju Smith-Schuster, der sich nach zwei durchwachsenen Jahren in Pittsburgh nun mit einem Einjahresvertrag neu unter Beweis stellen muss.
Der Weg für die Chargers ist lang und hart. Er beginnt mit Revanche-Duell. Mehr Motivation für Spiel eins der Saison geht nicht. Und mehr Standortbestimmung wohl auch nicht.
Quelle: ntv.de