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Emotionale Achterbahn am Main MMA darf sich einen Tag wie ein König fühlen - aber was bleibt?

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König Fußball regiert in Deutschland, für einen Tag sind es aber Mixed Martial Arts. Im Frankfurter Stadion kommt es neben einem Zuschauerrekord auch noch zu einer sportlichen Krönung für Christian Eckerlin. Doch tritt nach der großen Party nun die Katerstimmung ein?

Das Publikum und MMA in Deutschland werden Oktagon 62 im Deutsche Bank Park in Frankfurt am Main so schnell nicht vergessen. Ein Paket aus Entertainment und Spitzensport brachte die mehr als 59.000 Menschen zum Jubeln, Lachen, Raunen und zum Verzweifeln. In vielen Momenten war sicher Gänsehaut und in manchen Momenten ein Tränchen dabei, angesichts des Gipfels, den Mixed Martial Arts an diesem Abend erstürmt hat. Doch nach der großen Party kommt meist der Kater. Daher stellt sich die Frage, was nach diesem historischen Event bleibt.

Es ist schon erstaunlich, dass mit Oktagon gerade ein tschechischer Veranstalter verstanden hat, wie das deutsche Kampfsport- und nun auch Mainstream-Publikum tickt. Das Patentrezept, Heldengeschichten zu schreiben und zu erzählen, kennen sie aus ihrer Heimat, die Athletinnen und Athleten in Frankfurt machten es an diesem Abend aber auch leicht, einen guten Spannungsbogen aufzubauen.

Der 22-jährige Max Holzer fuhr zu seinem Kampf gegen Mo Trabelsi auf dem E-Scooter ins Stadion, mit Bauchtasche und Gucci-Kappe. Dazu dröhnte "Verknallt in einen Talahon", das Publikum krümmte sich vor Lachen, sang mit, feierte den Hannoveraner, der immer einen lockeren Spruch parat hat. Holzer trifft den Zeitgeist und holte damit die kompletten 59.000 ab - auch weil er sportlich im Federgewicht eine Urgewalt ist. Trabelsi, ein erfahrener Kämpfer, war chancenlos gegen Holzer. Das Paket aus Show und Sport - bei Holzer gibt es das regelmäßig im Premium-Abo.

Diesen aufmunternden Moment hatte das Publikum aber auch gebraucht. Zuvor hatte die Frankfurterin Katharina Dalisda ihren Titel gegen die Amerikanerin Mallory Martin verloren. Für die 32-Jährige gab es lautstarke Anfeuerungsrufe, immer wieder gedämpft von den starken Händen Martins, die Dalisda aus ihrem Rhythmus brachten.

Mehr Glück bei Coga und Eckerlin

Die beiden anderen Frankfurter Vertreter erlebten ein erfreulicheres Ende. Max Coga, mittlerweile bereits 35 Jahre alt, hat das MMA-Komplettpaket ebenfalls drauf. Er ließ bei seinem Einmarsch das epische und in so zahlreichen Filmtrailern bereits hinterlegte "Outro" der Band M83 als Intro laufen, dazu wirbelte ein Dutzend Kinder Seifenblasen in die Luft - seine Botschaft: We are all one! Wir sind alle gleich. Es folgte der Song "Freed from Desire", die Menge tanzte, Stadionfeeling pur. Im Käfig dominierte Coga seinen Gegner Antun Racic, durch einen krachenden Kniestoß ging der Kroate K.o. Die Aktion war so heftig, dass Racic dabei seinen Mundschutz verlor. Nach dem Kampf folgten erst Respektsbekundungen von Coga, dann auch noch von Racic. Wie groß der Sport geworden und dass es für ihn als Frankfurter einer der größten Momente seiner Karriere gewesen sei. "Ich liebe euch alle", so seine abschließenden Worte nach dem Kampf. Nicht überemotional, sondern klar waren seine Worte, gesprochen zu Tausenden ihm Unbekannten - es kam dennoch authentisch rüber.

Emotionaler wurde es dagegen bei Kerim Engizek. Nach seinem Titelgewinn im Mittelgewicht gegen Patrik Kincl sackte er im Käfig zusammen. Obwohl er bereits über zehn Jahre ungeschlagen ist und in Frankfurt seinen 15. Sieg in Serie einfuhr, sah man dem Türken aus Düsseldorf an, was ihm der Champion-Status bedeutet. Über Jahre hatte man sich gefragt, ob Engizek trotz seiner Erfolge überhaupt das Zeug hat, um mit den ganz Großen mitzuhalten. In Frankfurt lieferte er über fünf Runden den Beweis, indem er einen internationalen Klasse-Kämpfer dominierte. Für ihn gab es auch nur zwei Botschaften: Seine Kritiker nun endgültig verstummt haben zu lassen und eine persönliche Botschaft an einen krebskranken Jungen. Ihm sei der Sieg gewidmet, einem wahren Kämpfer.

Den emotionalen Höhepunkt erreicht Oktagon 62 mit dem Hauptkampf zwischen Christian Eckerlin und Christian Jungwirth. Zunächst wurde der Champion-Gürtel präsentiert - und zwar vom "King of Cologne", Lukas Podolski. Als dann während des Kampfes "Jungwirth"- und "Eckerlin"-Sprechchöre im Wechsel durchs Stadion tönten, war die Brücke zum Fußball und damit auch zum Mainstream endgültig geschlagen. Auch als die Zwischenstände der Punktrichter auf dem Videowürfel angezeigt wurden, buhten die Jungwirth-Anhänger. Und das nicht nur einmal. Der Stuttgarter lag in allen fünf Runden gegen den Frankfurter hinten. Entsprechend war es eine eindeutige Antwort auf die Frage, wer "King of Germany" geworden ist. Der König von Frankfurt war nun auch König von Deutschland. Der schönste Tag nach seiner Hochzeit und der Geburt seiner Kinder sei es gewesen, erklärte Eckerlin nach dem Kampf. Für seinen Gegner habe er größten Respekt. "Jungwirth ist ein Krieger", so der Frankfurter.

Viel Show drumherum

So endete dann auch Oktagon 62: emotional, aber nicht übereuphorisch. Eine Veranstaltung, die neben dem Sportlichen noch Musikacts wie Rapper Gzuz beim Einmarsch von Eckerlin oder John Newman in der Halbzeitshow auffuhr. Dazu schwenkte in den Pausen die Flex-Cam durchs Publikum, zeigte Zuschauer, die doch mal ihre Muskeln spielen lassen sollten. Das wirkt alles sehr amerikanisch und erinnert an US-Sportarten. Vielleicht ein bisschen drüber in dem ein oder anderen Moment, aber MMA-Fans feiern die Interaktion mit dem Sport und der Veranstaltung.

Mehr als 59.000 Menschen kamen ins Stadion in Franfurt am Main..

Mehr als 59.000 Menschen kamen ins Stadion in Franfurt am Main..

(Foto: Oktagon)

Der Sport hat die große Bühne und das Scheinwerferlicht genutzt, um seine tragenden Werte zur Schau zu stellen und gute Botschaften zu verbreiten. Allerdings wird eine Veranstaltung in dieser Größenordnung wohl vorerst nicht mehr zustande kommen, auch wenn ntv weiß, dass die Veranstalter mit der Allianz Arena in München liebäugeln. Nur München ist nicht Frankfurt und nicht Stuttgart, den Heimatstädten von Eckerlin und Jungwirth, wo eine gewisse Ticketzahl garantiert wäre.

Die beiden großen Stars der deutschen Szene sind beide 37 Jahre alt. Sie betonen zwar regelmäßig, noch nicht am Ende zu sein - physisch gibt es Grenzen in MMA und zehn Jahre werden sie dem Sport sicher nicht mehr erhalten bleiben. Dafür hat Frankfurt aber auch gezeigt, dass jüngere Fighter nachrücken, die sich artikulieren können und beim Publikum ankommen. Neben dem erwähnten Holzer glänzten in Frankfurt auch Niko Samsonidse und Deniz Ilbay. Der Kölner wünschte sich auf der abschließenden Pressekonferenz gar ein Team-Tattoo, für sich und seine Kollegen, als Erkennungszeichen sozusagen, bei der größten reinen MMA-Veranstaltung aller Zeiten dabei gewesen zu sein. Und für einen Tag war MMA erstmals Sport-König in Deutschland. Das Netz, die Nachrichten, die Zeitungen voll mit Artikeln unterschiedlicher Färbung zum historischen Event. Im Deutsche Bank Park wird in zwei Wochen wieder Eintracht Frankfurt spielen, Oktagon 62 ist ein Kapitel in den Geschichtsbüchern.

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Mit dem Einstieg von RTL, das das Spektakel auf seiner Streamingplattform groß inszenierte, hat Oktagon einen Fuß in der Tür, um ein breiteres Publikum zu erreichen. Aus dem Stadion geht es bei den kommenden Veranstaltungen erst einmal wieder ein paar Schritte zurück. Zurück in die großen Hallen. "Jetzt legen wir erst so richtig los", sagte Eckerlin angesprochen auf eine mögliche Käfig-Rente. Das erhofft man sich natürlich auch beim Veranstalter und denen, die sich einen Schub für den Sport erhoffen. Ob das gewaltige Leuchtturm-Event Nachhaltigkeit produziert, werden die kommenden Wochen und Monate zeigen.

Das gesamte Event Oktagon 62 und die einzelnen Kämpfe können Sie sich auf RTL+ anschauen.

Quelle: ntv.de

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