Keine Reise der Harmonie Proteste beim Fackellauf
06.04.2008, 18:00 UhrTrotz zahlreicher Zwischenfälle beim Fackellauf in London hat der britische Premierminister Gordon Brown die Träger des olympischen Feuers vor seinem Amtssitz in Nummer 10 Downing Street empfangen. Auf der rund 50 Kilometer langen Strecke zwischen dem Wembley-Stadion im Nordwesten der britischen Hauptstadt und der Arena im Stadtteil Greenwich im Südosten kam es immer wieder zu Protestaktionen und Handgemengen.
35 Festnahmen
Ein Demonstrant versuchte, einer Läuferin die Fackel zu entreißen, ein anderer ließ einen Feuerlöscher hochgehen. Über 1000 Anti-China-Demonstranten sorgten allein vor der Downing Street für chaotische Szenen. Rund 2000 Polizisten mussten den Lauf quer durch London schützen. Bis zum späten Nachmittag gab es 35 Festnahmen.
"Gesetzeskonformer, friedlicher Protest gehört zu den demokratischen Traditionen unseres Landes", sagte die britische Olympia-Ministerin Tessa Jowell, "die Unterstützung für den Fackellauf ist nicht mit dem Einverständnis von Chinas Menschenrechtspolitik oder seinem Vorgehen in Tibet gleichzusetzen."
Brown schließt Boykott aus
Unter Hinweis auf die Wünsche des Dalai Lama hatte Premierminister Brown wiederholt einen Boykott der Spiele von Peking ausgeschlossen und für Großbritannien auch die Teilnahme an der Eröffnungszeremonie bekräftigt. Die Frauen-Band Sugababes sagte einen Konzertauftritt beim Fackellauf-Finale am Abend ab, da ein Mitglied des Trios eine Kehlkopfentzündung habe. Die Absage habe ausschließlich gesundheitliche Gründe, sagte ein Band-Sprecher.
Unterdessen kündigte die regierende chinesische Kommunistische Partei an, trotz "Sabotageaktionen" von Anhängern des Dalai Lamas am Fackellauf auch quer durch Tibet festzuhalten. Der Parteichef in der Autonomen Region Tibet, Zhang Quingli, forderte nach Angaben von Chinas staatlicher Nachrichtenagentur Xinhua "alle zuständigen Stellen" zu "höchsten Anstrengungen" auf, um mögliche Zwischenfälle schon im Vorfeld zu verhindern.
Geänderte Route
Der britische Ruderer Sir Steve Redgrave, der zwischen 1984 und 2000 bei fünf aufeinanderfolgenden Olympischen Spielen Goldmedaillen gewann, hatte als erster von 80 Teilnehmern aus Sport und anderen gesellschaftlichen Bereichen den Fackellauf eröffnet, der das olympische Feuer auch über das im Bau befindliche Olympia-Gelände für die Spiele 2012 in Ost-London führte. In einer vorher nicht publik gemachten Änderung der Route trug auch die chinesische Botschafterin in London, Fu Ying, die Fackel kurz durch Londons Chinatown.
Für den letzten Abschnitt war am Abend die Mittelstreckenläuferin Kelly Holmes vorgesehen, die bei den Spielen von Athen 2004 zweimal Gold gewonnen hat. Das olympische Feuer war vergangene Woche in Athen entzündet worden und reist auf dem Weg nach Peking durch 20 Länder. Nächste Station ist Paris.
Europäische NOKs starten in Peking
Alle 49 europäischen Nationalen Olympischen Komitees (ENOC) haben unterdessen in Peking ihren Start bei den Sommerspielen im August angekündigt und gleichzeitig vom Internationalen Olympischen Komitee eine klare Leitlinie zum Thema Menschenrechte und Meinungsfreiheit der Athleten gefordert.
Dies waren für Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), "die zwei Kernbotschaften" im Vorfeld der ANOC-Generalversammlung in der chinesischen Hauptstadt. Durch die Entscheidung fühlt sich Bach bei der Ablehnung eines Boykotts der Olympischen Spiele in Peking weiter bestärkt. "Es gibt eine große Einigkeit nicht nur unter den IOC-Mitgliedern, sondern auch unter allen 205 Nationalen Olympischen Komitees, die Athleten zu den Spielen zu entsenden", sagte er.
Gemeinsame Resolution
Ab Montag kommen in Peking alle weltweit anerkannten 205 NOKs zusammen. Laut Bach stehe der Vorschlag einer gemeinsamen Resolution von IOC und NOKs im Raum. Dazu könne es am Donnerstag kommen, wenn IOC-Exekutive und ANOC gemeinsam tagen.
"Die Athleten wollen wissen, was erlaubt ist und was nicht", meinte ENOC-Athletensprecherin Claudia Bokel. "Sie sind in der Tibet-Frage beunruhigt und wollen dies auch zeigen, ohne dabei gegen die Olympische Charta zu verstoßen." Diese verbietet politische und religiöse Demonstrationen an den Stätten der Spiele, lässt aber Interpretationsspielraum.
Der Deutsche Olympische Sportbund hat seinen Startern ausdrücklich das Recht zugestanden, ihre Meinung in Interviews oder Pressekonferenzen von sich zu geben. Die DOSB-Entschließung vom Ostermontag habe viel Zustimmung gefunden, sagte Bach.
Aufruf des DOSB
In ihr waren die Menschenrechtslage in China als "unzureichend" bezeichnet und alle Beteiligten zum Dialog und Gewaltverzicht aufgerufen worden. "Ich hoffe, dass wir auch darüber mit den Chinesen reden können", meinte DOSB-Generaldirektor Michael Vesper, der bei den Sommerspielen deutscher Chef de Mission sein wird. Das zweite deutsche IOC-Mitglied Walther Tröger zeigte sich im Deutschlandfunk davon überzeugt, dass sich das IOC für Gefangene einsetzen werde, die wegen ihrer Kritik im Zusammenhang mit den Spielen in China in Haft sitzen.
Quelle: ntv.de