Andy Köpke: Ex-Nationaltorhüter und Europameister "Schmerzlich vermisst"
29.04.2004, 15:20 UhrAndy Köpke, Fußballwelt und Europameister und Vorgänger von Oliver Kahn in der Deutschen Nationalmannschaft im Kurz-Interview zum EM-Vorbereitungsspiel Rumänien - Deutschland (1:5).
Herr Köpke, ein kurzer Rückblick in Ihre Zeit zwischen den Pfosten. Schon mal ähnlich überrannt worden?
Köpke: Das Spiel und vor allem das Ergebnis war ein Debakel. In meiner Zeit stand es auch schon mal 0:3 zur Halbzeit, allerdings gegen Brasilien und in der zweiten Halbzeit haben wir uns alle zusammengerissen und haben das Spiel fast noch gedreht. So konnten alle am Ende mit einem 3:3 leben; aber nur, weil wir in der zweiten Halbzeit alles Erdenkliche versucht haben. Damals gab es allerdings auch andere Typen von Nationalspielern im Team. In so einer Situation muss ich mich als Profi mit Händen oder besser mit Füßen wehren, einfach alles versuchen, um den Rückstand wettzumachen. Das ist nicht nur eine Frage der Ehre als Nationalspieler, sondern zeigt auch Charakter und Persönlichkeit. Eine Trotzreaktion ist absolute Pflicht, für jeden der auf dem Platz steht. Leider hat man den Willen dazu in Bukarest schmerzlich vermisst.
Ein Wort zu Ihren Nachfolgern im Tor der Deutschen, zur Leistung der Torhüter, besser gesagt zur deutschen Abwehr.
Die Defensive hat so gut wie gar nicht existiert. Oli Kahn kann da auch wenig an den Gegentoren machen. Ihn trifft keine Schuld. Mich hat es trotz der bitteren Niederlage gefreut, dass Timo Hildebrand seinen ersten Einsatz solide und souverän meisterte. Leider hat auch er sein erstes Länderspieltor kassiert, sich insgesamt vielleicht einen besseren Einstand gewünscht. Da hatte ich bei meinem ersten Länderspiel kurz vor der WM 1990 gegen Dänemark mehr Glück (1:0). Rudi weiß nun, dass er sich auf ihn verlassen kann und sollte ihn als 3. Torhüter mit zur EM nach Portugal nehmen.
Solch Vorbereitungsspiele sollen das Team eigentlich voranbringen auf dem Weg zur EM in Portugal. War das Debakel nun ein Schritt zurück? Was sollen die Jungs aus dieser Niederlage lernen?
Das war ein riesiger Schritt zurück. Die Mannschaft ist in einer Art Schockzustand, damit hatte nun keiner gerechnet. Das Team wird so sicher nicht noch einmal zusammenspielen. Was können wir aus Bukarest mit auf den Weg nach Portugal lernen? Ich bin der Meinung, dass ein Profi, ein Team, quasi jeder von uns alle guten und schlechten Erfahrungen in seiner sportlichen oder beruflichen Karriere braucht, um ganz nach oben zu kommen. Nur wer aus Niederlagen lernt, kommt weiter und macht dieselben Fehler nicht ein zweites Mal.
Ist dieser Spieltermin kurz vor der Meisterschaft nicht Garant für Überraschungen?
Diese Diskussion gab es schon immer. Klar, wir erwarten viel von der EM. Hier überlappen sich die Ansprüche von Verein und Nationalelf sehr deutlich, als gestandener Bundesligaprofi muss ich diesen Spagat meistern, mich auf alle, auch auf Freundschaftsspiele zu 100 Prozent vorbereiten. Vielleicht waren sich bis gestern Abend einige Spieler zu sicher, dass Sie bei der EM dabei sind. Wenn man sich schonen will, sieht man was dabei rauskommt. Schon deshalb müssen 3 bis 4 junge Leute wie Hildebrand, Podolski und Schweinsteiger mit zur Europameisterschaft fahren. Sie brauchen einfach die Erfahrung, den Druck, das prägende Erlebnis vor Ort. Von einem Endrundenturnier, wie der EM kann man nur lernen. Für mich war die Teilnahme an der WM 1990 in Italien die Grundlage für die Erfolge mit der Nationalmannschaft in den 90er Jahren. Auch als 2. oder 3. Torhüter oder als Reservespieler nehme ich als Sportler unglaublich viel Erfahrung für kommende Aufgaben und Herausforderungen mit. Wer weiß, auf welchen Spielern unsere Erwartungen bei der WM 2006 ruhen? Spätestens da sollten die Jungs dem gewaltigen Druck gewappnet sein, zumal sie sich die nächsten zwei Jahre nicht in der WM-Qualifikation behaupten müssen.
Unsere EM-Gruppengegner haben sich auch nicht mit Ruhm bekleckert, nur Holland konnte in der zweiten Halbzeit überzeugen. Ihre Prognosen für Rudis Truppe?
Holland hat zwar in der EM-Qualifikation gegen Tschechien verloren, dennoch sind sie für mich klarer Favorit. Tschechien und unser Team streiten sich um Platz 2 in der Gruppe und um den Einzug ins Viertelfinale. Die Tschechen haben immer noch großen Respekt vor uns. Das reicht zurück bis zur EM 1996, als sie in der Vorrunde und im Finale gegen uns verloren haben. Das wird alles, nicht zuletzt durch die Medien, wieder hochkommen. Dazu noch Lettland, qualifiziert vor dem WM-Dritten Türkei in der Qualifikation. Diese Konstellation zeigt, dass es in dieser Gruppe ganz schwer werden wird.
Quelle: ntv.de