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Olympia-"Schock" für RivalinnenWeinende Ski-"Göttin" Lindsey Vonn liefert 50 Sekunden für die Ewigkeit

12.12.2025, 17:38 Uhr
imageVon Tobias Nordmann
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Lindsey Vonn genießt es, mal wieder ganz oben zu stehen. (Foto: REUTERS)

Lindsey Vonn hat es allen gezeigt. Die Amerikanerin fliegt in der ersten Weltcup-Abfahrt der Olympia-Saison zum Sieg. Sie lässt ihren großen Worten noch größere Taten folgen. Das perfekte Karriereende scheint immer wahrscheinlicher.

40 Sekunden lang sah Lindsey Vonn an diesem Freitagvormittag wie eine irdische Skifahrerin aus, doch dann hob sie ab. Sie hob ab in eine andere Sphäre und alle, die ihr dabei zusehen konnten, waren fassungslos. Die folgenden 50 Sekunden des Abfahrt-Weltcups von St. Moritz waren ein Monument der Skisport-Geschichte. Auf der immer schwerer werdenden Corviglia wurde Lindsey Vonn immer schneller. Sie wurde eins mit ihrem Ski, den sie so brillant auf den Schnee legte, dass kein Staub zu sehen war.

Vonn raste allem Spott davon, der vor allem vor der vergangenen Saison auf sie eingeprasselt war. Ihr Comeback nach fünf Jahren Wettkampfpause und mit einem künstlichen Knie hatte reichlich skeptische Experten und Hater auf den Plan gerufen. Sie sei irre, vollkommen verrückt, das waren noch nette Urteile. Diese Fahrt war ihr Mittelfinger gegen die Häme.

Nach 40 Sekunden lag sie mehr als sechs Zehntel hinten. In dem alpinen Hundertstelsport war das schon eine kleine Ewigkeit. Weitere 50 Sekunden später lag sie mehr als eine Sekunde (1,16) vorne. In den technisch anspruchsvollen Passagen fand sie eine Linie, die noch perfekter war als die erdachte Ideallinie. Die Österreicherin Mirjam Puchner, bis dahin Führende, lachte müde vor Verzweiflung, als sie die Zeit der Amerikanerin sah. Wie war das nur möglich?

Die Antwort ist so einfach wie erschreckend für die Konkurrenz: Vonn halt. Bis zu ihrem Karriereende war die Amerikanerin die beste Speedfahrerin der Welt gewesen, und sie ist es nun wieder. Was für diese olympische Saison nur einen Schluss zulässt: Wenn sie in dieser Form bleibt, können sie nur eigene Fehler um die Goldmedaille im Februar bringen. Um eine Sekunde ließ sie ihre "Rivalinnen" hinter sich. Unglaublich. Einzig die junge Österreicherin Magdalena Egger hielt den Rückstand minimal unter der großen Marke. Mit 0,98 Sekunden wurde sie Zweite, vor eben Puchner.

Wo Vonn ist, ist kein Platz für andere

Aber an diesem Freitag redet niemand über die starken Österreicherinnen, niemand über die starken Deutschen - Emma Aicher wurde Fünfte, Kira Weidle-Winkelmann Achte. Niemand über verletzte Konkurrentinnen wie Federica Brignone, beste Fahrerin der vergangenen Saison, Michelle Gisin oder Lara Gut-Behrami. Wenn Lindsey Vonn scheint, dann scheint nur Lindsey Vonn. Und wenn nicht, dann bestimmt sie trotzdem die Schlagzeilen. Das war immer schon so und hat sich durch ihre Comeback-Geschichte nur noch einmal beschleunigt.

Die schillernde Skikönigin ist mal Darling, mal Diva. Sie weint, sie lächelt. Und jeder schaut ihr zu. Sie hat dunkle Zeiten erlebt (Scheidung, Depression, den Tod ihrer Mutter) und unzählige strahlende auf den Pisten dieser Welt. Sie redet über beide. Das macht sie so spannend. Eine Mikaela Shiffrin hat sie zwar als Rekordsiegerin im Ski-Weltcup längst überholt, aber sie ist abseits der Piste ein Normalo. Nicht wie Vonn, die auf beiden Terrains schillernd tanzt.

Noch bevor sie zum ersten Mal in dieser Saison an den Start gegangen war, hatte sie der Konkurrenz große Worte vor die Skischuhe gepfeffert. Sie fühle sich körperlich womöglich "in der besten Form meines Lebens." Sie habe, so sagte sie, über den Sommer etwa sechs Kilogramm an Muskelmasse zugelegt. Im vergangenen Winter, der gut, aber nicht herausragend war, habe sie sich zu dünn und zu leicht gefühlt. Mit einer nie dagewesenen Disziplin legte Vonn zu. Und brachte ihren geschundenen Körper ans Limit. Sie fühle sie ein bisschen wie "Terminator", sagte sie zuletzt der "Sport Bild", als sie über die vielen Verletzungen und die Teil-Prothese aus Titan in ihrem Knie sprach. Aber ihr gehe es "verdammt gut". Und an diesem Freitag noch ein bisschen besser.

Sie hatte bereits geahnt, dass es diese Saison knallen könnte: "Ich bin keine Außenseiterin, ich bin wieder im Rennen", sagte die 41-Jährige dem "Time Magazine". Auf dessen weltberühmtem Cover prangte Vonn Ende Oktober, pünktlich zum Auftakt der Saison. Es war der denkbar lauteste Startschuss zu ihrem letzten großen Vorhaben.

Noch längst nicht am Limit, sagt Vonn

"Du bist eine Göttin", entfuhr es dem kaum zu beruhigenden Felix Neureuther am ARD-Mikrofon nach dieser Fahrt, über die man noch lange sprechen wird. Schon im Live-Kommentar war er nicht zu halten gewesen: "Unfassbar, wie die gefahren ist, das ist der Wahnsinn. Das ist wie früher, wahrscheinlich sogar noch besser."

Sie habe, sagte die amerikanische Speed-Queen nach ihrer Triumphfahrt in der ARD, "gefühlt, dass ich Geschwindigkeit habe, aber ich war noch nicht hundert Prozent sauber. Ich kann mit Power fahren, aber noch nicht hundert Prozent geben." Der Konkurrenz müssen bei diesen Sätzen die Ohren klingeln. Für sie sind Fahrten wie jene in St. Moritz ein kaum zu fassender Fiebertraum. Für Vonn dagegen der Weg zum Ziel, das sie überraschend devot mit einer olympischen Medaille beschrieben hat. Aber an der Farbe kann es keinen Zweifel geben. Es soll wieder Gold werden. Zum zweiten Mal in ihrer Karriere, 16 Jahre nach dem Abfahrtssieg in Vancouver. Unfassbar eigentlich, dass eine wie sie nur einziges Mal ganz oben stand auf dem Olympia-Podest.

Um große Worte war Vonn in ihrer Karriere nie verlegen gewesen. Aber mit ihren nun 41 Jahren schaffte sie sich vor der Olympia-Saison eine gigantische Fallhöhe. Was wären ihr die Sätze um die Ohren geflogen, wenn der Saisonstart anders verlaufen wäre, wenn sie sich mehr und mehr in diesen Winter gekrampft hätte. Wäre, wäre, hätte, hätte, war aber nicht. Vonn pulverisierte alle Zeiten und raste so schnell über den Zielstrich, dass sie beim Bremsen bis in die Bande rutschte. Nichts passierte, danach Schreie der Erlösung. Als ihr im Interviewbereich später ein Handy gereicht wurde, begann sie zu weinen. Vonn zeigte nicht nur eine Fahrt für die Geschichtsbücher, sondern wie gewohnt auch die ganz großen Emotionen.

Der große Coup mit Svindal

Aus Vonn brach es nach dem historischen Comeback ohne Hemmung heraus. Sieben Jahre, acht Monate und 28 Tage nach ihrem 82. Sieg im Weltcup raste sie wieder nach ganz oben aufs Podest. Dort stehend, weinte sie erneut. Große Bilder, um dessen Wirkung die 41-Jährige aber auch weiß. Womöglich hatte sie dem Braten, den sie selbst zubereitet hatte, nicht getraut. Doch es hatte sich alles ausgezahlt. Die gnadenlose Schinderei, die Verpflichtung des ehemaligen Superstars Aksel Lund Sivndal, der als Tüftler gilt, als Mann mit einem Blick für die Details. "Er ist eine großartige Ergänzung und es ist so, als würdest du mit deinem besten Freund trainieren. Wir sprechen über Details, das macht so viel Spaß. Seine Perspektive hat mir die Augen geöffnet", meinte sie auch in Bezug auf ihre ohnehin schon aggressive Linie.

Wohin diese unglaubliche Geschichte noch führen soll? Olympisches Gold wird im Februar in Cortina d'Ampezzo vergeben, auf einer Strecke namens "Olimpia delle Tofane". Lindsey Vonn hat dort schon zwölfmal gewonnen.

Quelle: ntv.de

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