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Weltmeister braucht Gegner Verzweifelter Fury wartet auf das große Spektakel

Tyson Fury brüllt gerne - nur geboxt hat er schon länger nicht mehr

Tyson Fury brüllt gerne - nur geboxt hat er schon länger nicht mehr.

(Foto: IMAGO/Shutterstock)

Das Jahr 1933 gilt unter Box-Historikern bis heute als das schlechteste in der Geschichte des Schwergewichts. 90 Jahre später herrscht trotz starker Champions eine ähnliche Flaute. Ein Mega-Spektakel am Jahresende könnte alles ändern - in Saudi-Arabien.

Angelo Di Carlo wittert das große Ding. Das ganz Große. Das Größte - jedenfalls für Australien. Di Carlo ist ein australischer Box-Manager. Zu seinen Schützlingen gehört ein Schwergewichtler namens Demsey McKean. Und diesen McKean bringt Di Carlo als Herausforderer von Tyson Fury ins Spiel.

Fury ist Weltmeister im Schwergewicht und seit geraumer Zeit auf der Suche nach einem Gegner für den Sommer. Zuletzt warb der "Gypsy King" via Instagram und Co. fast schon verzweifelt nach einem Tanzpartner im Ring. Oleksandr Usyk solle doch bitte schön ins Vereinigte Königreich kommen, sich seine 30-Prozent-Börse und eine Tracht Prügel abholen, trötete Fury. Später bettelte er seinen US-Promoter Bob Arum geradezu an, ihm endlich einen Herausforderer zu besorgen. Der 90-Jährige hatte zuvor gesagt, er habe keinen blassen Dunst, was Fury überhaupt wolle.

Zur Erinnerung: Im März hatte der WBC-Champion den sehnlichst erwarteten Kampf gegen WBA/WBO/IBF-Titelträger Usyk um die einzig wahre Krone platzen lassen - und das, obwohl Usyk die absurde Bedingung Furys annahm, die dem Ukrainer lediglich einen 30-Prozent-Anteil der Event-Einnahmen diktierte. Doch weil sein Bluff aufflog, forderte Fury danach immer mehr und mehr und noch mehr. Bis Usyk und sein Promoter Alexander Krassyuk abwinkten. Fans und Experten ätzten, Fury wolle seinen Titel lieber gegen einen schwächeren Gegner verteidigen, statt sich mit dem boxerisch hochbegabten und daher gefährlichen Linkshänder Usyk zu messen.

Nur: Nicht einmal das hat der 2,06-Meter-Koloss bis heute geschafft. Ex-Weltmeister Andy Ruiz, beim Verband WBC die Nummer zwei der Weltrangliste, forderte offenbar zu viel Geld, um in England seine Rübe hinzuhalten. Andere halbwegs vermarktbare Kontrahenten sind rar. Furys UK-Promoter Frank Warren räumte jüngst ein, die Gegnersuche für seinen Protegé gestalte sich kompliziert. Ein "Gypsy King" ohne Kleider. "Fury hat keine attraktive Option für einen Kampf, mit dem er in England ein Stadion oder wenigstens eine Halle voll machen könnte", sagt Box-Experte Bernd Bönte im Gespräch mit ntv.de. Der Weltmeister sei in Großbritannien "nicht die dicke Nummer wie manche denken. Viele Briten mögen ihn nicht. Im Boxring ist Fury in der obersten Gewichtsklasse das Nonplusultra aber außerhalb wegen seines häufig niveaulosen Auftretens nicht annähernd so beliebt wie sein großer inländischer Kontrahent Anthony Joshua", so der langjährige Manager der Klitschkos.

Fury-Show Down Under? "Absoluter Müll!"

Vielleicht ist Fury deshalb erst einmal nach Australien gereist. Sein Trainingspartner und Freund Joseph Parker stieg dort am Mittwoch in Melbourne in den Ring (und gewann). Kumpel Fury war zur Unterstützung dabei, hieß es. Oder doch zu anderen Zwecken?

Denn da ist ja noch Angelo Di Carlo und sein Aussie-Boxer Demsey McKean. "Die Gespräche über einen Kampf zwischen Demsey und Tyson Fury haben schon vor einiger Zeit begonnen", behauptete Di Carlo bei "News Corp". Sein Mann sei "die beste Option" und ein "echter Test" für Fury, sofern dieser Down Under boxen wolle. Und überhaupt: Fury vs. McKean wäre "der größte Kampf der australischen Geschichte", sagte Di Carlo (von dem Duell zwischen Tommy Burns und Jack Johnson am zweiten Weihnachtstag 1908 in Sydney, als sich Johnson zum ersten schwarzen Schwergewichts-Weltmeister krönte, hat der Manager wohl noch nie gehört). Fury scheint der Idee nicht abgeneigt zu sein. McKean sei "ein Top-10-Schwergewicht" und somit ein heißer Kandidat für einen potenziellen Auftritt in Australien, sagte der Brite in Melbourne.

Demsey McKean ist 32 Jahre alt, in 22 Profikämpfen ungeschlagen, Rechtsausleger und - wahrscheinlich sein größtes „Asset“ - 1,98 Meter groß. Ein Gegner von Rang und Namen findet sich in seiner Kampfbilanz nicht. In der WBC-Rangliste belegt McKean Rang 36, eigentlich ist er nicht WM-tauglich. Denn laut Regelwerk des WBC muss der Weltmeister seinen Titel gegen einen "qualifizierten Herausforderer" aus den Top 15 verteidigen. Da Box-Verbände aber besonders kreativ sind, kann "unter besonderen Umständen" und mit einer 2/3-Mehrheit des WBC-"Aufsichtsrates" auch ein Boxer um den Titel kämpfen, der dieses Kriterium nicht erfüllt. Mit anderen Worten: Sollte Fury wirklich den Zirkuskampf gegen McKean in Australien anstreben, würden die Funktionäre ihren Segen nicht verweigern.

Ob es wirklich so kommt? Eddie Hearn gibt eine klare Antwort. "Das ist absoluter Müll! Tyson Fury kämpft nicht in Australien", sagte der Promoter von Furys englischem Rivalen Joshua bei iFL TV. "Ich sehe nicht, dass Fury irgendeinen anderen Kampf macht als den gegen Oleksandr Usyk im Dezember, weil das Geld, das er haben will, einfach mit keinem anderen Kampf erreichbar ist."

Saudi-Arabien plant Acht-Fäuste-Spektakel

Also doch Usyk. Investoren aus Saudi-Arabien haben den Kampf um die unumstrittene Meisterschaft aller Klassen längst noch nicht ad acta gelegt. Mehr noch: Die Nahost-Potentaten wollen Ende des Jahres ein Event der Superlative auf die Beine stellen. Fury gegen Usyk, dazu im Vorprogramm das Duell der Knockout-Experten Deontay Wilder und Anthony Joshua. "Wenn das kommt, wäre es das Sportevent des Jahres, das Größte, was es im Boxen seit Jahren gegeben hat", betont Bönte. Die geplante Acht-Fäuste-Nummer sei ungefähr so, als hätten Mike Tyson, Evander Holyfield, Lennox Lewis und Riddick Bowe in den Neunzigern an einem Abend im Ring gestanden. Ungefähr, weil die damaligen Granden "sportlich noch einmal ein Regal höher anzusiedeln waren", so der Faustkampf-Kenner.

Dass bereits konkrete Verhandlungen über das Mammut-Projekt im Nahen Osten stattfinden, ist kein Geheimnis. Hearn bestätigte die saudischen Pläne, reiste erst vor kurzem an den Persischen Golf. Britische Medien spekulieren indes über das finanzielle Volumen. 300 Millionen Dollar, 400 gar? Klar scheint nur: Am Geld soll es nicht scheitern. "Wenn die Saudis das wirklich wollen, machen sie das, man sieht ja auch, wie viel Geld sie beispielsweise in den Fußball oder ihre Golf-Liga pumpen", sagt Bönte: "Am Ende ist Boxen ein Geschäft: Wer zahlt, schafft an." Der "größte Unsicherheitsfaktor" bei dem Unterfangen sei Fury. Der wolle auch bei gemachten Deals stets nachverhandeln, um für sich noch mehr herauszuholen, torpediere so sicher scheinende Geschäfte.

Manifestiert sich das gigantomanische Faustkampf-Event, könnte Hearn Recht behalten und Fury tatsächlich bis Dezember nicht mehr ins Seilgeviert klettern - auch wenn der Weltmeister in Melbourne verlautbarte, ein Duell mit Rechtsausleger McKean wäre eine "großartige Vorbereitung" auf Usyk. Der Ukrainer wird auf jeden Fall etwas gegen den drohenden Ringrost tun. Usyk verteidigt seine Titel am 12. August in Breslau gegen WBA-Pflichtherausforderer Daniel Dubois. Der 25-jährige Engländer stellt für Usyk ein kalkulierbares Risiko auf dem Weg gen Saudi-Arabien dar. Dubois hat zwar einen harten Punch, ist dem Titelverteidiger boxerisch aber klar unterlegen. Alles andere als ein Sieg Usyks wäre eine Sensation.

Dass die anderen Protagonisten Joshua und Wilder einen Zwischenkampf einlegen, glaubt Bönte nicht. Beide wollten den großen Schlag- und Zahltag zum Jahresende nicht gefährden. Joshua selbst ließ nach seinem glanzlosen Sieg über den Amerikaner Jermaine Franklin am 1. April bereits wissen, sein nächster Kampf werde erst im Dezember stattfinden.

Keiner redet übers Schwergewicht

Das Mega-Spektakel in Saudi-Arabien – wenngleich auf fragwürdigem, weil totalitärem Terrain – könnte die Boxfans entschädigen. Denn bisher ist das Jahr 2023 im Schwergewicht ein einziger Reinfall. Der Mai neigt sich dem Ende zu und noch immer hat in der Königsklasse kein WM-Kampf stattgefunden. Unter Box-Historikern gilt das Jahr 1933 bis heute als das schlechteste in der Geschichte des Schwergewichts. Mit Primo Carnera war ein Riese aus Italien Weltmeister, der eigentlich gar nicht boxen konnte. 90 Jahre später herrscht eine ähnliche Flaute, obwohl es gleich zwei starke Champions gibt. Ohne die Finanzmacht der Saudis könnte 2023 ein schwergewichtiger Langweiler bleiben.

Wenigstens sind die Leichtgewichte in die Bresche gesprungen. Im April ließen die jungen US-Stars Gervonta Davis und Ryan Garcia die Kassen klingeln ("Tank" Davis gewann das Pay-per-View-Spektakel, als Garcia nach einem Körpertreffer aufgab). Am vergangenen Wochenende lieferten sich Leichtgewichts-Weltmeister Devin Haney aus den USA und der ukrainische Ausnahmekönner Vassiliy Lomachenko im MGM Grand am Vegas-Strip ein hochklassiges Duell über zwölf Runden. Seither diskutiert die Boxwelt leidenschaftlich über das knappe und kontroverse Urteil zugunsten Haneys.

Über das Schwergewicht redet dagegen zurzeit keiner – zumal im Sommer einige Klassen tiefer der nächste Kracher ansteht. Nach jahrelangem Hickhack machen Ende Juli die ungeschlagenen US-Amerikaner Terence Crawford und Errol Spence jr. in Las Vegas endlich unter sich aus, wer König im Weltergewicht ist. Es ist ein Duell, nach dem Fans und Experten seit Jahren gieren. Eines, das gerade noch rechtzeitig kommt. Crawford ist 35, Spence 33 Jahre alt.

Arg viel Zeit haben auch die großen Vier im Schwergewicht nicht mehr. Oleksandr Usyk hat 36 Lenze auf dem Buckel, Tyson Fury bald 35. Deontay Wilder ist sogar schon 37. Der jüngste ist Anthony Joshua, der aber auch schon 33 Jahre alt ist. Die Uhr tickt überall gleich. Auch wenn zwischen Melbourne und Riad Welten liegen.

Quelle: ntv.de

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