Spektakel im "Ally Pally" Vor der Darts-WM fliegen die Giftpfeile
15.12.2021, 12:52 Uhr
Michael van Gerwen will nach einem erfolglosen Jahr seinen vierten Weltmeister-Titel erringen.
(Foto: Lawrence Lustig/PDC)
Der einstige Dauer-Dominator ist nur noch ein Mitfavorit von vielen, der amtierende Weltmeister spuckt große Töne, der erfolgreichste Spieler des Jahres arbeitet nebenbei noch als Verputzer. Aus Deutschland ist unter anderem ein 16-Jähriger dabei. Heute startet die Darts-WM 2022.
94 Spieler und 2 Spielerinnen kämpfen von heute an bis zum 3. Januar um den Titel bei der Darts-Weltmeisterschaft. Gerwyn Price, amtierender Weltmeister und Weltranglistenerster, sieht sich selbst als hohen Favoriten an und schon bald auf einer Stufe mit Darts-Legende Phil "The Power" Taylor. Von Michael van Gerwens früherer Dauer-Dominanz ist längst nichts mehr übrig, trotzdem ist "Mighty Mike" überzeugt, dass ihm "niemand gefährlich werden kann", sollte er sein Topspiel auf die Bühne bringen. Peter Wright kündigt mittlerweile vor jedem einzelnen Turnier an, dass er es gewinnen wird. "Einfach nur Bla, Bla", findet van Gerwen. Und wenn sich drei streiten, lacht vielleicht Jonny Clayton, erfolgreichster Spieler des Jahres und außerhalb der Turniere als Verputzer auf walisischen Baustellen unterwegs.
Wer sind die Favoriten?
Gerwyn Price ist nicht nur Titelverteidiger, sondern auch sehr überzeugt von sich selbst. "Gebt mir noch zwei oder drei Jahre mehr, dann werde ich noch viel dominanter sein. Auch wenn ich jetzt schon Weltmeister und Ranglistenerster bin. Ich werde ähnlich dominant sein wie Phil Taylor", äußerte sich der "Iceman" zuletzt gegenüber "Sky Sports". Allerdings hat Price in diesem Jahr auch die ein oder andere Schwäche gezeigt, von der einstigen Dominanz eines Phil Taylor oder Michael van Gerwen ist er noch weit entfernt. "Nur" eins der zehn großen Turniere des Jahres gewann der Ex-Rugbyprofi aus Wales.
Die meisten Trophäen - vier an der Zahl - schnappte sich sein Landsmann Jonny Clayton. Der Waliser krallte sich in der ersten Jahreshälfte die finanziell lukrative Premier League, gewann dann im weiteren Jahresverlauf drei weitere große Titel. Bei der Weltmeisterschaft soll der ganz große Wurf gelingen, doch bereits im Viertelfinale droht ein Duell mit seinem Landsmann und Freund Gerwyn Price. Fraglich, ob er im Falle eines WM-Sieges mit 500.000 Pfund Preisgeld dann noch weiter als Verputzer tätig sein wird. Schon jetzt ist Claytons berufliche Tätigkeit ein Kuriosum. Ansonsten haben alle Top-Spieler in der Weltrangliste ihren gelernten Job längst aufgegeben.
Price-Vorgänger Peter Wright - er gewann den WM-Titel 2020 - meldet ebenfalls Ansprüche auf die 25 Kilogramm schwere "Sid Waddell Trophy" an. Rechtzeitig zu den globalen Titelkämpfen scheint der Schotte seine Form wieder gefunden zu haben. Beim Grand Slam of Darts erreichte der Paradiesvogel mit dem bunten Irokesenschnitt das Finale, Ende November schnappte sich Wright den Titel bei den Players Championship Finals.
Trotz eines historisch erfolglosen Jahrs meldet auch Michael van Gerwen Ansprüche auf den Titel an. Der Weltmeister von 2014, 2017 und 2019 hat zwar 2021 kein einziges Major-Turnier gewonnen, sieht sich aber immer noch als den besten Spieler der Welt an. "Wenn ich mein A-Game spiele, kann mir niemand gefährlich werden", sagte "MvG" unmittelbar vor Turnierbeginn im "Checkout"-Podcast. "Mein größter Gegner ist Gerwyn Price. Er spielt aktuell keine guten Darts, findet aber Wege, um die Spiele zu gewinnen. Das ist der kleine Unterschied zwischen ihm und mir, denn ich spiele momentan besser als er."
Auf wen sollte man noch achten?
Aus der zweiten Reihe der Topspieler dürfen sich vor allem James Wade, Ex-Weltmeister Rob Cross, Dimitri Van den Bergh sowie der zweifache Weltmeister Gary Anderson Chancen auf den großen Wurf ausrechnen. Zudem kann auch der Portugiese José de Sousa trotz seiner für einen Spitzenspieler unüblichen Rechenschwäche überraschen.
Fallon Sherrock kehrt an den Ort zurück, an dem sie zur "Queen of the Palace" wurde. Bei der vorletzten WM besiegte die 27-jährige Engländerin als erste Frau einen Mann und kam nach dem Sieg über Ted Evetts sogar noch eine Runde weiter. Klappt es diesmal wieder mit dem Einzug in Runde 3? Nicht unmöglich. Gegen Altmeister Steve Beaton hat sie zum Auftakt gute Karten, in Runde 2 würde der Weltranglisten-32. Kim Huybrechts aus Belgien warten.
Neben Sherrock ist Lisa Ashton als zweite Frau dabei. Die 51-Jährige wartet noch auf ihren ersten Sieg im "Ally Pally", hat mit dem Niederländer Ron Meulenkamp aber keine unlösbare Aufgabe zugelost bekommen.

Die gelernte Friseurin Fallon Sherrock hat vor zwei Jahren als erste Frau bei der WM einen Mann besiegt.
(Foto: imago images/Pro Sports Images)
Darüber hinaus kehrt einer der Sportstars der Niederlande schlechthin auf die große Bühne zurück. Raymond van Barneveld war vor zwei Jahren bei der WM in Runde 1 nach einer schlechten Leistung ausgeschieden, hatte sich auf seinem letzten Jahr auf der Tour nur gequält. "Ich war kein netter Mensch mehr. Ich hatte aufgegeben", gestand er kürzlich im "Checkout"-Podcast.
Doch ein Jahr später folgte der Rücktritt vom Rücktritt. "Barney" gelang Anfang dieses Jahres ein starkes Comeback: Schon im März landete er den ersten Turniersieg, Ende des Jahres folgte die Qualifikation für den Grand Slam of Darts. Der 52-Jährige kommt für den WM-Sieg zwar nicht infrage, für Rob Cross (möglicher Zweitrunden-Gegner) könnte der frühere Briefträger aus Rotterdam aber zum Stolperstein werden. "Ich bin ein geborener Sieger. Wenn ich nicht daran glauben würde, die WM zu gewinnen, würde ich nicht nach London fahren."
Einer der größten Name der Szene ist ebenfalls wieder mit von der Partie: Paul Lim, mittlerweile stolze 67 Jahre alt, hat sich zum 26. Mal für die WM qualifiziert. Sein Steckenpferd ist aber E-Dart. Dort wird mit Plastikspitzen geworfen. Der Altmeister aus Singapur gilt gemeinhin als Phil Taylor des E-Dart, was seine Ausnahmestellung unterstreicht.
Welche Deutschen sind dabei?

Paul Lim ist traditionell der älteste Teilnehmer des Turniers.
(Foto: imago images/Pro Sports Images)
Erstmals haben sich vier Deutsche für die Weltmeisterschaft im "Ally Pally" qualifiziert. Gabriel Clemens ist bei seiner vierten WM als einziger Deutscher gesetzt. Die Nummer 25 der Welt steigt erst in Runde 2 ins Turnier ein. Sein Gegner wird in der Partie zwischen dem jungen Waliser Lewy Williams und dem nicht zu unterschätzenden Japaner Toyokazu Shibata ermittelt. Aber "es hätte mich schlimmer erwischen können", weiß Clemens. Gewinnt der "German Giant" sein Auftaktspiel, wird höchstwahrscheinlich Jonny Clayton warten. Doch so weit will Clemens noch nicht schauen: "Jonny muss erst mal sein Auftaktspiel gewinnen. Ich mache mir persönlich noch gar keine Gedanken über ein Spiel gegen ihn."
Zum dritten Mal hat sich Martin Schindler für das größte Darts-Event des Jahres qualifiziert. Diesmal soll es für den 25-Jährigen endlich mit dem ersten Sieg klappen. Doch die Auslosung hat es nicht unbedingt gut gemeint, denn es kommt zum deutschen Duell mit WM-Debütant Florian Hempel.
Der ehemalige Handball-Torwart - er war aktiv in der 2. und 3. Liga - blickt auf ein starkes erstes Jahr auf der Profi-Tour zurück. Viele Experten sehen in dem deutschen Duell das stärkste in der gesamten ersten Runde. "Schade, dass es gegen Florian geht, aber er wird mir genauso wenig den Sieg schenken wie ich ihm", so Schindler vor dem besonderen Duell im "Checkout"-Podcast. Hempel, der den Moment der Auslosung als "schockierend" empfand, hofft, dass er und sein Trainingspartner den hohen Erwartungen gerecht werden, "befreit auf die Bühne gehen und ohne Krampf Dart spielen".
Die Schlagzeilen hat kurz vor der WM aber ein anderer geschrieben: Fabian Schmutzler. Der 16-Jährige hatte sich im November sensationell für die WM qualifiziert und darf als zweitjüngster Spieler aller Zeiten im "Ally Pally" auflaufen. Bereits am zweiten WM-Abend steht sein Erstrundenspiel gegen Ryan Meikle auf dem Programm. "Meikle ist eine Wundertüte", findet Schmutzler und glaubt an eine Überraschung, wenn Meikle einen Punkteschnitt von 95 nicht überbietet. "Dann habe ich eine große Chance." Gewinnt Schmutzler, wird er in der zweiten Runde mit einem Spiel gegen Peter Wright belohnt. "Das wäre echt fett."
Was muss man sonst noch wissen?
Die Spieler müssen entweder einen Impf-, Genesenen- oder Testnachweis erbringen, sind zudem von der PDC dazu angehalten worden, auf das Abklatschen mit Zuschauern während der Walk-Ons zu verzichten.
Drei Akteure mussten ihre Teilnahme wegen Corona bereits absagen. Der spanische Qualifikant Juan Rodriguez wurde vor seiner Anreise nach London positiv getestet, der Südafrikaner Charles Losper sowie der chinesische Starter Lihao Wen bekamen keine Einreisegenehmigung nach Großbritannien. Statt 31 verschiedenen Nationen sind deshalb "nur" 29 bei der diesjährigen WM vertreten, ein neuer Rekord bleibt der Veranstaltung also verwehrt.
Viel wichtiger ist für die PDC aber ohnehin die Rückkehr der Fans. Nachdem im Vorjahr coronabedingt lediglich am ersten Abend wenige Hundert Zuschauer in den Alexandra Palace durften und die restlichen Tage ohne Fans ausgetragen wurden, soll das Turnier diesmal wieder vor voller Hütte stattfinden. Zuschauer müssen entweder geimpft, genesen oder getestet sein und müssen in öffentlichen Bereichen Maske tragen. Ansonsten sollen die Fans wieder die WM-üblichen Szenen liefern: Verkleidungen, Gesänge, Ekstase.
Quelle: ntv.de