Sport

Womit hat München das verdient? Wenn Papierflieger mehr begeistern als das Spiel

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Die New York Giants und die Carolina Panthers liefern lange ein wenig begeisterndes Spiel in München, dafür feiert das Publikum sich selbst. Dass die Stimmung hinter dem NFL-Debüt in München zurückbleibt, liegt vor allem am Geschehen auf dem Rasen. Das Finale entschädigt die Fans.

Ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss. Das wissen sie in München. Oliver Kahn hat den Spruch mal verwendet. Hasan Salihamidzic in seiner Zeit als Funktionär beim Rekordmeister ebenfalls. Und auch am Sonntagnachmittag passt er wieder einmal wie die Faust aufs Auge zu dem, was in der Allianz Arena passiert.

Das gute Pferd, falls sich Footballkenner jetzt verwundert die Augen reiben, ist kein Spieler. Das gute Pferd ist die NFL selbst. In São Paulo sorgen für das erste Aufeinandertreffen in der Regular Season auf südamerikanischem Boden überhaupt, mit den Eagles aus Philadelphia und den Green Bay Packers zwei enorm bekannte und sportlich relevante Teams für Spektakel. In London - der zweiten Heimat der NFL - gibt es in dieser Spielzeit gleich drei Partien. Sportlich in der Spitze zu verordnen sind aus den Partien lediglich die Minnesota Vikings. Aber es sind eben auch drei Spiele.

In Deutschland bleibt es weiter bei einer Begegnung: Carolina Panthers gegen die New York Giants. Bereits auf dem Weg zum Stadion wird deutlich, welche Mannschaften die deutschen Football-Fans lieber begrüßt hätten: ungefähr alle. Die schon Stunden vor Kick-Off vollgestopften S-Bahnen nach Fröttmaning sehen aus, als wäre in jeder einzelnen ein Fanshop explodiert, wenn man lang genug sucht, findet man Jerseys von jedem einzelnen Team. Besonders häufig vertreten sind neben den Seahawks aus Seattle auch das rot-gelbe Trikot von Chiefs-Quarterback Patrick Mahomes und - na klar - der ewige Tom Brady, häufig in der New England-Variante, seltener in der Tampa-Bay-Ausführung.

Panthers-Cap, 49ers-Trikot, BVB-Schal

Der Weg zum Stadion fühlt sich nicht nach einem Sport-Event an, sondern eher nach Branchentreffen. Gamescom statt Spitzensport, wo für gewöhnlich eine Mannschaft (das Heim-Team) und optional noch eine zweite die Farben im Stadion vorgeben. Neben den 32 Teams der NFL sind auch Trikots von deutschen Mannschaften vertreten, offensichtliche Trikots der eigenen Hobby-Mannschaften sind auch dabei. Und wer kein Trikot trägt, findet noch irgendein anderes Fan-Utensil. Gern auch mehrere. Gern auch nur bedingt zueinander passend: Broncos-Handschuhe und Panthers-Cap, 49ers-Trikot und BVB-Schal, alles ist erlaubt.

Jeder will seinen Sport, sein Team, seinen Zugang zu Football repräsentieren. Den Ruf als Football-Klassentreffen hat sich München 2022 erarbeitet. Damals steigt hier das erste NFL-Spiel Deutschlands. Die Seattle Seahawks, die aufgrund ihres Super-Bowl-Gewinns zum Beginn des Football-Hypes vor etwa zwölf Jahren in Deutschland eine riesige Fanbase haben, treffen auf die Tampa Bay Buccaneers. Das Team aus Florida hatte in Deutschland keinen allzu großen Fan-Anhang, wurde jedoch deutlich von seinem Quarterback überstrahlt: Tom Brady.

"Literally happiness" war einmal

Football-Deutschland kann sein Glück kaum fassen. Jeder Touchdown wird frenetisch bejubelt. Die euphorische Stimmung schwappte sogar über die Fernsehbildschirme in die USA. Der Country-Klassiker "Take me home, country roads" wird damals eine Art Hymne für NFL-Spiele auf deutschem Boden. Videos der Allianz-Arena, die den Song von John Denver intoniert, gehen um die Welt. Im amerikanischen Originalton fallen Kommentare wie "This is literally happiness", am Ende stimmen die Reporter sogar mit ein.

Schnee von gestern. Die durch die Boxen scheppernde Ankündigung der beiden Teams holt die ausverkaufte Allianz Arena in die Realität zurück. Hier spielen heute keine Seahawks, keine 49ers, keine Chiefs und Tom Brady sowieso mal überhaupt nicht. Die NFL in Deutschland repräsentieren dürfen 2024 die Panthers und die Giants. Das ist Abstiegskampf. Beziehungsweise wäre es das, wenn es in der Franchise-Liga der NFL so etwas gäbe.

Immerhin: Einer muss gewinnen

Erstere sind Schlusslicht in der NFC South, die Giants stehen auf einem ganz und gar nicht gigantischen letzten Platz in der NFC East. Mit je zwei gewonnen Spielen reisen die Teams an – weniger hat niemand in der NFL. Immerhin: Einer muss in München ja gewinnen. Während die deutschen Medien vor dem Spiel 2022 von Tom Brady schwärmen (und der später auch von München), kann RTL-Football-Experte Patrick Esume vor dem Kickoff etliche Statistiken aufzählen, in denen eines der beiden Teams das Schlusslicht der NFL darstellt.

Klar, auch die Panthers und die Giants haben ihre Fans und die machen sich auch bemerkbar. Nur zum einen haben die Organisatoren versäumt, die Fanlager immerhin einigermaßen geballt in der Arena zu positionieren, zum anderen sind es einfach nicht genug, um für wirkliche Heimspiel-Atmosphäre (die Panthers waren offiziell das Heimteam) zu sorgen. Also wartet der Rest des Münchener Besuchersstroms vergeblich auf Spitzensport.

Origami, Bier, Karaoke

Und so werden in der ersten Halbzeit unter anderem mehrere Papierflieger, die in der Endzone landen, sowie ein auf dem Videobildschirm eingeblendeter Fan, der sein Bier auf Ex trinkt, lauter bejubelt, als das Geschehen auf dem Rasen. Das Publikum berauscht sich an sich selbst. In der Halbzeitshow weiß Machine Gun Kelly auch deswegen zu begeistern, weil er clevererweise vor seinem Song "Lonely Road" (eine Neuinterpretation ebenjenes "Take me home, country roads") zunächst den Refrain des Originals spielt. Origami, Bier, Karaoke. Das sind die Momente, für die das Publikum mal aus dem Sitz geht.

Wenig später sorgt ein Schiedsrichter für Jubel, der eine Strafe auf Deutsch verkündet. Nach quälend langem Warten darf das Stadion immerhin im einigermaßen furiosen Finale mal Fahrt aufnehmen. Giants und Panthers fumblen sich in den letzten Minuten so lang den Ball hin und her, bis das Team aus Carolina die Faxen dicke hat und sich mit einem Field Goal in der Overtime zum Einäugigen unter den Blinden krönt.

Niemand erwartet jedes Jahr Kansas City

Es bleibt nicht mehr als ein Ausblick darauf, was mit einer anderen Paarung möglich gewesen wäre. Es muss nicht immer ein vorgezogener Superbowl sein, wie Kansas City gegen die Miami Dolphins im vergangenen Jahr in Frankfurt. Das wäre bei der erwähnt breiten Unterstützung etlicher Teams in Deutschland auch nicht notwendig. Eine Partie der Jets, wo sich Quarterback-Ikone Aaron Rodgers im Sommer möglicherweise in den Ruhestand verabschiedet, wäre ein schönes Ausflugsziel für die deutsche Football-Familie gewesen. Oder warum nicht endlich mal das Offensiv-Spektakel der Detroit Lions um den deutschen Überflieger Amon-Ra St. Brown in seiner Heimat entfesseln?

Carolina gewinnt also sein Heimspiel auf fremdem Boden. Soweit die sportlichen Erkenntnisse. Und sonst? Werbung (und darum gehts bei den für die Teams beschwerlichen Übersee-Ausflügen schließlich) war das Event für die NFL weniger als beim rauschenden ersten München-Besuch, als die Bilder und Gesänge die Football-Welt verzauberten. Fürs Publikum in Deutschland schon eher. Weitere Spiele in Deutschland sind ein offenes Geheimnis, die Paarungen stehen noch in den Sternen. Vielleicht wieder in München, vielleicht in Berlin. Zuletzt fiel immer häufiger der Name der deutschen Hauptstadt, die bisher beim NFL-Goldrausch noch außen vor blieb.

Die Allianz-Arena wird so oder so demnächst wieder der FC Bayern in Beschlag nehmen. Der Rekordmeister war seinen Fans immer dann am liebsten, wenn er doch höher sprang als das gute Pferd. Im besten Fall so hoch wie es eben geht. In München wissen sie das. Bei der NFL scheinbar noch nicht.

Quelle: ntv.de

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