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Mieses Spiel mit den NFL-Kickern Wer nicht trifft, wird gefeuert

Der Moment, in dem für Cody Parkey viel kaputt geht: Der Kicker verpasste im Januar das entscheidende Fieldgoal im NFC Wild Card Game gegen die Philadelphia Eagles.

Der Moment, in dem für Cody Parkey viel kaputt geht: Der Kicker verpasste im Januar das entscheidende Fieldgoal im NFC Wild Card Game gegen die Philadelphia Eagles.

(Foto: imago/UPI Photo)

Kicker erzielen im American Football die meisten Punkte und entscheiden oft über Sieg oder Niederlage. Trotzdem werden sie von den Fans kaum wahrgenommen, verdienen weniger Geld als ihre Mannschaftskameraden und werden nach ein paar Fehlschüssen fristlos entlassen.

Sie sind nicht so berühmt wie die Quarterbacks, die mit ihren spektakulären Pässe in jedem Highlight-Video zu sehen sind. Sie sind auch keine schillernden Superstars wie die Wide Receiver oder Runningbacks, die Bälle fangen und Touchdowns erlaufen. Und doch sind es die Kicker, die im American Football oftmals über Sieg oder Niederlage entscheiden. Ihre einzige Aufgabe besteht darin, den eiförmigen Ball durch die Torstangen zu schießen. Drei Punkte gibt es für ein sogenanntes Field Goal. Klingt einfach, ist je nach Distanz allerdings verdammt schwierig – und oftmals eben auch spielentscheidend.

"Als Kicker wirst du entweder gefeiert oder mit Bierbechern beworfen", sagt der ehemalige deutsche Kicker Ralf Kleinmann. Der heute 38-Jährige spielte acht Jahre in der NFL Europe für Frankfurt Galaxy und absolvierte im Jahre 2003 sogar die Saisonvorbereitung in der NFL bei den Tampa Bay Buccaneers, ehe er wieder entlassen wurde.

Der einsamste Job der Welt

Er weiß, warum der Beruf des Kickers als der "einsamste Job der Welt" gilt. Kicker mögen auf dem Papier ein Bestandteil des Teams sein, leben aber dennoch völlig abgekapselt von der restlichen Mannschaft. "Man macht im Training sein eigenes Ding, hat einen eigenen Trainer, trainiert auf einem anderen Platz und kickt dort einen Ball nach dem anderen", sagt er.

Noch einsamer wird es, wenn sie das Feld betreten. Es ist dieser Moment, in denen 80.000 Fans im Stadion und zig Millionen Zuschauer auf sie blicken und spannungsvoll erwarten, ob sie nun treffen oder nicht. Fehler verzeihen? Fehlanzeige! Wer nicht trifft, ist ganz schnell seinen Job los. NFL-Verträge sind meist so gestaltet, dass die Teams einen Spieler von heute auf morgen vor die Tür setzen können. Eine Option, von der gerade bei Kickern gerne Gebrauch gemacht wird.

"Von den Jungs wird erwartet, ihren Job zu machen", sagt Mike Zimmer, der Head Coach der Minnesota Vikings. Er hatte vergangene Saison Daniel Carlson verpflichtet, der am College zu den besten Kickern überhaupt zählte. In der NFL hatte er zunächst seine Probleme und wurde entlassen – und zwar nach dem zweiten Spieltag.

Vier Kicker in vier Monaten

Auch andere Teams gehen wenig zimperlich mit ihren Kickern um. Die Tennessee Titans beispielsweise hatten in dieser Saison bereits vier verschiedene Kicker im Einsatz, zwei davon wurden längst wieder entlassen. Dabei hat die Spielzeit 2019 erst Anfang September, also vor knapp vier Monaten, begonnen. Selbst die New England Patriots, die mit Head Coach Bill Belichick und Quarterback Tom Brady seit knapp 20 Jahren für Konstanz stehen, haben in der laufenden Saison bereits zwei Kicker aussortiert.

Doch damit nicht genug: Kicker, die nicht treffen, werden in den sozialen Medien schnell zum Gespött. Cody Parkey mutierte im vergangenen Januar zum Hassobjekt vieler Fans der Chicago Bears, als er im Play-off-Spiel gegen die Philadelphia Eagles bei dem entscheidenden Field-Goal-Versuch an den Torstangen scheiterte. Kurz darauf folgte die Entlassung.

Roberto Aguayo: Nach den Fehlschüssen folgte die Depression

Noch schlimmer erwischte es Roberto Aguayo. War er am College noch der treffsicherste Kicker aller Zeiten, so versagten ihm in der NFL die Nerven. Ein einziger Fehlschuss kann genügen, damit im Kopf eines Kickers die Negativspirale beginnt. Bei Aguayo ging das so weit, dass er bei einigen Spielen auf der Bank saß und hoffte, gar nicht auf das Spielfeld zu müssen – dementsprechend schlecht spielte er auch.

Roberto Aguayo war am College ein Star, nun kämpft er um die Rückkehr in die NFL.

Roberto Aguayo war am College ein Star, nun kämpft er um die Rückkehr in die NFL.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Die Folge: Innerhalb von 13 Monaten wurde er von vier Teams entlassen und musste auf Twitter & Co viel Hohn über sich ergehen lassen. Er verfiel in eine tiefe Depression, starrte laut eigener Aussage nächtelang an die Decke und weinte. "Ich konnte die Erwartungen, die an mich gestellt wurden, nicht erfüllen", sagt er heute.

Zeitweise traute er sich nicht mehr aus dem Haus, mied selbst Freunde und Eltern, weil er nicht auf seine Fehlschlüsse angesprochen werden wollte. "Meine Frau war die einzige Person, bei der ich mich noch sicher fühlte", berichtet er. Nun arbeitet er an seinem Comeback, ist aber seit mehr als einem Jahr vereinslos.

Nicht immer ist der Kicker schuld

Die Form eines Kickers hängt laut Ralf Kleinmann zu 75 Prozent vom Kopf ab. Allerdings ist ein verschossenes Field Goal nicht immer die Schuld des Schützen. Kleinmann erklärt: "Wenn der Ball beim Snap nicht gut nach hinten geworfen wird oder der Holder den Ball nicht richtig hält, kann der Kicker gar nicht treffen. Ein Kicking-Coach sagte mir einmal: 80 Prozent der verschossenen Field Goals sind nicht die Schuld des Kickers."

Ralf Kleinmann kickte erfolgreich für die Frankfurt Galaxy.

Ralf Kleinmann kickte erfolgreich für die Frankfurt Galaxy.

Der NFL-Analyst und Ex-Trainer Pat Kirwan sagt über Kicker: "Man kann sie mit Golfspielern vergleichen. Sie halten sich sklavisch an äußerst präzise festgelegte Abläufe. Werden diese gestört, ist das Ergebnis meist enttäuschend." Der kleinste Fehler im Bewegungsablauf könne entscheidend sein: "Ein Kicker muss während des gesamten Beinschwungs den Kopf unten lassen, genau wie ein Golfer beim Rückschlag. Hebt er den Kopf zu früh, weil er besorgt der Flugbahn hinterherschaut, wird ihm meistens nicht gefallen, was er sieht."

Die meisten Punkte, die niedrigsten Gehälter

Kurios: Obwohl die ersten 37 Plätze der All-Time-Scoring-List durchgängig von Kickern belegt werden, sind sie innerhalb ihres Teams meist die Geringverdiener. Während selbst durchschnittliche Quarterbacks schnell zweistellige Millionenbeträge im Jahr kassieren, verdienen 14 der 36 in der NFL unter Vertrag stehenden Kicker weniger als eine Million US-Dollar.

Großverdiener gibt es natürlich trotzdem. Justin Tucker von den Baltimore Ravens ist der bestbezahlte Kicker der NFL und verdient pro Saison fünf Millionen Dollar. Viel Geld für jemanden, der "nur" einen Ball durch die Torstangen schießen muss. Aber dafür hat er eben auch den einsamsten Beruf der Welt.

Quelle: ntv.de

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