Selbst der Chefkritiker schwärmt Handballer schreiben EM-Märchen
20.01.2012, 17:22 Uhr
Unglaublich, aber wahr: Deutschland hat plötzlich gute Chancen, eine EM-Medaille zu gewinnen.
(Foto: dpa)
Vom Katastrophen-Team zum Medaillenanwärter: Die deutschen Handballer durchleben bei der EM in Serbien eine erstaunliche Metamorphose. Nachdem sie gegen Mazedonien fast schon raus waren, befindet sich das DHB-Team im Olympiakampf nun in der Pole Position. Auch eine EM-Medaille scheint plötzlich möglich.
Das Wetter stand im Kontrast zur allgemeinen Gemütslage. Freudestrahlend kletterten Handball-Bundestrainer Martin Heuberger und seine Spieler am Tag nach der Gala gegen Schweden aus dem deutschen Mannschaftsbus und bezogen ihr neues Quartier in Belgrad. Der serbische Dauerregen und drei Stunden Busfahrt konnten der guten Stimmung nichts anhaben.
Nach dem eindrucksvollen 29:24 gegen den WM-Vierten Schweden ist die Ausgangslage der deutschen Handballer bei der EM glänzend, trotz des Katastrophenstarts gegen Tschechien. Vor dem ersten Hauptrunden-Spiel gegen Geheimfavorit und Gastgeber Serbien am Samstag (20.15 Uhr) in Belgrad ist das Ticket für ein Olympia-Qualifikationsturnier plötzlich in greifbarer Nähe. Mehr noch: Das Team von Bundestrainer Martin Heuberger wittert sogar seine Halbfinal-Chance.
"Es ist beeindruckend, wie sich die Mannschaft in das Turnier gekämpft hat", sagte Heuberger. Dem Katastrophen-Start gegen Tschechien (24:27) folgten Siege gegen heißblütige Mazedonier (24:23) und eben gegen Schweden. Weil Tschechien gegen Mazedonien verlor, startet das deutsche Team um Kapitän Pascal Hens mit weißer Weste und 4:0 Punkten in die Hauptrunde. Neben Serbien sind Vize-Weltmeister Dänemark am Montag (18.20 Uhr/ZDF) und Polen am Mittwoch (16.15 Uhr/ZDF) die weiteren Gegner.
"Die Spieler haben mit ihrer Leistung ein dickes Ausrufezeichen gesetzt und gezeigt, dass sie mit Druck umgehen können", lobte der frühere Weltstar Stefan Kretzschmar. Vor dem Turnier hatte er das DHB-Team mehrfach hart attackiert, nun blickt er schon Richtung Halbfinale. "Die Ausgangslage mit vier Punkten ist super. Ich habe ein gutes Gefühl - hier geht was", sagte Kretzschmar. Ein Sonderlob gab es für Heuberger. "Er hat sehr gut gecoacht. Mit seinen vielen Wechseln hat er alles richtig gemacht", so der ehemalige Linksaußen
Sichtbare Genugtuung

DHB-Abwehrchef Oliver Roggisch zeigt seine lädierte Nase: "Die Nase ist an einer Stelle gebrochen, wo sie schon mal gebrochen war. Sie ist jetzt noch ein bisschen krummer als sie eh schon war"
(Foto: dpa)
"Der Traum lebt weiter", sagte Abwehrchef Oliver Roggisch und analysierte die Vorrunde im Telegrammstil: "Deutschland, Turniermannschaft. Erstes Spiel Katastrophe, zweites Spiel besser, drittes Spiel schon richtig gut." Die Genugtuung der beiden Siege war Heuberger deutlich anzumerken. Der vor dem Turnier und nach der Auftaktpleite heftig kritisierte 47-Jährige machte aus seinem Gemütszustand keinen Hehl. "Wenn ich auf jeden hören müsste, hätten wir jetzt wahrscheinlich schon den Rückflug buchen können", sagte Heuberger. Seine ebenso klugen wie mutigen Wechselspiele ebneten den Weg zum Erfolg.
Nachdem er Pascal Hens bereits gegen Mazedonien 60 Minuten lang auf der Bank hatte schmoren lassen, ließ er ihn auch im Schweden-Spiel weitgehend draußen. "Ich habe meinen Weg, und den werde ich konsequent weitergehen", sagte Heuberger. Auch Torhüter Silvio Heinevetter, der gegen Schweden zum Matchwinner avanciert war, richtete den Blick nach vorn.
"Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen. Aber was gestern war, ist mir egal", so Heinevetter: "Fest steht, dass uns jetzt keiner mehr unterschätzen wird." Dominik Klein ergänzte: "Wenn wir die Leistung aus dem Schweden-Spiel abspeichern, soll uns erstmal jemand schlagen. Wir freuen uns auf ein ganz langes Turnier."
"Wird ein richtiger Hexenkessel"
Zunächst gilt es jedoch, die serbische Hölle zu überstehen. In der gigantischen Belgrad-Arena, der größten Veranstaltungshalle Europas, werden mehr als 20.000 Fans ihr Team nach vorne peitschen. "Das wird ein richtiger Hexenkessel", sagte Heinevetter bei der Ankunft im Teamhotel am Freitagnachmittag: "Aber nach dieser Vorrunde sind wir für alles gewappnet."
Die Mannschaft um Superstar Momir Ilic vom deutschen Rekordmeister THW Kiel kämpft ebenfalls noch um eines der beiden Quali-Tickets für Olympia und bringt nach Siegen gegen Dänemark und Polen auch vier Punkte mit. "Wir haben alle Chancen. Ein Sieg wäre ein großer Schritt in Richtung Olympia", sagt Heinevetter. Und in Richtung EM-Halbfinale.
Quelle: ntv.de, sid/dpa